#222 | Zäh wie Kaugummi

Immer wieder wird darüber diskutiert, warum wir beteiligen sollen. Die wirklich spannende Frage aber lautet: Warum sollten sich die Menschen überhaupt beteiligen wollen?

Ausgabe #222 | 4. April 2024

Zäh wie Kaugummi

Mit Kaugummi wurde die Firma Wrigley erfolgreich. Dabei hatte die Firma zunächst eher auf Seife, danach auf Backpulver gesetzt.

Aber erst mit dem Kaugummi gelang der große Durchbruch. Wrigley’s Spearmint kam 1893 auf den amerikanischen Markt. Es folgte ein einmaliger Siegeszug.

Bald war das Kaugummi in aller Munde.

So bestärkt versuchte Wrigley, das Produkt auch in Europa zu platzieren.

Doch trotz mehrerer aufwändiger Werbekampagnen blieben die Europäer kaugummiresistent.

Auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts scheiterten alle Versuche, einen Kundenstamm zu gewinnen.

Wrigley versenkte Millionen in Werbung und Logistik. Selbst innovative Kaugummiautomaten förderten den Absatz nicht. Die Menschen hatten schlicht keinen Bedarf.

Am Ende gelangte das Kaugummi über einen ganz anderen Weg an die europäische Jugend: US-Soldaten brachten es im Zweiten Weltkrieg mit. Sie waren überall kaugummikauend anzutreffen.

Und sie verschenkten es vor allem an Kinder und Jugendliche.

Das führte schließlich zu einem echten Boom. Kaugummi schmeckte für eine ganze Generation nach Freiheit und einer besseren Welt.

Heute ist es aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Und die Motive der Kauenden sind unterschiedlich.

Was uns die Geschichte des Kaugummis in Europa aber zeigt: Produkte brauchen nicht nur Werbung. Sie brauchen vor allem Kunden, dies sie haben wollen.

Haben die Kunden kein Interesse, kaufen sie nicht. Sehen sie keinen ökonomischen oder emotionalen Nutzen, kaufen sie nicht.

Da ist es ziemlich egal, wie gut der Hersteller sein Produkt findet – und wie lange und penetrant er es anpreist.

Was für Kaugummis gilt, gilt im Grunde auch für Angebote demokratischer Teilhabe.

Ob Wahlen oder Beteiligungsprozesse: Es sind Angebote.

Und die muss jemand annehmen. Er oder sie tut das aber nur, wenn ein Nutzen erkannt wird.

Klingt banal. Ist es aber nicht.

Aus den Evaluationen des Berlin Instituts für Partizipation wissen wir, dass bis zu einem Drittel der Beteiligungsangebote in Deutschlands Kommunen letztlich nicht oder nur sehr eingeschränkt zustande kommen.

Nicht, weil man nicht beteiligen will.

Sondern, weil sich niemand beteiligen will.

Die Gründe dafür können vielfältig sein. Erstaunlich oft liegt es daran, dass die Menschen schlicht keine Kenntnis vom Angebot haben.

In der Regel lautet der Grund aber schlicht: Es gibt keine Interessenten, weil die potenziell Beteiligten keinen Nutzen darin sehen.

Das wiederum kann an diversen Gründen liegen. Manche haben schlechte Erfahrungen mit vorherigen Prozessen gemacht. Andere sind unsicher, weil sie nicht wissen, auf was sie sich da einlassen sollen. Manche wiederum haben nicht die nötigen Kompetenzen, oder glauben, sie nicht zu haben. Es gibt noch weitere Gründe.

Allen ist eines gemein: Sie führen dazu, dass der vermutete Nutzen zu gering ist, um das Produkt zu „kaufen“.

Warum sollten sie das tun?

Diese Frage müssen wir und beim Design jedes Beteiligungsangebotes frühzeitig stellen.

Es ist die zweite Frage, genauso wichtig, wie die erste. Und mit beiden sollten wir jedes Prozessdesign beginnen:

  1. Warum wollen WIR beteiligen?
  2. Warum will sich WER beteiligen?

Gute Beteiligungsprozesse brauchen eine klare Antwort auf jede der beiden Fragen. Und je klarer die Antwort ausfallen soll, desto intensiver müssen wir uns damit beschäftigen.

Gerade die zweite Frage hat es in sich. Und sie ist oft genug gar nicht von den Planenden beantwortbar.

Sie dann zur Seite zu legen, sie durch aufwändige Werbung, aufsuchende Rekrutierung oder cool klingende Formate zu ersetzen, ist verlockend, aber gefährlich.

Sie muss also beantwortet werden, wenn der Prozess erfolgreich werden soll.

Und gerade, wenn die Antwort schwerfällt, sollten wir partizipativ denken. Also schlicht: Jene Gruppen fragen, die beteiligt werden sollen.

Wie muss der Prozess aussehen? Wie das Thema definiert werden? Welche Wirkungsphantasie muss möglich sein?

Das kann dazu führen, dass am Ende das Prozessdesign bereits deliberativ zustande kommt. Das kann mal zäh wie Kaugummi laufen, mal fix gehen. In jedem Fall aber gilt:

Das ist kein Nachteil, sondern der optimale Start in einen aktiven, breiten und akzeptierten Prozess.

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