#185 | Pimp My Future!

Junge Menschen sind je nach Perspektive chronisch unpolitisch oder nervige Aktivisten. Dabei könnten sie so viel mehr sein. Wenn die Gesellschaft es zuließe.

Ausgabe #185 | 20. Juli 2023

Pimp My Future!

Ernst war ein Held. Schon vor seinem 16. Geburtstag.

Sogar zweimal rettete der Junge aus einer verarmten Weberfamilie Menschen vor dem Ertrinken. Dafür erhielt er vom Königreich Preußen 1846 die Lebensrettermedaille.

Knapp zwei Jahre bevor Soldaten desselben Königreichs ihn auf offener Straße erschossen.

Denn Ernst Zinna aus Berlin lebte in revolutionären Zeiten.

Die Revolution von 1848/49 gilt als Meilenstein der deutschen Demokratie. Es war der erste, noch unvollendete Versuch, die Monarchie zu beenden und eine Demokratie zu begründen.

Auch 1848 ging es nicht nur um demokratische Rechte allein.

Große Ungleichheit und Ungerechtigkeit herrschte im verkrusteten Preußen. Die Familie Zinna war bettelarm. Ernst versuchte, als Schlosserlehrling der Armut seiner Weber-Familie zu entkommen.

Und er lernte rasch, dass es für einen wie ihn im Preußischen Obrigkeitsstaat lebenslang nur einen Platz geben würden: ganz unten.

Also beteiligte er sich an Straßenblockaden.

Am 18. März 1848 half er bei einer solchen Blockadeaktion. Sie bestand aus einem umgekippten Wagen, einigen Tonnen und Brettern. Besonders stabil war sie nicht.

Als die preußischen Soldaten anrückte, ergriffen die meisten Beteiligten die Flucht. Ernst und sein Freund Heinrich hielten die Stellung. Heinrich mit einem alten Karabiner, Ernst mit einem rostigen Säbel.

Minuten später lagen beide, getroffen von den Schüssen der Soldaten, im eigenen Blut. Heinrich überlebte. Ernst starb am nächsten Tag in der Charité.

Und wurde zum zweiten Mal zum Helden.

Am 19. März wurde König Friedrich Wilhelm IV. gezwungen, ihm und den anderen Getöteten an ihren aufgebahrten Särgen die Ehre zu erweisen.

Auch heute gibt es wieder Bilder von jungen Menschen, die Straßen blockieren.

Ohne Säbel. Doch durchaus nicht ohne Gefahr.

Auch diese jungen Menschen verstehen sich als Demokrat*innen und Streiter für eine bessere Zukunft.

Das sehen nicht alle so.

Und die Chance, dass früher oder später Opfer unter ihnen zu beklagen sind, steigt. Denn die Stimmung ist aufgeheizt und die Übergriffe wutentbrannter Autofahrer werden aggressiver.

Der Vergleich zwischen der Letzten Generation und den Märzrevolutionären von 1848 ist interessant, aber er hinkt natürlich auf vielen Ebenen.

Was wir aber aus beiden und vielen weiteren Geschehnissen lernen können ist eines: Junge Menschen sind durchaus bereit, sich zu engagieren.

Und das auch, wenn es weh tut.

Junge Menschen für Demokratie zu begeistern, ist eine wichtige Aufgabe. Wahlergebnisse und Umfragewerte in allen Teilen Deutschlands belegen das.

Die hohe Zahl an jungen Nichtwählenden ist alarmierend. In Sachsen-Anhalt haben schon bei der vergangenen Landtagswahl mehr jüngere als ältere Menschen die AfD gewählt.

Die Demokratie ist bei jungen Menschen kein Selbstläufer.
Was auch daran liegen kann, dass die meisten so gut wie keine eigenen Erfahrungen mit ihr machen können.

Dabei ist es gar nicht so schwer: Demokratie muss man leben, um sie zu lieben.

Gut, dass es deshalb immer mehr Beteiligungsangebote für junge Menschen gibt. Jugendbeteiligung wird auch in Kommunen immer mehr zum Thema. Und das ist gut so.

Dort wo noch keine dauerhaften Ressourcen zur Verfügung stehen, können einzelne Projekte ein guter Einstieg sein.

Zum Beispiel „Pimp My Future!“.

Das Konzept des niedersächsischen Vereins Politik zum Anfassen e.V. ist clever.

Die Grundidee: Junge Menschen organisieren einen mehrtägigen Nachhaltigkeitskongress für ihre eigene Altersgruppe – unterstützt von erfahren Pädagog*innen.

Dabei arbeiten Kommunen und Schulen zusammen. Das Format verbindet Jugendbeteiligung, Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) und Politische Bildung. Und das mit einer Menge Spaß und, vor allem: Mit konkreter Wirkung.

Denn Kommunalpolitiker*innen werden integriert, sie treten am Abschlusstag in den direkten Dialog mit den Jugendlichen und diskutieren über die Ergebnisse.

Am Ende stehen umsetzbare kreative Ideen für Schule, Kommune und alle Bürgerinnen und Bürger.

Unser Berlin Institut für Partizipation evaluiert das Projekt seit einigen Wochen. Klar ist schon jetzt: Es funktioniert.

Die Organisator*innen suchen aktuell noch einige Partnerkommunen. Die Kosten sind übrigens erstaunlich niedrig, auch weil aktuell die Deutsche Bundesstiftung Umwelt einen erheblichen Teil übernimmt.

Pimp My Future! Ist bei weitem nicht das einzig gute Format der Jugendbeteiligung, aber ein ganz besonderes.

Es verbindet tatsächlich handfeste Ergebnisse mit starken Selbstwirksamkeitserfahrung, es lebt Demokratie. Und es zeigt:

Junge Menschen wollen sich engagieren.

Die Gesellschaft muss es aber auch wollen.

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2 Kommentare
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Ria Hinken
20. Juli 2023 14:36

Geschichte wiederholt sich. Leider wird daraus viel zu wenig gelernt. Ich erlebe viele junge Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen. Auch aus dem Osten Deutschlands. Dort sind es überwiegend die Alten, die rechtsextrem wählen. Schön, dass es „Pimp My Future!“ gibt.

Andrea Czerny
13. September 2023 12:32

Die Demokratie ist bei jungen Menschen kein Selbstläufer.
Was auch daran liegen kann, dass die meisten so gut wie keine eigenen Erfahrungen mit ihr machen können.

Könnte auch das Umgekehrte wahr sein? … dass die meisten nur über die Erfahrung in einer Demokratie zu leben verfügen? Und es als selbverständlich angesehen wird, sich zu äußern? Und sei es in Form des Widerstand leisten.

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