#187 | Schaf am Wind

Partizipation und Kapern sind nicht nur semantisch verwandt. Von den Piraten lernen, heißt Partizipation lernen.

Ausgabe #187 | 3. August 2023

Schaf am Wind

Es ist kein Tippfehler im Titel. Tatsächlich gibt es ein Buch, das genau so heißt.

Vor knapp einem Vierteljahrhundert erschien ein Bilderbuch mit dem vollständigen Titel „Schaf am Wind – Die Piratenwölfe kommen!“.

Die Entstehungsgeschichte des Buches ist ein wenig verrückt.

Francois Ruyer ist ein in Frankreich bekannter Maler und Illustrator.

Meine Frau und ich sahen eines Tages einige Bilder aus einem „Piraten“-Zyklus. Die Piraten waren darin wild aussehende Wölfe, die braven Matrosen der königlichen Handelsschiffe bestanden aus Schafen in blitzblanken Gardeuniformen.

Daraus müsst man doch eine Geschichte machen. Sagten meine Frau und ich. Sagte einer unserer damaligen Verleger. Und auch Francois Ruyer war begeistert. Irgendwie malten und schrieben wir kurz darauf wochenlang gleichzeitig, miteinander, durcheinander, übereinander.

Die fertige Geschichte war ebenso schräg wie die Bilder. Die Piratenwölfe brandschatzten munter, stahlen das Gold, schoren die Schafe, und wurden doch am Ende von einem kleinen Kartoffelschäler ausgetrickst.

Normalerweise werden Bilderbücher in einem fast manufakturähnlichen Prozess entwickelt.

Autor*innen schreiben ein Szenario. Illustrator*innen bekommen den fertigen Text, oft schon mit konkreten Anweisungen für die Bilder. Organisiert wird alles vom Lektorat.

Meine Frau und ich haben eine Menge Kinderbücher veröffentlicht. In der Regel haben nicht ein einziges Mal mit dem Illustrator oder der Illustratorin gesprochen. Oft waren wir nicht mal an deren Auswahl beteiligt.

Dieses Buch jedoch war tatsächlich ein eigenes kleines Partizipationsprojekt. Wild. Chaotisch. Unter Zeitdruck. Mit begrenzten Ressourcen, Irrwegen, Sackgassen und Momenten, in denen nichts mehr ging.

Alles war dabei, was Partizipation spannend macht. Und zu wunderbaren, so nicht planbaren Ergebnisse führt.

An dieses Buch musste ich heute denken, als ich einen Vortrag über die Geschichte der Partizipation vorbereitete.

Wussten Sie, dass Partizipation aus dem Lateinischen stammt?

Liegt auch nahe. Aber der Wortstamm ist tatsächlich interessant. Das lateinische „participatio“ wird übersetzt mit Beteiligung, Teilhabe, Teilnahme, Mitwirkung, Mitbestimmung, Mitsprache, Einbeziehung.

Eigentlich besteht es aus zwei Wortteilen. Pars steht für „Teil“ und „capere“ für „fangen, ergreifen, sich aneignen, nehmen“.

Es ist auch die Quelle für das, was Piraten hauptberuflich tun: Kapern.

Partizipation hat also eine Menge mit Piraten zu tun.

Nicht nur, weil Sitten und Aggressionspotential in manch einer Bürgerversammlung durchaus schon mal mit denen einer Horde rumgetränkter Piraten verglichen wurde.

Partizipation mit diesem begriffsgeschichtlichen Hintergrund zu verstehen ist vor allem deshalb so hilfreich, weil es unsere Wahrnehmung darauf lenkt, dass gute Partizipation immer auch Emanzipation und Aneignung des Prozesses ist.

Beteiligung ist eben nicht nur großzügige Anhörung betroffener, besorgter oder geloster Bürger*innen. Beteiligung ist dann gut, wenn sie in diesem Sinne auch zu Partizipation wird.

Deshalb wollen wir, Beteiligende und Beteiligte, stets auch ein kleines bisschen Piraten sein.

Die Beteiligung kann dadurch nur gewinnen.

Die Kaperfahrer haben uns noch mehr hinterlassen, was uns heute in der Beteiligung nutzen kann. Dehslab schließen wir mit einem kleinen Tipp, der nicht nur in der klassischen Bürgerbeteiligung spannend ist, sondern in jeder Institutionen, in jedem Team:

Das Logbuch.

Das haben nicht die Piraten erfunden. Aber auch viele von ihnen haben es geführt. In der Seefahrt wird darin jede Reise genau dokumentiert, Positionen und besondere Vorkommnisse werden aufgezeichnet.

Das hilft bei der Orientierung und der Nachjustierung von Kursen.

Ich kenne einige Führungskräfte, die tatsächlich ein kleines „Beteiligungslogbuch“ führen.

Darin dokumentieren sie täglich, wen sie in ihrem Team zu was beteiligt haben, manchmal sogar mit welchem Ergebnis. Wenn sie einmal mehrere Tage keinen Eintrag machen konnten, denken sie drüber nach, wie sie das ändern können.

Das funktioniert überall, wo Teams geführt werden. Sogar ein befreundeter Bürgermeister hat mir schon einmal sein kleines Logbuch gezeigt. Lederumschlag, abgewetzt, steckt immer in seinem Jackett, sieht fast aus wie ein Kapitänslogbuch.

Das ist natürlich nicht für jeden etwas. Man muss es wollen. Wenn Sie wollen: Probieren Sie es einfach mal aus.

Es geht übrigens auch im Großen. Die Beteiligungsplattform Adcocracy+ (hat eine Vorgeschichte als internes Tool der Piratenpartei) generiert aus allen Prozessen dort quasi automatisch ein kleines Logbuch.
Einige Kommunen dokumentieren größere verfahren chronologisch auf ihren Webseiten. Ist das gut gemacht, hat auch das Logbuch-Charakter.

Ob semantische Geschichte, frühe Plattformquelle, Ideengeber für Logbücher oder Denkanstoß für emanzipative Beteiligung:

Piraten haben der Partizipation einiges zu bieten.

Auch wenn’s mal kracht.

Gerade dann. Doch darüber sprechen wir in der kommenden Woche.Oks

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2 Kommentare
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Wolfgang goede
3. August 2023 17:13

Schöne Story–auch mit dem praktischen Anwendungstwist: Beteiligungslogbuch!

Erwartet im Narrativ, aber fehlt, leider:

Piraten galten nach neueren Forschungen diverser Couleur auch als basisdemokratisch, s.u.a. =>

https://www.fr.de/kultur/literatur/david-graeber-piraten-freibeuter-und-pioniere-der-freiheit-92105491.html

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