#18 | Greta, Michael und Mohandas

Die Fridays For Future Bewegung ist mehr als eine Schulschwänzerclique. Sie ist ein Inkubator für demokratische Innovationen.

Ausgabe #18 | 30. April 2020

Greta, Michael und Mohandas

Was haben Mohandas Karamchand (Mahatma) Gandhi, Michael (Martin Luther) King Jr. und Greta Tintin Eleonora Ernman Thunberg gemeinsam?

Weit mehr als nur ihre unbekannten Vornamen.

Alle drei sind weltberühmt, gelten als Anführer kritischer Bewegungen, wurden bzw. werden von zahlreichen Menschen verehrt, von anderen gehasst. Und vor allem: Alle drei waren eher Medienereignisse als tatsächliche Anführer.

Nichts liegt mir ferner, als die Bedeutung dieser außergewöhnlichen Menschen zu relativieren, ihre Motivation oder ihre Ziele in Frage zu stellen.

Doch alle drei Persönlichkeiten zeigen, dass in einer weitgehend medial vermittelten Welt Einzelpersonen und ihre Wirkung gerne überhöht werden und dabei die tatsächlichen Innovationen und Errungenschaften der von ihnen repräsentierten Bewegungen in den Hintergrund geraten.

Was uns natürlich besonders interessiert, sind die Innovationen und Bereicherungen der demokratischen Kultur, die den jeweiligen Bewegungen zu verdanken ist.

Der Indische Nationalkongress, weder von Gandhi gegründet noch von ihm formell angeführt, aber von ihm beeinflusst, strebte die Befreiung Indiens von der britischen Kolonialherrschaft an.

Die eigentliche Innovation aber war die Idee des gewaltfreien Widerstandes der Menschen gegen ein demokratisch nicht legitimiertes Unrechtsregime. Die praktische Ausentwicklung dieses Konzeptes, das sogar seinen Eingang in das bundesdeutsche Grundgesetz fand, verdanken wir der indischen Freiheitsbewegung, auch, aber bei weitem nicht nur Gandhi.

Martin Luther King war tatsächlich einer der Sprecher des Civil Rights Movement, der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner. Der begnadete Redner war jedoch kein großer Organisator.

Das verlangte auch niemand von ihm. Denn in den 60er Jahren war das Civil Rights Movement in den USA eine Massenbewegung mit ausgefeilten Strukturen und einer klaren politischen Agenda. Durchgesetzt wurde sie letztlich dank der Fokussierung auf eine klare, so historisch in dieser Dimension einmaligen Methode des zivilen Ungehorsams.

Kommen wir zu der spannenden Frage.

Welche Innovation verdanken wir der von Greta Thunberg inspirierten Fridays For Future Bewegung?

Die Schulstreiks? Damit ist die Bewegung bekannt geworden. Mit gewaltfreiem, zivilem Ungehorsam in bester Tradition der Bewegungen, für die Gandhi und King standen.

Doch das wäre, ähnlich wie bei den Bewegungen zuvor, eine verlockende Sackgasse.

Denn es gibt tatsächlich bereits einige Entwicklungen, die ungeheuer spannend sind. Ich hatte in den vergangenen beiden Jahren das Vergnügen, Akteure der Bewegung immer wieder inhaltlich und auch organisatorisch beraten zu dürfen, ich bin also gleichermaßen befangen wie informiert.

Vor allem aber bin ich beeindruckt.

Längst ist die Bewegung nämlich gereift. Schulstreiks, erst kürzlich digital, sind nach wie vor ein Thema. Aber hinzu gekommen sind selbst organisierte Beteiligungsformate und Partizipationsstrukturen, mit denen munter, respektlos aber hoch verantwortungsvoll experimentiert wird.

Tatsächlich beteiligt sich im Rahmen der Bewegung die Jugend selbst. Im Sommercamp 2019 wurden zum Beispiel bewusst Wissenschaftler, aber auch Lobbyisten aus allen politischen Strömungen eingeladen. Sie konnten ihre Sicht auf die Welt darlegen, wurden respektvoll behandelt, aber gnadenlos befragt. Am Ende entstanden Positionspapiere und Dokumente in Eigenregie der jungen Menschen – oft mit einer ungewöhnlichen Qualität.

War das jetzt ein Bürgerrat? Ein Bürgergutachten? Oder irgendein anderes einschlägiges Beteiligungsformat über deren „korrekte“ Ausgestaltung sich die Szene gerne streitet?

Den Jugendlichen war das völlig Wurscht.

Sie fühlten sich wohl dabei, diskutierten auf Augenhöhe, hinterfragten auch ihre eigenen Regeln und Formate und änderten sie bei Bedarf ad hoc. Sie zeigten uns, dass Beteiligung eben doch auch mit Jugendlichen funktioniert – wenn man sie nicht als Objekte, sondern Subjekte der Prozesse sieht.

Inzwischen gab und gibt es zahlreiche weitere Formate, auch digitale. Nicht alle funktionieren auf Anhieb. Aber hier entsteht eine völlig neue Mentalität, die eben nicht darauf wartet, beteiligt zu werden, sondern die Beteiligung als Bestandteil ihrer Kultur sieht.

Es geht sogar noch weiter: Die jungen Menschen beteiligen nun auch Erwachsene und stellen die herkömmlichen Denkstrukturen auf den Kopf: Vor wenigen Wochen wurde von jungen Menschen aus der Fridays For Future Bewegung der Verein one for the planet e.V. gegründet.

Ihr Plan: Möglichst viele Menschen geben jeden Monat genau einen Euro für Umwelt- und Klimaprojekte. Alle gemeinsam entscheiden dann dank eines neuen digitalen Beteiligungstools gemeinsam über die Mittelverwendung. Jeder und jede hat eine Stimme, denn alle geben gleich viel, egal ob Schülerin oder Rentner, Firmenboss oder Krankenpflegerin. Das Beste: Der Verein arbeitet ehrenamtlich, 100% der Mittel werden ausgeschüttet.

Der Verein ist fest in der Hand der jungen Menschen, ich bin der Einzige über 30 im Vorstand und freue mich sehr, das Projekt mit aufbauen zu dürfen.

Sie wollen mehr wissen, mitmachen, auch einen Euro geben und mitentscheiden? Dann schauen Sie mal auf die Webseite des Vereins.

Wir sehen also: Fridays For Future ist nicht nur mehr als Greta Thunberg, so wie alle angesprochenen Bewegungen mehr als ihre medialen Führungsfiguren waren. Fridays For Future ist auch mehr als eine Schulschwänzertruppe.

Es ist ein Inkubator für Partizipationskultur von unten und damit eine Bereicherung für unsere Demokratie.

Ich persönlich lerne gerade viel von den jungen Menschen. Und dafür bin ich dankbar.

Herzlichst, Ihr Jörg Sommer

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