#25 | Beschleunigung durch Beteiligung

Wer große Planungsvorhaben beschleunigen will, muss mehr, besser und ehrlicher beteiligen.

Ausgabe #25 | 18. Juni 2020

Beschleunigung durch Beteiligung

In der vergangenen Woche sprachen wir über das gar nicht so primitive Verhältnis zwischen Rechtsstaat und Demokratie. Ich hatte versprochen, das Thema heute fortzusetzen und zu Kommentaren und Meinungsäußerungen eingeladen. Die zahlreichen Zuschriften haben mich sehr gefreut und gezeigt, dass dieses Thema offensichtlich viele von uns beschäftigt.

Die meisten Kommentare drehten sich um die Frage, wie viel Demokratie möglich ist, wenn permanent das Damoklesschwert eines Richterspruchs über den Diskursen schwebt.

Die Klage als „nukleare Option“ in der politischen Auseinandersetzung wird aktuell ganz besonders von der AfD systematisch eingesetzt. Genau jene Partei, die gleichzeitig den Umweltverbänden wegen „Missbrauch“ ihre Klagerechte entziehen will. Aber auch andere Parteien versuchen immer wieder, politische Entscheidungen auf dem Klageweg zu Fall zu bringen. Nicht selten haben solche Klagen auch Erfolg. Eigentlich ein Beleg für einen funktionierenden Rechtsstaat.

Doch was heißt das für die Kernaufgabe der Demokratie: Die organisierte, faire, gemeinwohlorientierte Bearbeitung von Konflikten?

Gibt es also einen Widerspruch zwischen demokratischer Konfliktbearbeitung und Juristischer Klärung? In jüngster Zeit spielt eine Variante dieses Widerspruchs eine große Rolle in den parlamentarischen Debatten.

Angesichts der oft erheblichen Dauer komplexer juristischer Verfahren und der viel zu langen Planungszeit großer Infrastrukturvorhaben gibt es Bestrebungen, die rechtlichen Möglichkeiten zu beschneiden. Zwar steht die Abschaffung z. B. des Verbandsklagerechtes im Umweltschutz nicht zur Diskussion, aber der Wegfall einzelner Klageschritte oder die Verkürzung von Fristen sind durchaus Thema.

Kompensiert werden soll dies u.a. durch mehr und/oder frühere Öffentlichkeitsbeteiligung. Tatsächlich sind entsprechende Gesetze und Verfahren bereits beschlossen.

Die Suche nach einem atomaren Endlager in Deutschland setzt primär auf einen in diesem Umfang bislang nie gekannten Beteiligungsprozess und mehrere Bundestagsentscheidungen, also auf Legalplanung, die weniger leicht beklagbar ist als klassische Verwaltungsakte. Und auch das jüngste Produkt der Planungsbeschleunigung, das so genannte „Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz“ (Ja, es heißt wirklich so) favorisiert diese Kombination.

Klingt nach mehr Demokratie und weniger Justiz. Doch auch hier gilt: So einfach ist das leider nicht zu lösen.

Eine schlichte Aufrechnung von Beteiligung gegen Rechtsweg ist ebenso naiv wie gefährlich.

Am vergangenen Dienstag hielt ich zu genau diesem Thema den Impulsvortrag in einem Fachgespräch der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen. Für den gesamten Vortrag fehlt uns hier der Raum, deshalb hier nur die wesentliche Aussage:

Demokratie und Rechtsstaat, oder Beteiligung und Klage, sind kein Widerspruch, sondern die zwei Enden derselben Treppe.

Werfen wir dazu einen kurzen Blick auf das Eskalationsstufenmodell, das wir im Berlin Institut für Partizipation entwickelt haben und zur Entwicklung von Deeskalationsstrategien einsetzen. Es erlebt übrigens gerade seinen größten Praxistest als Grundlage der Beteiligungsstruktur im Endlagersuchverfahren:

Ziel bei der Bearbeitung von Konflikten muss es sein, sie auf die jeweils nächstniedrigere Stufe zu führen. Denn je weiter „unten“ auf der Treppe wir einen Konflikt behandeln, desto größer ist die demokratische Teilhabe.

Auf dieser Grundlage ist die Vermeidung juristischer Entscheidungen durch deliberative Verfahren ein legitimes und gesellschaftlich anzustrebendes Prinzip.

Das bedeutet jedoch, juristische Pfade nicht (nur) zu beschneiden oder zu beschleunigen, sondern die alternativen, demokratischeren, weniger eskalierenden Stufen dezidiert vorzusehen und ihnen Zeit, Raum, Ressourcen und Wirkungsmacht zu ermöglichen.

Wer meint, diese Stufen überspringen zu können, darf sich nicht wundern, wenn er ganz schnell ganz oben auf der Treppe landet.

Übrigens: Die Verzögerungen unserer großen völlig aus dem Ruder gelaufenen Infrastrukturprojekte in Deutschland wie z. B. die Hamburger Elbphilharmonie, der Flughafen BER oder Stuttgart 21 haben viele Gründe.

Ein keinem einzigen Fall ist es zu viel, zu frühe oder zu gute Beteiligung.

Wer also Planungen beschleunigen, Demokratie stärken, Gesellschaft zusammenführen, Konflikte ernsthaft bearbeiten will, der sollte nicht Rechtswege beschneiden, sondern Beteiligung fördern. Je besser dies gelingt, desto seltener landen wir am oberen Ende der Treppe, desto weniger müssen wir der Justiz den Vorrang vor der Demokratie einräumen.

Klingt einfach, ist es aber mal wieder nicht.

Beteiligung muss dabei schon ernsthaft sein. Ein schön moderierter Workshop mit 20 unbeteiligten Zufallsbürgern mag zwar sexy klingen, aber ernsthafte Beteiligung sieht anders aus. Es braucht frühe, breite, gute und vor allem wirksame Beteiligung, die Konflikte behandelt und nicht ignoriert.

Wie das funktioniert, darüber wollen wir in der kommenden Woche sprechen.

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