#213 | Schnellere Pferde

Unternehmen haben gelernt, neue Produkte unter enger Einbeziehung von Kunden zu entwickeln. Das gilt auch für Angebote zur politischen Teilhabe.

Ausgabe #213 | 1. Februar 2024

Schnellere Pferde

„Ich glaube schon, dass unsere Kund*innen das wollen …“

Mit diesem Satz fängt das Unglück häufig an. Immer wieder entwickeln Unternehmen Produkte, die keiner braucht, keiner will und oft genug auch keiner kauft.

Immer noch werden vermeintliche Marketing-Genies unter den CEOs gefeiert, Geschichten und Legenden erzählt von Unternehmen, die genau wussten, was die Kund*innen wollten – lange, bevor die selbst es auch nur ahnten.

Das führt dann zu Zitaten wie diesen:

„Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.“
Henry Ford

Tatsächlich gibt es keinen Beleg dafür, dass Ford das jemals gesagt hat.

Und auch an der Legende, dass der Apple Gründer Steve Jobs sich nie um Marktforschung geschert hätte, ist nicht viel dran.

Tatsächlich geben Konzerne wie Ford und Apple jedes Jahr Millionen dafür aus, ihre Kund*innen genau kennenzulernen und sie aktiv in die Produktentwicklung einzubeziehen.

Warum tun sie das?

Weil sie gelernt haben, dass Angebote dann auf Zustimmung stoßen, wenn sie perfekt auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten sind.

Und das fällt nun mal jenen Menschen besonders schwer, die nicht zu dieser Zielgruppe gehören.

Ihnen ist die Kultur, die Sprache, die Denkweise, das Wertegerüst zu fremd. Zu schnell werden vermeintliche Kleinigkeiten übersehen, die ein Produkt oder eine Dienstleistung unnütz oder uninteressant machen.

Was für Computer und Autos gilt, gilt tatsächlich auch für Angebote der politischen Teilhabe.

Sogar noch mehr.

Denn hier geht es nicht um Design oder Technik, sondern um Kultur.

Und wenn da etwas nicht passt, dann geht gar nichts.

Natürlich gibt es Klassiker. So wie eine Bürgerinformationsveranstaltung zur Schulplanung. Terminiert auf einen frühen Nachmittag, wenn die meisten Eltern arbeiten oder ihre Kinder betreuen (was definitiv auch eine Menge Arbeit ist).

Nicht immer ist es so offensichtlich.

Formate, Ansprache, Aufbereitung der Informationen, Terminierung, Ort, Dauer, Moderation – all diese Faktoren müssen für unterschiedliche Gruppen unterschiedlich gedacht und angeboten werden.

Und egal, wie erfahren wir sind: Niemand weiß besser, was für eine Zielgruppe funktioniert – als die Zielgruppe selbst.

Deshalb sollten wir Angebote zur Beteiligung nur in Ausnahmefällen ohne die Beteiligten planen.

Das ist gar nicht so schwer.

Viele Kommunen, in denen ja der größte Teil unserer Beteiligungsangebote organisiert wird, haben eigene Lösungen für diese Herausforderung gefunden.

Manchmal werden für größere Vorhaben schon vor Beginn Projektbeiräte gebildet, mit denen die Ideen zur Beteiligung diskutiert und ggf. modifiziert werden.

Andere Kommunen haben feste Beteiligungsbeiräte, in denen (auch) geloste Bürger*innen (oft gemeinsam mit Verwaltung und Politik) auf Beteiligungsvorhaben schauen und Empfehlungen abgeben.

In Potsdam gibt es einen anderen institutionalisierten Ansatz. Die dortige Werkstadt für Beteiligung besteht zu einer Hälfte aus Mitarbeitenden der Verwaltung, zur anderen Hälfte aus Vertreter*innen der Zivilgesellschaft – und hat sogar aktivierende Aufgaben.

In Berlin gibt es in vielen Bezirken sogenannte „Räume für Beteiligung.“ Das Konzept dort sieht vor, dass die Verwaltung jeweils eng mit einem entsprechend finanzierten zivilgesellschaftlichen Partner zusammen Konzepte entwickelt und umsetzt.

Anderswo werden zivilgesellschaftliche Akteure gleich komplett mit der Umsetzung von Beteiligung in Eigenregie beauftragt. In der Region Freiburg wurde ein kommunenübergreifender Klimabürgerrat von dem gemeinnützigen Verein AllWeDo e.V. verantwortet.

Im oberschwäbischen Mengen organisiert ein Verein mit dem hinreißenden Namen „s‘Blochinger Wichtele“ einen umfassenden Beteiligungsprozess für die Stadt.

Es gibt ganz verschiedene Möglichkeiten, Beteiligung nicht nur für die Bürger*innen, sondern mit den Menschen zu planen und zu realisieren.

Sie sind unterschiedlich aufwändig, nicht immer passt alles für alle.

Aber irgendetwas passt immer.

Und wenn es, ganz einfach und unaufwändig, nur ein paar sogenannte Guerilla-Interviews sind. Dabei werden willkürlich Personen aus der Zielgruppe persönlich kontaktiert, gegebenenfalls auf offener Straße.

Eine kurze, freundliche Ansprache, ein Satz zum Thema und dass man dazu Beteiligungsangebote plant – und um die Meinung zum Vorhaben bittet.

Die meisten Menschen lieben es, wenn sie interessierte Zuhörer*innen haben. Und genau darum geht es. Fragen – und Zuhören.

Die Herausforderung dabei: die richtigen Leute finden. Deshalb bauen Sie ruhig ein paar Qualifizierungsfragen ein, die Ihnen zeigen, ob Sie wirklich Ihre Zielgruppe vor sich haben oder daneben liegen.

Doch selbst in diesem Fall lohnt es sich.

Wertschätzende Ansprache, kompaktes, verständliches Erklären, gutes Zuhören – all das sind Kompetenzen, die Beteiligende brauchen. Und die man lernen kann.

Deshalb schließen wir heute mit einem zweiten Zitat. Wieder von einem Unternehmer. Diesmal aber ein belegtes. Es stammt von der US- Unternehmerlegende Charles Lazarus. Kaum jemand hat in seinem Leben so viel Spielzeug verkauft, wie dieser Mann. Für ihn war immer klar:

„Die meisten Dinge, die wir lernen, lernen wir von den Kunden.“

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