#206 | Der Tag danach

Auch in der Demokratie gilt: Wie gut wir morgen sind, hängt davon ab, was wir heute aus gestern lernen.

Ausgabe #206 | 14. Dezember 2023

Der Tag danach

Demokratie ist ein Abenteuer. Bürgerbeteiligung manchmal auch.

Je nach Verlauf mit dem Hang zum Melodram, hin und wieder auch zur Tragödie.

Selbst Komödien haben wir schon erlebt.

Warum gute Beteiligung oft sogar ganz nah an der klassischen mythischen Heldenreise ist, haben wir in der vergangenen Woche genauer betrachtet.

Wieder einmal gab es außerordentlich viel Rückmeldungen auf den Newsletter. Fast alle waren positiv. Einige Leser*innen fragten kritisch nach, ob man Beteiligung wirklich „nach Drehbuch“ planen sollte.

Sollte man nicht. Auf gar keinen Fall. Nie.

Das hatte ich auch deutlich formuliert, allerdings sehr kurz. Deshalb stelle ich das gerne noch einmal klar: Beteiligungsdesign ist Ermöglichungsdesign, nicht Durchführungsdesign.

Das heißt: Teilnehmendenauswahl, Prozessplanung, Formatwahl oder Moderationsbeauftragung dienen nicht dazu, einen kleinteilig gestalteten Prozess umzusetzen.

Ihre Aufgabe ist es vielmehr, den Beteiligten zu ermöglichen, den Prozess mit den zur Verfügung gestellten Ressourcen aktiv zu gestalten.

Und deshalb soll die Orientierung an der klassischen Heldenreise und deren zwölf Phasen uns nicht dazu verleiten, solche Phasen auszuplanen und durchzuorganisieren.

Wir führen nicht Regie in einem Hollywood-Film, sondern ermöglichen deliberative Prozesse. Die sind durch vieles definiert, unter anderem durch das Wissen, das wir vorher nicht wissen, was hinten rauskommt.

Wissen wir das vorher, ist es keine Deliberation.

Auch bei einer Heldenreise steht vorher kein Ergebnis fest. Sonst wäre es eine Kaffeefahrt.

Die zwölf Phasen einer Heldenreise sind keine Vorschrift, sondern Vorschläge. Vor allem für die Reihenfolge. Was dann letztlich in jeder Phase konkret passiert, sieht in jedem Prozess anders aus.

Möchten Sie tiefer in das Thema „Beteiligung als Heldenreise“ einsteigen? Dann empfehle ich „Die Odyssee der Drehbuchschreiber“ von Christopher Vogler.

Es ist keine Anleitung für Beteiligungsplaner*innen und bedarf ein wenig Transferleistung. Leider gibt es keine konkrete Arbeitshilfe dazu.

Das wird sich 2024 möglicherweise ändern.

Bis dahin gibt es noch die Option eines individuellen über das Berlin Institut für Partizipation organisierten Inhouse-Seminars. Ich komme dann gerne zu Ihnen und wir entwickeln gemeinsam einen konkreten (oder fiktiven) Prozess.

Eines aber können wir auch ohne komplexe Qualifizierung aus der Heldenreise noch mitnehmen:

Es gibt immer den Tag danach.

Auch erfolgreiche Heldenreisen sind nie das Ende der Geschichte. Neue Herausforderungen warten. Ob an der nächsten Ecke oder erst Monate später.

Selbst wenn es zunächst so aussieht, als würde eine reine Wiederholung anstehen. Der Eindruck täuscht. Immer.

Akteur*innen, Vorgeschichte, Umgebungsparameter, Hindernisse: Irgendwas ist immer anders. Gerade darum ist es so wichtig, aus den eigenen Abenteuern zu lernen.

„Gute Bürgerbeteiligung lernt aus Erfahrung“. Dies ist einer der zehn Grundsätze Guter Beteiligung der Allianz Vielfältige Demokratie. Und wohl einer, der besonders häufig vernachlässigt wird.

Das ist schade. Denn aus den eigenen Heldentaten zu lernen, ist das, was Held*innen auszeichnet.

Das ist herausfordernd. Fehler und Irrtümer noch einmal bewusst zu machen, schmerzt. Und wenn etwas gut funktioniert hat, warum es im Nachhinein schlechtreden?

Die Versuchung ist groß, es zu unterlassen. Auch weil es Ressourcen kostet, von denen wir alle zu wenig haben.

Das ist verständlich, aber kurzsichtig. Auf der Langstrecke ist Erfahrung eine der kostbarsten Ressourcen überhaupt. Sie zu nutzen, lohnt sich. Immer.

Wie aber organisieren wir das?

Alle paar Jahre eine externe Evaluation durchzuführen, ist da ein Baustein. Und kann ungeheuer hilfreich sein. Das erfahren wir bei den Evaluationen unseres Berlin Instituts für Partizipation immer wieder.

Entscheidend ist die begleitende und zeitnah rückblickende Selbstreflexion. Es ist kein Mangel, diese nicht extern zu beauftragen.

Im Gegenteil: Im eigenen Team organisiert, bildet sie Kompetenzen heraus, die Prozess für Prozess mehr Qualität ermöglichen.

Dazu gibt es einige Tools und Hilfsmittel. Einige davon wollen wir uns in der kommenden Woche genauer anschauen. Die meisten erfordern wenig Aufwand, nur ein wenig Offenheit.

Und die lohnt sich.

Denn die nächste Heldenreise kommt gewiss …

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