#235 | Es geht um nichts

Wer Beteiligung anbietet, muss klar sagen, warum, wozu und mit welchem Wirkungshorizont. Nur dann können Beteiligungsimpulse entstehen.

Ausgabe #235 | 4. Juli 2024

Es geht um nichts

Sie stehen im Nachrichtenblatt der Gemeinde oder hängen im Rathaus aus. Sie liegen plötzlich im heimischen Briefkasten oder geistern durch die Weiten diverser Sozialer Medien:

Einladungen zur Bürgerbeteiligung.

So unterschiedlich wie die Kanäle sind auch ihre Titel. Hier einige aktuelle Beispiele:

  • „Einladung zur Bürgerbeteiligung im Rahmen des integrierten Quartierskonzeptes.“
  • „Herzliche Einladung zu den Bürgerwerkstätten im Rahmen der Erarbeitung des Stadtentwicklungskonzeptes.“
  • „Einladung zur Bürgerbeteiligung an der Fortschreibung des Dorferneuerungskonzeptes.“
  • „Einladung zur Bürgerbeteiligung Historische Mitte.“

Das sind nur vier Beispiele aus 14 Tagen. Sie klingen nicht nur ähnlich. Sie haben auch ein ähnliches Problem.

Sie beschreiben Beteiligungsthemen aus Sicht der Beteiligenden.

Die können damit etwas anfangen. Sie wissen, um was es geht, kennen die Situation und ihren geplanten Prozess.

Für die Menschen, sich da beteiligen sollen, sagt das erstmal: gar nichts.

Wären diese Einladungstitel Zeitungsüberschriften, würden Volontär*innen sie schon am ersten Arbeitstag zurück auf den Schreibtisch bekommen.

Nun sind Verwaltungskräfte keine Journalist*innen. Und Verwaltungssprache ist eine ganz eigene Welt.

Doch wenn man Menschen tatsächlich für Beteiligung gewinnen will, sollte man ihnen schon klar sagen, um was es da geht. Tatsächlich dauert es in den oben erwähnten Beispielen im Schnitt genau 178 Wörter, bis etwas zum Gegenstand der Beteiligung gesagt wird.

Und selbst dann bleibt es blumig bis verschwurbelt. In zwei Einladungen wird kein einziges konkretes Thema angerissen.

Am konkretesten wird es noch im ersten Beispiel: „Im Rahmen des Konzepts sollen im untersuchten Quartier vor allem die konkreten Potenziale zur Energieeinsparung, Effizienzsteigerung und zur Nutzung erneuerbarer Energien ermittelt werden.“

Abgesehen davon, dass dieser Satz selbst muttersprachlich deutsche Durchschnittsbürger*innen fordert, bleibt er jede Erläuterung schuldig, was das nun mit einem „integrierten Quartierskonzept“ zu tun hat, zu dem ja beteiligt werden soll.

Für Insider ist alles klar. Für Bürger*innen ohne planerische Vorgeschichte ist das: Bahnhof.

Dabei ist es gerade in der Einladung zur Beteiligung wichtig, diese vor allem aus Empfängersicht zu denken. Und zwar gleich aus zwei Gründen.

Der erste Grund: Eine Einladung ist ein Angebot. Mehr erst einmal nicht.

Die potenziell Beteiligten treffen eine Abschätzung.

Worum geht es? Betrifft es mich, meine Familie, meine Zukunft, meine Interessen? Was genau soll oder kann geschehen? Was könnte sich verändern? Welcher Aufwand ist für mich mit der Beteiligung verbunden? Und schließlich: Glaube ich, dass mein Aufwand den möglichen Ertrag wert ist?

Diese Einschätzung treffen sie immer. Manchmal wird sie intensiver durchdacht, manchmal spontaner getroffen. Aber es gilt die Regel:

Ohne die zumindest leise Erwartung, dass Aufwand und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis stehen, gibt es keinen Beteiligungsimpuls.

Für Einladungen zur Beteiligung heißt das zwingend: Alles mitzuliefern, was für diese Einschätzung nötig ist. Kompakt, klar, in verständlicher Sprache. Und ehrlich.

Da sind wir beim zweiten Grund.

Je verschwurbelter eine Einladung ist, desto mehr eigene Fantasie fließt in die Abschätzung der Eingeladenen ein. „Das Quartier entwickeln“ provoziert Wirksamkeitsfantasien, die oft nicht einmal im Ansatz vorgesehen sind.

Konflikte im späteren Prozess sind vorprogrammiert.

Deshalb ist es wichtig, von Anfang an klar zu kommunizieren, worum es geht – und was da geht.

Wenn ich nicht genau weiß, um was es geht, bleiben nur zwei Möglichkeiten: Ich entscheide: Für mich geht es um nichts. Oder ich arbeite mit Vermutungen. Und dass meine Vermutungen mit den Anliegen der beteiligenden Institution identisch sind, ist tendenziell eher unwahrscheinlich.

Die ersten drei Schritte jedes Beteiligungskonzeptes lauten nicht ohne Grund:

  1. Definition des Beteiligungsgegenstands
  2. Formulierung des Beteiligungsziels
  3. Ermittlung des Entscheidungsspielraums

Bevor diese drei Schritte nicht klar ausformuliert sind, ist an Beteiligung ohnehin noch nicht zu denken.

Wenn also Bürger*innen zu einer Beteiligung eingeladen werden, sind diese Aufgaben lange vorher erledigt und intern konsolidiert.

Die Frage nach Beteiligungsgegenstand, -ziel und -spielraum können und müssen also in jeder Einladung beantwortet werden. So klar wie möglich. So verständlich wie möglich. So ehrlich wie möglich.

Wird dazu noch der zu erwartende Aufwand kommuniziert, können die Menschen fundiert entscheiden, ob sie Beteiligte werden wollen.

Die Zahl derer, die mit falschen Erwartungen kommen, wird damit nicht auf null sinken, aber sie wird sinken. Und so dazu beitragen, Konflikte zu reduzieren.

Die kurze Zeit, die die Erstellung einer soliden Einladung benötigt, wird im Prozessverlauf vielfach eingespart.

Es ist zudem ein erster, noch interner Nachweis von der nachvollziehbaren Bestimmung von Beteiligungsgegenstand, -ziel und -spielraum. Denn wenn diese drei Dinge nicht in wenigen, klaren Sätzen in eine Einladung formuliert werden können …

… dann sollte man sie vielleicht erst noch mal intern schärfen.

Übrigens: Den finalen Einladungstext am Ende einfach mal durch ChatGPT zu jagen, verbunden mit dem Auftrag „übersetzen in Einfache Sprache“, lohnt sich. Immer.

Aus unserem Beispielsatz:

„Im Rahmen des Konzepts sollen im untersuchten Quartier vor allem die konkreten Potenziale zur Energieeinsparung, Effizienzsteigerung und zur Nutzung erneuerbarer Energien ermittelt werden.“,

macht die KI mit etwas Hilfe:

„Wir wollen gemeinsam herausfinden, wie wir in unserem Viertel Energie sparen, die Effizienz verbessern und erneuerbare Energien nutzen können.“

Geht doch.

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