#169 | Resonanz

Demokratie braucht Religion. Sagt der Soziologe Hartmut Rosa. Wie kommt er darauf?

Ausgabe #169 | 30. März 2023

Resonanz

Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte von Kriegen und Gewalt.

Erstaunlich oft waren und sind diese Auseinandersetzungen religiös motiviert. Ob Hexenverfolgung, Kreuzzüge, mittelalterliche Pogrome, moderne Genozide: Religion spielt bis heute oft eine entscheidende Rolle.

Religionen befinden sich in Konkurrenz, Kirchen allemal. Und oft genug sind diese Kirchen autoritär organisiert, was nicht nur Missbrauch fördert, sondern auch Innovation hemmt.

Die Katholische Kirche in Deutschland hat sich über Jahre im sogenannten „synodalen Weg“ um Reformen bemüht. In diesem Monat endete er – ohne dass sich die Kurie in Rom von den Ergebnissen bislang auch nur zu einem minimalen Reförmchen veranlasst sah.

Wenn wir also an Demokratie denken, an Dialog, an Deliberation auf Augenhöhe – dann fallen uns viele Strukturen und Prozesse ein. Kirche kommt uns da eher nicht in den Sinn.

Und dann gibt es da das relativ neue Buch des bekannten Soziologen Hartmut Rosa. Mit dem Titel: „Demokratie braucht Religion“.

Für Rosa sind Kirchen gar „Trainingsplätze für funktionierende Demokratie“.

Das ist starker Tobak für die vielen Menschen, die gerade der katholischen Kirche den Rücken kehren – weil sie dort viel erleben, aber keine Demokratie.

Hartmut Rosa hat nun nicht den Ruf, populistische Bücher zu schreiben und mit überspitzten Formulierungen dafür zu werben. Wenn Rosa das so formuliert, dann meint er das auch so.

Unterstützung bekommt er gar vom bekennenden Atheisten Gregor Gysi. Der schreibt in seinem Vorwort zu Rosas Buch:

„… es sind eben zur Zeit nur die Religionen wirklich in der Lage, grundlegende Moral- und Wertvorstellungen allgemeinverbindlich in der Gesellschaft prägen zu können.“

Ob angesichts der Missbrauchsskandale und Kirchenaustritte die Religionen wenigstens in Deutschland dazu wirklich noch die nötige Autorität haben, darf zumindest bezweifelt werden.

Doch Rosa geht es um etwas anderes, wenn er von der „nötigen“ Religion für die Demokratie spricht.

Rosa geht es um Resonanz.

Sein Resonanz-Begriff ist umfassend und er versucht damit sowohl die Krise der Demokratie zu erklären als auch Lösungspfade aufzuzeichnen. Er beschreibt Resonanz als

„ … die Bereitschaft, sich vom anderen berühren und verwandeln zu lassen. In einer funktionierenden Demokratie tolerieren sich Bürgerinnen und Bürger nicht nur, sondern sie glauben den anderen so erreichen zu können, dass die Dinge in Bewegung kommen. Sie sind überzeugt, dass sie die Beziehung zueinander brauchen, um den anderen zu verändern, aber auch um sich selbst zu entwickeln. Demokratie setzt den Glauben voraus, dass man sich wechselseitig transformieren und so auch das Gemeinwesen in eine gute Richtung lenken kann.“

Das ist nachvollziehbar – und beschreibt treffend die aktuellen Defizite im politischen Diskurs.

Die Brücke zur Religion schlägt Rosa über den Begriff der „hörenden Herzen“ aus der Bibel. Dort bittet König Salomon Gott um ein hörendes Herz – damit er besser regieren könne.

Dieses hörende Herz, also das Zuhören im Wissen und Willen sich dadurch selbst zu verändern, ist für Rosa die wichtige gemeinsame Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie.

Dieses hörende Herz muss trainiert werden, sagt Rosa:

„Religion versucht, die Grundsteine für hörende Herzen zu legen und diese Haltung auch praktisch einzuüben. Zum Beispiel im Gebet.“

Rosa formuliert auch ganz konkret, dass Religion eine „Schule für die Demokratie“ sein kann.

Das kann sie sein. Oft genug ist sie es nicht. Tatsächlich braucht die Demokratie keine Religion, um Resonanz zu erzeugen und die dafür nötigen Kompetenzen zu trainieren:

Nichts anderes geschieht dort, wo gute Bürgerbeteiligung praktiziert wird.

„Die Minderheit muss die Erfahrung machen, dass sie gehört wird und dass darauf geantwortet wird – und zwar in einer Weise, welche die Sichtweisen aufnimmt und akzeptiert und nicht einfach zurückweist als Minderheitsposition.“

Diese Forderung von Rosa wird in guten Beteiligungsprozessen eingelöst. Ganz ohne religiösen Anspruch.

Rosa hat sicher recht, wenn er feststellt, dass unsere Demokratie mehr Resonanz braucht. Aber ob sie deshalb auch mehr Religion braucht?

Die Geschichte hat im Grunde gezeigt: Die meisten Religionen, vor allem aber die meisten Kirchen kommen auch (und manchmal gerade) in nichtdemokratischen Gesellschaften sehr gut zurecht.

Umgekehrt ist die Geschichte der Demokratien eben auch geprägt durch die Befreiung von kirchlichen Zwängen und Dominanzen.

Demokratie und Religion ist nicht zwangsläufig ein Widerspruch.

Dass Demokratie (mehr) Religion braucht, bleibt aber zumindest eine diskussionswürdige These.

Mehr Resonanz, auch im Sinne von Rosa, braucht schlicht mehr dialogische Diskurse. Von denen gibt es noch zu wenige. Da brauchen wir mehr. Wenn unsere Kirchen dazu beitragen wollen: gerne!

Tatsächlich gibt es da großes Potential, und offensichtlich auch bei den Gläubigen ein großes Bedürfnis. Nicht nur in der Katholischen Kirche. Mehr Beteiligung täte auch da gut – und ist durch mehr Gebete nicht zu ersetzen.

Zu guter Beteiligung von und in Kirchen gehört aber – wie in der Gesellschaft – auch: Ohne Wirksamkeit ist sie wenig wert.

Denn Resonanz bedarf, um nachhaltig wirksam zu sein, eben auch eines weiteren Faktors:

Relevanz.

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