#207 | Die römische Methode

Wenn es mal schief läuft mit der politischen Teilhabe, suchen die einen nach Schuldigen, die anderen nach Verbesserungspotential.

Ausgabe #207 | 21. Dezember 2023

Die römische Methode

Begriffe haben immer eine Geschichte. Und manchmal eine Bedeutung, die sich heute kaum noch erschließt.

„Dezimieren“ ist ein solcher Begriff.

Er geht, wie so oft, auf das Lateinische zurück.

In der Römischen Armee wurde nach Schlachten stets genau hingeschaut. Welche Taktik hatte sich bewährt? Welche Waffen erwiesen sich als besonders wirksam? Was funktionierte gut, was gar nicht?

Und vor allem: Welche Abteilungen und Soldaten zeichneten sich durch besondere Tapferkeit aus – und welche durch das Gegenteil?

Ergab die kritische Reflexion des Schlachtgetümmels, dass sich ganze Einheiten durch Feigheit vor dem Feind ausgezeichnet hatten, griff eine besondere Maßnahme.

Die Dezimation (von lateinisch decem = zehn).

Dabei wurde in der betroffenen Einheit mittels eines Loses je einer unter zehn Mann für die Bestrafung (meistens Exekution) ausgelost.

So wollte man einerseits drastische Strafen zur Abschreckung verhängen, andererseits nicht zu viele Soldaten verlieren. Die Verhängung dieser Strafe ist in Europa bis ins 17. Jahrhundert überliefert.

Mit dem Wissen geht einem heute das Wort „dezimieren“ etwas weniger flott über die Lippen.

Wir kennen das: Es ist bis heute ein beliebtes, aber eben auch ineffektives Mittel, nach Fehlern Schuldige zu suchen, statt Verbesserungspotentiale zu erforschen.

Manchmal erleben wir das sogar in Beteiligungsprozessen. Vor allem, wenn sie so richtig aus dem Ruder gelaufen sind.

Dabei liegt es (fast) nie an Fehlern einzelner Personen, sondern (fast) immer am einem Mismatch von Themen, Erwartungen, Möglichkeiten, Ressourcen und Formaten.

Beteiligungsprozesse zwar kritisch, aber eben nicht als Schuldsuche, zu reflektieren, sollte deshalb längst Standard in allen beteiligenden Institutionen sein.

Und das ausdrücklich auch dann, wenn alles vermeintlich perfekt gelaufen ist.

„Bürgerbeteiligung lernt aus Erfahrungen“ lautet einer der zehn Grundsätze Guter Beteiligung der Allianz Vielfältige Demokratie. Und das heißt eben auch: aus positiven wie negativen Erfahrungen.

Die konkrete Umsetzung dieses Lernprozesses kann anspruchsvoll sein. Muss es aber nicht.

Als Minimallösung bietet sich die THW-Methode an: Alle Mitglieder des Teams formulieren ihr persönliches „Tief“, ihr persönliches „Hoch“ und eine Antwort auf die Frage: Was würden sie ganz konkret beim nächsten Mal anders machen.

Schon diese kurze Runde, weniger als eine halbe Stunde nach jedem Beteiligungsevent, hilft dabei, beständig besser zu werden.

Möchte man sich dabei nicht nur auf die subjektiven Wahrnehmungen des Teams verlassen, bieten sich objektivierende Ergänzungen an: Von den Teilnehmenden ausgefüllte kurze Fragebögen* sind zum Beispiel wenig aufwändig.

Noch mehr Feedback bieten (ergänzend) teilnehmende Beobachtungen. Unbeteiligte Dritte, ggf. auch Kolleg*innen aus anderen Abteilungen oder Arbeitsbereichen, notieren ihre Wahrnehmungen anhand vorbereiteter Checklisten.

Gute Beteiligungsprozesse sind jedoch mehr als die Summe gelungener Einzelevents. Deshalb sollte am Ende jedes Prozesses eine umfassendere Reflexion stehen. Auch hier gibt es Listen mit Fragen, die als Vorlage dienen können.

Doppelt so wertvoll sind diese Reflexionen, wenn sie nicht nur innerhalb der beteiligenden Organisation gedacht, sondern gemeinsam mit Beteiligten umgesetzt werden.

In manchen Kommunen wird dies bereits in Leitlinien festgeschrieben oder gehören zur Beteiligungskultur. In Heidelberg zum Beispiel nennt sich das Format „Werkstattgespräch“ und findet öffentlich statt:

Mit etwas Abstand schildern Beteiligte und Beteiligende ihre Wahrnehmung konkreter Verfahren und sprechen über mögliche Lehren für kommende Prozesse.

Das ist wichtig, erstaunlich einfach zu organisieren und hilft beim permanenten Qualitätsmanagement insbesondere der Beteiligungspraxis.

Was es nicht ersetzen kann, ist eine regelmäßige externe Evaluation, die in größeren Zeitabständen mehr als nur die Prozessqualität betrachtet.

Alle zwei bis vier Jahre lohnt sich ein externer Blick auch auf institutionelle Aspekte. Welche Relevanz haben die Beteiligungsverfahren und ihre Ergebnisse? Wie gehen Entscheider damit um? Wie steht es um die Beteiligungskultur in der Kommune oder Institution?

Diese Fragen können letztlich nur neutrale externe Evaluationen beantworten. Deshalb sind sie wichtig, können und sollten aber die eigene Reflexionspraxis nicht ersetzen.

Von der kurzen THW-Runde bis zur externen Evaluation: Gute Beteiligung lernt aus Erfahrungen. Aber eben nicht von alleine.

Wir müssen das schon wollen.

Und organisieren.

Das Berlin Institut bietet übrigens entsprechende Hilfsmittel an: Muster für Teilnehmenden-Fragebögen, Checklisten für teilnehmende Beobachtungen, Fragen zur Team-Reflexion und auch alle 84 Indikatoren, die bei externen Evaluationen des Instituts betrachtet werden.

Alle diese Informationen können Sie kostenlos anfordern. Eine Mail an evaluationen@bipar.de genügt.

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