#10 | Vertrauen wird überbewertet

Um Vertrauen zu ringen ist schwierig und gefährlich. Misstrauen zu akzeptieren ist dagegen klug.

Ausgabe #10 | 5. März 2020

Vertrauen wird überbewertet

Vor einiger Zeit habe ich eine ungewöhnliche Podiumsdiskussion moderiert. Das Panel bestand aus einer Staatssekretärin, einer Bundestagsabgeordneten und zwei Umweltaktivisten. Es ging um die ungelöste Endlagerfrage in Deutschland. An sich schon ein konfliktbeladenes Thema.

Interessant war das Publikum: Es bestand fast ausschließlich aus Veteranen der Anti-Atom-Bewegung. Viele seit mehr als einer Generation aktiv, nicht wenige für ihr Engagement schon mehrfach vor Gericht oder in Polizeigewahrsam gewesen, manche sogar mit Berufsverboten belegt.

Vor diesem Hintergrund bewundere ich noch heute den Mut der Staatssekretärin. Denn als sie zusagte, wusste sie: Das wird kein Heimspiel.

Tatsächlich wurde es noch viel schlimmer.

Obwohl selbst in der Umweltbewegung großgeworden, hatte sie an diesem Abend die Rolle der verhassten Atomstaatsrepräsentantin. Sie wurde zur Projektionsfläche für 50 Jahre Frust. Mitdiskutanten und Publikum trieben sie gnadenlos in die Enge. Schließlich beendete sie ihren letzten Beitrag, sichtbar den Tränen nahe, mit einem emotionalen Apell:

„Haben sich doch mal ein bisschen Vertrauen!“

Der Saal reagierte mit verblüfftem Schweigen. Für einige Sekunden. Dann allerdings brach lautes Gelächter aus, eher höhnisch als wirklich amüsiert. Das war der emotionale Knockout für die Vertreterin unserer Regierung.

Doch wir wollen heute nicht über Atompolitik oder Diskussionskultur sprechen. Sondern über Vertrauen.

Das mit dem Vertrauen ist so eine Sache.

Es kann Jahre dauern es aufzubauen, und nur wenige Minuten, um es nachhaltig zu zerstören. Über Vertrauensverlust wird zur Zeit viel gesprochen. In der Politik wird der Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger beklagt, in den Medien gilt er als Grunddiagnose gesetzt. Er wird abwechselnd als Ursache oder Folge der aktuellen Misere der Demokratie betrachtet.

Beide Betrachtungen sind verführerisch. Aber welche trifft zu?

Eine aktuelle Studie des Bundesverbands für Wohnen und Stadtentwicklung (vhw) hat kürzlich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die kommunale Politik und Verwaltung untersucht.

Die Autoren der Studie diagnostizieren einen unterschiedlichen, aber messbaren Vertrauensverlust. Für sie ist das ein Problem. Sie schreiben „Ohne Vertrauen in Personen und Institutionen, die städtebauliche Projekte vertreten und verantworten, wird die Umsetzung dieser Projekte erschwert, zum Teil sogar verhindert.“
An dieser Kausalkette ist einiges schief.

Zum einen wissen wir alle nicht erst seit dem Desaster um Stuttgart21, dass es durchaus gute und gemeinwohlorientierte Gründe dafür geben kann, solche Projekte kritisch zu hinterfragen oder gar zu stoppen. Das mag eine Ausnahme sein und bleiben, als demokratische Option ist es aber eine wichtige Basis unserer Bürgergesellschaft.

Dass die Durchsetzung von Projekten dadurch generell erschwert wird, ist aus Sicht der Projektbetreiber immer bedauerlich, aber eben auch der tiefere Sinn von Demokratie und Rechtsstaat. Das verbreitete Schielen auf Chinesische Verhältnisse ist nachvollziehbar. Aber einen kompletten Staudammbau mit Massenumsiedlungen von Hunderttausenden in kürzester Zeit kann man eben nur in nichtdemokratischen Gesellschaften realisieren.

