#147 | Platon und die Populisten

Der Umgang mit populistischen Provokateuren in demokratischen Prozessen ist herausfordernd – und das seit über 2.500 Jahren.

Ausgabe #147 | 27. Oktober 2022

Platon und die Populisten

Die griechische Geschichte ist voller Mythen, Legenden und Sagen.

Der Überblick über Zeus, Hades, Poseidon und die vielen anderen Götter, Halbgötter und Helden ist selbst für angehende Historiker*innen eine anspruchsvolle Herausforderung.

Und dann gibt es da noch die nicht minder verwirrende Menge an altgriechischen Philosophen. Ob Sokrates, Aristoteles oder Platon: Ihre Werke beeinflussen noch heute unser politisches Denken.

Vor allem auch deshalb, weil wir unsere heutige Demokratie in zentralen Ideen eben auf jenes antike Griechenland zurückführen.

Das ist im Grunde auch richtig. Aber wir sollten dabei nicht vergessen:

Die griechische Geschichte ist voller Mythen, Legenden und Sagen.

Und tatsächlich sind wir bis heute immer noch dabei, diesen Legenden weitere hinzuzufügen. Aktuell ist es die Debatte um losbasierte Bürgerbeteiligung, zum Beispiel in Form von so genannten Bürgerräten.

Auch die kommen, so die Legende, aus dem alten Griechenland.

Tatsächlich sind sie bestenfalls, und das auch nur mit großzügigster Auslegung der Historie, davon inspiriert.

Denn mit der „griechischen Demokratie“ ist das so eine Sache:

Zunächst einmal sprechen wir nur von einem kleinen Teil Griechenlands. Fast ausnahmslos beziehen sich die historischen Bezüge auf einen einzigen Stadtstaat, nämlich Athen.

Während es hier tatsächlich (in einem historisch relativ kurzen Zeitraum im 5. Jahrhundert vor Christus) spannende demokratische Prozesse gab, herrschten anderswo in Griechenland Stammesführer, Kriegsfürsten, Bandenchefs, Aristokraten. Auch das ebenfalls noch bekannte Sparta war im Grunde eine Oligarchie.

Und selbst zur Blütezeit der attischen Demokratie war die übergroße Mehrheit der Menschen (u. a. Frauen, Sklaven, Arme, Migranten) von demokratischer Teilhabe ausgeschlossen.

Losbasierte „Bürgerräte“ als Beteiligungsformat gab es zu keiner Zeit. Zwar existierte zeitweise ein „Rat der 500“ zu dem freie, über 30-jährige (damals also „alte“) Männer per Losverfahren Zugang hatten.

Es war allerdings ein Gremium, das tatsächlich die alltäglichen Regierungsgeschäfte organisierte. Heute würden wir die Aufgabe als Mischung von Parlaments- und Regierungsfunktionen betrachten.

Der „Rat der 500“, funktionabel in einem historisch kurzen Zeitraum in einer Stadt und im Rahmen einer sklavenhaltenden und frauenfreien Demokratie, war und ist ein hochspannendes Forschungsfeld.

Daraus eine Genese für die aktuellen Bürgerräte (ohne jedes machtpolitische Mandat) in einer umfassenden, vielfältigen und inklusiven Demokratie abzuleiten, gelingt nicht wirklich.

Das macht Bürgerräte nicht weniger spannend.

Es wäre ja auch ein schlechtes Zeichen, wenn wir bei der durchaus angesagten Weiterentwicklung unserer Demokratie auf 2.500 Jahre alte Rezepte zurückgreifen müssten, weil uns nix Neues einfiele.

Doch es gibt keine Gruseligkeit, die man nicht noch toppen könnte. Wenn nämlich in den aktuellen Debatten auch noch die eingangs erwähnten griechischen Philosophen bemüht werden.

Die hatten nämlich mit einer partizipativen Demokratie sehr viel weniger am Hut, als manche ihnen gerne zuschreiben.

Für Sokrates zum Beispiel war die Demokratie im Grunde ein absurdes Konzept, weil sie das Schicksal des Staates in die Hände einer Mehrheit von gewöhnlichen Bürgern legte. Er verglich den Staat mit einem Schiff, das auch nicht dadurch lenkbar sei, dass alle Entscheidungen den Abstimmungen all jener unterworfen würden, die auf dem Schiff reisten.

Auch Aristoteles schwebte als ideale politische Ordnung eine Mischung aus Demokratie und Oligarchie vor.

Und der gerade wieder in Mode kommende Platon konnte mit der Demokratie so gar nichts anfangen. Er zog das undemokratische Sparta dem demokratischen Athen vor und hielt Orientierungslosigkeit, Beliebigkeit und Sittenverfall für Begleiterscheinungen der Demokratie. Monarchie, Aristokratie und „Philosophenherrschaft“ waren in seinem Denken der Demokratie weit überlegen.

So verzerrt also die öffentliche Debatte um die „griechischen“ Wurzeln unserer aktuellen Demokratie oft ist, so nachdenklich machen gerade die Haltungen der doch so anerkannten Philosophen.

