#192 | Stalin, der Papst und die Ablösesumme

Gute Bürgerbeteiligung basiert oft auf sogenannten Leitlinien. Aber das muss sie nicht.

Ausgabe #192 | 7. September 2023

Stalin, der Papst und die Ablösesumme

Die Krim ist eine Halbinsel an der Nordküste des Schwarzen Meers. Wir alle kennen sie als Teil des Ukraine-Konflikts.

Aktuell wird sie von Russland kontrolliert. Die Ukraine besteht darauf, dass sie Teil ihres Staatsgebietes ist.

Tatsächlich hat die Krim eine wechselvolle Geschichte. Sie gehörte zum Byzantinischen Reich, war mal von Mongolen besetzt, mal unabhängig, dann wieder türkisch, dann wieder unabhängig.

Einmal wurde sogar Moskau vom Khan der Krim erobert. Später dann war es umgekehrt.

Dann wieder versuchte eine Koalition aus dem Osmanischem Reich, Großbritannien, Frankreich und dem Königreich Sardinien erfolgreich, die Krim zu erobern.

Selbst innerhalb der kommunistischen Sowjetunion wechselte die Hoheit über die Krim. Gehörte sie nach kurzer Autonomie zunächst zur Russischen Sowjetrepublik, schlug Chruschtschow* sie 1954 der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik zu.

Wie viele Ecken der Welt hat die Krim also eine ebenso wechselvolle wie spannende Geschichte.

So wie im Jahr 1945.

Längst war die Krim nicht mehr von den Deutschen besetzt, die dort auch für einige Zeit die Herrschaft ausgeübt hatten.

In Jalta, dem bekanntesten Badeort der Krim, trafen sich Churchill, Roosevelt und Stalin, um die Grundlagen für eine Nachkriegsweltordnung zu legen.

Die sowjetische Armee stand nur noch knapp 100 km vor Berlin. Entsprechend selbstbewusst trat der sowjetische Diktator auf.

So kam es dann auch zu seinem berühmten Satz.

Als Churchill vorschlug, den Papst als Verbündeten zu gewinnen, machte Stalin sich über das Oberhaupt der katholischen Kirche lustig.

„Wie viele Divisionen hat der Papst?“, fragte er. Und das Thema war vom Tisch.

Der eiskalte Machtmensch Stalin hatte eine feine Nase für die entscheidenden Fragen. Er wusste, dass Einfluss von Ressourcen abhängt.

Und eine der zentralen Ressourcen ist: der Mensch.

Sogar die wichtigste Ressource überhaupt. Sofern man den Sonntagsreden von CEOs glaubt.

„Unsere Mitarbeiter*innen sind unser wertvollstes Kapital”, ist eine der klassischen Aussagen.

Die Schizophrenie dahinter: Tatsächlich stimmt das häufig. Wird aber so gut wie nie wirklich zum Maßstab von Führungshandeln.

Das Manager-Magazin fragte seine Leser*innen in einem Beitrag,
„… wie hoch die Ablöse für Ihre Person wäre, wenn Sie, wie im Fußball, von Volkswagen zu Daimler transferiert würden. Und wie sähe dann Ihr Gehalt aus?“

In der Betriebswirtschaft werden bis heute Dinge wie Grundbesitz und Kapital auf der Habenseite der Bilanzen geführt. Der Faktor Arbeit jedoch ist ein reiner Kostenfaktor.

So ganz ernst meint es die Wirtschaft also mit dem „wertvollsten Kapital“ nicht. Bilanztechnisch ist es sogar eine glatte Lüge.

Und auch in öffentlichen Verwaltungen ist es mit der Wertschätzung der Mitarbeitenden so eine Sache. Im Grunde hängt sie von den Personen ab, die auf der Führungsebene die Kultur prägen.

Eben. Möchte man sagen. Es sind selbst in hochnormierten und vertikalen Strukturen Menschen, die entscheidend Einfluss darauf haben, wie die Organisation mit Menschen umgeht.

Das gilt nach innen, wie nach außen.

In der vergangenen Woche haben wir gesehen, wie gut gestaltete Leitlinien für Bürgerbeteiligung wirken können.

Sie können für Gute Beteiligung sorgen und vor allem:
Für Verstetigung.

Deshalb gibt es viele Kommunen in Deutschland, die Leitlinien haben.

Es gibt aber auch viele Kommunen, die schon seit Jahren intensiv, gut und wirksam beteiligen – ohne Leitlinien.

Einige von ihnen setzen stärker auf einen anderen Faktor: Menschen.

Dort, wo es Menschen gibt, die für Beteiligung zuständig sind, die den klaren Auftrag haben, Beteiligung zu gestalten, kann es auch ohne Leitlinien funktionieren.

Ob Fach- oder Koordinierungsstelle, Kompetenzzentrum oder kommunale Partizipationsbeauftragte, Anlaufstelle für Beteiligung oder Mitmachamt.

Egal, wie der Titel lautet oder die Struktur gestaltet ist: All das kann funktionieren, wenn es persönliche Treiber der Beteiligung gibt.

So wurde in Kiel schon 2013 eine zentrale Servicestelle für Bürgerbeteiligung geschaffen. Diese soll nicht nur Beteiligung organisieren, sondern auch intern in der Verwaltung beraten und motivieren. Vergleichbare Strukturen gibt es auch in anderen Kommunen jeder Größenordnung.

Um Stalin noch einmal ins Spiel zu bringen: Beteiligung braucht keine Divisionen. Sie braucht Menschen, die für sie brennen, die in bestehenden Strukturen dafür eintreten und dazu auch ein Mandat haben.

Dann ist eine Verstetigung von Beteiligung auch ohne Leitlinien, Satzungen und Verordnungen möglich.

Eine Kommune, die keine Leitlinien hat, muss noch lange keine schlecht beteiligende Kommune sein.

Wobei Leitlinien und Fachstellen kein Widerspruch sind. Viele Leitlinien schaffen solche Fachstellen.

In Kiel gab es eine umgekehrte Entwicklung: Rund fünf Jahre nach der Servicestelle hatte dann auch die Landeshauptstadt ihre Leitlinien, erarbeitet in einem partizipativen Prozess. Organisiert eben von jener Einrichtung.

Leitlinien können Gute Beteiligung verstetigen. Fachstellen können das auch. Beide zusammen ebenfalls.

Und tatsächlich gibt es noch einen dritten Weg der Verstetigung, oft vernachlässigt, aber ungeheuer wirksam.

Diesen Weg schauen wir uns in der kommenden Woche an.

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* In der ersten Version wurde diese Entscheidung Josef Stalin zugeschrieben. Ralf Resch hat den Fehler sofort erkannt und darauf hingewiesen (s.u.)

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2 Kommentare
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Dr. Ralf Resch
7. September 2023 19:34

>…. schlug Stalin sie 1954 der Ukrainischen sozialistischen Sowjetrepublik zu.
Das ist eine reife Leistung – ein Jahr nach seinem Tod 😉
Tatsächlich tat dies sein Nachfolger Chrustschow.
Aber das tut diesem und den vielen anderen klugen und interessanten Texten keinen Abbruch.

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