Für gescheiterte Vorhaben gibt es viele Gründe: hohe Regulierungsdichte, planerische Inkompetenz, Korruption, Fehleinschätzung benötigter finanzieller, personeller und zeitlicher Ressourcen, Übergewicht von Partikularinteressen gegenüber dem Gemeinwohlnutzen, falsche Bedarfseinschätzungen, Finanzierungsprobleme, unerwartete technische Hindernisse, veränderte politische oder wirtschaftliche Rahmenbedingungen.

Die Liste ließe sich weiter fortsetzen, oft ist es wie beim Berliner Flughafen ein bunter Strauß an Ursachen. Eines aber haben wir bislang in keinem Fall beobachten können. Und deshalb sollten wir es gerade in einer Zeit, in der die Demokratie in Deutschland unter Druck steht, deutlich sagen:

Kein gemeinwohlorientiertes Großvorhaben in Deutschland ist bislang an zu viel Demokratie gescheitert.

Und auch nicht an mangelndem Vertrauen. Warum? Weil das eingangs diskutierte und von diversen Akteuren schmerzlich vermisste Vertrauen in einer Demokratie weder Ziel noch Grundvoraussetzung ist, sondern:

Für dieses Risiko haben wir bislang zu wenig Verständnis. Und das beeinflusst unsere Strategien. Nehmen wir die klassische Bürgerbeteiligung bei Großvorhaben. Diese ist oft von Akzeptanzschwierigkeiten motiviert, will Akzeptanz schaffen, und setzt dabei auf Vertrauensbildung. Doch das ist 1. schwer, 2. langwierig, 3. nur bei den (wenigen) unmittelbar Beteiligten zu erreichen, 4. hoch volatil, 5. mit nur einem Satz zerstörbar und 6. gar nicht nötig.

Vertrauen schafft Akzeptanz. Das ist nicht falsch. Richtig ist aber auch: Akzeptanz braucht kein Vertrauen. Und das ist gut so, denn hinterfragen wir die Vertrauensthese einmal tiefer: Welches Bild von gesellschaftlichem Diskurs, welches Politikverständnis steckt dahinter?

Dieses Bild von Vertrauen ist: „Ihr lehnt euch vertrauensvoll zurück, wir machen das schon …“ Das ist allerdings das Konzept von Herrschaft, nicht von Demokratie.

Demokratie konnte erst entstehen, als die Untertanen ihren Herrschern eben kein Vertrauen mehr zubilligten. Das Wesen der Demokratie ist es, den Regierenden zu misstrauen, sich deshalb selbst am Willensbildungsprozess zu beteiligen, ihre Entscheidungen zu hinterfragen, Argumente zu verlangen und darauf zu bestehen, überzeugt zu werden. Seneca spricht vom „Vertrauen auf die Wahrheit und Vertrauen auf sich selbst.“

Eine der größten Gefahren in der demokratischen Gesellschaft ist die Überwertung von Vertrauen. Wenn Vertrauen regiert, entsteht Raum für Mißbrauch, erodiert demokratische Kontrolle. Um Vertrauen zu ringen ist nicht verwerflich. Misstrauen zu akzeptieren ist dagegen klug. Auch Beteiligungsprozesse funktionieren besser, wenn nicht ständig die Vertrauensfrage im Raum schwebt. Doch darüber mehr in einem anderen Newsletter.

Schließen wir für heute mit einem Zitat eines Abgeordneten des Schweizer Nationalrats, den ich kürzlich zu den Stärken der Schweizer direkten Demokratie gerade beim Umgang mit schwierigen Themen befragte. Er sagte mir: „Im Grunde ist es ganz einfach: Wir Schweizer vertrauen der Wissenschaft. Und wir Misstrauen der Politik.“

Das ist sicher verkürzt, aber es trifft den Kern: Eine starke Demokratie lebt vom gesunden Misstrauen der Bürger in ihre regierenden und deren ausführenden Organ.

Herrscher brauchen Vertrauen. Demokraten brauchen Diskurs.

Herzlichst, Ihr Jörg Sommer

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