Ihre Positionen klingen zum Teil merkwürdig aktuell. Sie haben einen ähnlichen Grundton wie aktuelle rechtspopulistische Argumentationen. Wir würden vermutlich öfter mit Zitaten aus ihren Werken konfrontiert werden, wenn die Vertreter*innen dieser Denkrichtung dazu neigen würden, philosophische Texte zu lesen.

Das ändert jedoch nichts daran, dass gerade die Präferenzen eines Platon oft bei jenen Akteur*innen zu finden sind, die in unseren modernen Beteiligungsprozessen mit Provokationen auffallen.

Das ist dem alten Philosophen nicht vorzuwerfen. Doch die Herausforderung ist real:

Immer wieder treten in Beteiligungsprozessen Menschen auf, für die demokratisch legitimierte Gremien irrelevant sind, Politiker*innen sowieso korrupt, Mehrheiten keine Bedeutung haben und nur die Expertenmeinung zählen sollte.

Sie meinen damit ihre Meinung, denn sie sind der Experte (ja, fast immer sind es Männer).

Das nervt. Und manchmal kippt es die Veranstaltung. Wenn es nicht nur ein Akteur ist, sondern eventuell sogar eine gut organisierte Gruppe. Wenn das Thema Konfliktpotential hat. Wenn zu spät beteiligt wurde. Wenn die Veranstaltung unsensibel geplant und/oder moderiert wird.

In der vergangenen Woche haben wir uns ja schon gemeinsam ein reales Eskalationsbeispiel angeschaut. Dort wurden viele Fehler gemacht.

Aber auch ohne Fehler kann das Nerven kosten – und manche Veranstaltung implodieren lassen.

Ganz verhindern lässt sich das nicht. Aber eine Mischung aus guter Planung und der richtigen Haltung kann dafür sorgen, dass die Bürger*innen, die ihre Zeit opfern und sich dafür echte Beteiligung versprechen, auch eine Chance erhalten, diese zu gestalten.

Viele P’s hatte ich in der letzten Woche versprochen. Nach Platon und den Populisten geht es nun also um den Umgang mit Provokationen.

Und damit es in der Hitze der Debatten auch gut zu merken ist, biete ich Ihnen noch einmal ein paar P’s an. Vier an der Zahl. Vier Grundprinzipien zum Umgang mit populistischen und persönlichen Provokationen:

1. Perfektion:

Machen Sie Ihre Beteiligung gut. Sie muss nicht absolut perfekt sein. Aber so gut wie möglich. Nehmen Sie die 10 Grundsätze guter Beteiligung der Allianz Vielfältige Demokratie als Richtschnur. Gelingt es Ihnen, diese Grundsätze weitgehend umzusetzen, wird Ihre Beteiligung resilient gegen Provokationen aller Art. Warum? Weil die übergroße Mehrheit der Beteiligten den Prozess nicht nur akzeptieren, sondern schätzen wird. Sie will und wird ihn sich nicht kaputtmachen lassen. Im Umgang mit Provokationen werden die Beteiligten so zu Verbündeten.

2. Prozess:

Seien Sie dem Prozess verpflichtet. Klingt einfach, ist aber anspruchsvoll. Es geht nicht darum, dafür zu sorgen, dass ein Ergebnis herauskommt, das Ihnen oder der beteiligenden Institution gefällt. Es geht darum, einen guten Prozess seine Ergebnisse produzieren zu lassen. Das heißt auch: Provokationen exakt so lange zu ertragen, bis sie die Beteiligten im Prozess behindern. Nicht kürzer. Aber auch nicht länger.

3. Partizipativ:

Partizipative Prozesse müssen auch partizipativ verhandelt werden. Ist der Moment gekommen, an dem Provokationen den Prozess gefährden – delegieren Sie den Umgang damit an die Prozessbeteiligten. Sie müssen entscheiden, ob und wie intensiv Sie sich mit Provokation und Provokateur*innen befassen wollen. Wollen Sie es nicht mehr, haben Sie das Mandat, die Sache zu beenden – das kann bis zur Entfernung der Akteur*innen aus dem Prozess gehen.

4. Problem:

Machen Sie nicht zu Ihrem Problem, was nicht Ihr Problem ist. Geht es in einer Provokation um Themen, die gar nicht Gegenstand der Beteiligung sind, gibt es keine Verpflichtung, darauf einzugehen. Geht es um Beteiligungsthemen, geht es alle an. Nicht nur die Moderation oder beteiligende Institution. Und ein guter Prozess kann ganz ausgezeichnet damit umgehen.

Wenn es dann am Ende doch zu dramatischen Eskalationen kommt, liegt es tatsächlich oft daran, dass der Prozess eben doch nicht so gut war, wie gedacht. Das führt uns unmittelbar zur nächsten, spannenden Frage:

Was tun, wenn Korrekturbedarf erkennbar wird? Kann man, darf man, muss man Schwächen oder Fehler in Beteiligungsprozessen zugeben? Und wenn ja, wie gelingt das, ohne ins Chaos abzugleiten? Was hat es mit dem ominösen Begriff des „lernenden Verfahrens“ auf sich?

Wie wird Beteiligung also besser – während sie stattfindet?

Darüber sprechen wir in der kommenden Woche

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