#128 | Wenn’s knallt

Egal ob in der Paarbeziehung oder in politischen Debatten. Immer wieder stellt sich die Frage: Was tun, wenn die Wut ausbricht?

Ausgabe #128 | 16. Juni 2022

Wenn’s knallt

Wussten Sie, dass Pommes lebensgefährlich sind? Schon eine Portion kann zu schweren inneren Verletzungen führen.

So wie beim Briten Simon Hill.

Er besuchte gemeinsam mit seiner Partnerin Diane Freunde. Dort gab es Pommes. Die waren lecker. Simon war hungrig. Und ehe Diane sich versah, hatte Simon auch ihre Portion vertilgt.

Das machte sie so wütend, dass sie ihrem Freund zunächst eine Ohrfeige verpasste, anschließend ein Messer aus der Küche holte und mehrfach auf ihn einstach.

Simon überlebte. Diane landete im Gefängnis.

Solche Ereignisse sind gar nicht so selten. Tatsächlich gibt es mehrere Fälle von „pommesbedingter Gewalt“ und unendlich viel vergleichbar geringfügige Auslöser von Beziehungskatastrophen.

Längst nicht immer liegt es an durchgeknallten oder zwangsgestörten Partnerinnen oder Partnern.

Wir alle haben schon ähnliche Erfahrungen gemacht oder zumindest von ihnen gehört: Marginale Anlässe führen zu dramatischen Eskalationen, oft in kürzester Zeit.

Wenn Wut ins Spiel kommt, wird es gefährlich.

Die Psychologie grenzt Wut von Zorn und Ärger ab. Sie weist ihnen unterschiedliche Bezüge, Entstehungspfade und Intensitäten zu. Die Beschäftigung mit deren Feinheiten ist hoch spannend.

Doch in unserem Newsletter geht es ja um Fragen der Demokratie. Und da leisten wir uns heute ausnahmsweise einmal eine etwas saloppe Gleichsetzung.

Denn wir wollen darüber sprechen, was Wutausbrüche in demokratischen Prozessen anrichten können.

Und tatsächlich gibt es auch in Debatten, Diskursen und Beteiligungsprozessen immer wieder Menschen, die uns mit einem Wutausbruch konfrontieren.

Die Gründe dafür können Kleinigkeiten sein, oft geht es sogar erkennbar um Themen, die eigentlich gar nicht zur Debatte stehen. Jeder Außenstehende würde, ähnlich wie bei den Pommes von Simon und Diane, kopfschüttelnd reagieren.

In beiden Fällen ist der Grund derselbe: Negative Emotionen wurden lange unterdrückt.

Deshalb sind sie nicht verschwunden.

Im Gegenteil, weitere Frustrationen kamen hinzu, die vorhandenen gärten immer weiter und irgendwann reicht dann ein an sich harmloser Funke, um das Pulverfass zur Explosion zu bringen.

Bei den Wutausbrüchen in Diskursen kommen noch weitere verschärfende Faktoren hinzu:

Wie in einer Partnerschaft handelt es sich auch hier um Beziehungsfrustrationen. Es geht dabei allerdings nicht um die Beziehung zu einem Partner oder einer Partnerin, sondern um die Beziehung zur Gesellschaft oder Teilen von ihnen.

Das können „die“ Politiker*innen sein, die Medien, bestimmte Bevölkerungsgruppen oder die ganze Demokratie an sich.

Und wenn in einer Partnerschaft das Unvermögen beider Partner, über negative Emotionen zu sprechen, eine weitere Eskalation bis zum tipping point forciert, so gilt Ähnliches auch im gesellschaftlichen Rahmen. Die verbreitete Äußerung, man könne „in unserem Land nicht mehr alles sagen“, ist ein Ausdruck dieser Wahrnehmung.

Wer seiner Wut dennoch Ausdruck verlieht, nutzt dabei fast immer eine aggressive Wortwahl. Und schnell gerät man wegen dieser Worte in Kritik.

Wer diese Kritik nicht aushält – eben, weil er oder sie bei diesem Thema bereits stark negativ emotionalisiert ist, unterdrückt die Emotionen weiter – oder sucht sich Blasen, in denen er oder sie „verstanden wird.“

Beides lädt das „Wutkonto“ weiter auf. Und irgendwann ist eine Teilnahme an Diskursen mit Andersdenkenden schlicht nicht mehr möglich.

Was aber heißt das für jene, die in solchen Diskursen die Wutexplosion als Teilnehmende oder Moderierende überrascht und ungefiltert abbekommen?

Beide werden behandelt wie der arme Simon in unserem Beispiel. Doch anders als er haben sie in der Regel keinerlei persönlichen Beitrag zu dieser Eskalation geleistet.

Haben die Betroffenen also ein Recht darauf, sich eine solche Eskalation empört zu verbitten?

Ohne Zweifel.

Sollten sie das tun?

Keinesfalls.

Solange keine Küchenmesser ins Spiel kommen, sondern „nur“ verbale Aggression vorliegt, sollten wir an die vielen Wutausbrüche in Beziehungen denken, die wir kennen.

Hier wie dort ist die These, der Wütende sei einfach „irre“ bestechend, aber fast immer falsch.

Auch wenn es wehtut, mit Aggression konfrontiert zu werden, für die man nichts kann: Aushalten, durchhalten, inhaltlich und nicht abschätzig reagieren, ist der beste Weg. Fast immer funktioniert es. Ist erst etwas Dampf aus dem Kessel, werden auch wieder kritische Gespräche möglich.

Tatsächlich ist es erheblich leichter, entspannt zu bleiben, wenn man gar nicht persönlich verantwortlich ist.

Und wenn es doch schwerfällt: Nehmen wir es als Training für die nächste vergleichbare Situation in Beziehung oder Familie.

Wer pubertierende Teenager im Hause hat, weiß, wovon ich spreche.

Ob in Paarbeziehungen oder im gesellschaftlichen Kontext, in der Regel zeigen solche Ausbrüche vor allem eines: Die Beziehungsstruktur ist problematisch und es gibt offensichtlich zu wenig Chancen, negative Themen frühzeitig zu thematisieren.

Für Paartherapeut*innen ist das das Kerngeschäft.

Im Bereich gesellschaftlicher Teilhabe heißt das: Wenn es in kritischen Diskursen zu oft knallt, bieten wir möglicherweise zu wenig davon an.

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