#161 | Die Sache mit der Matrix

Warum nur werden demokratische Prozesse oft von Unternehmensberatern gestaltet? Und warum geht das immer wieder schief?

Ausgabe #161 | 2. Februar 2023

Die Sache mit der Matrix

Sie heißen Deloitte, Accenture, KPMG, McKinsey oder PricewaterhouseCoopers.

Jahr für Jahr setzen allein diese fünf Firmen weltweit rund 100 Milliarden Euro um.

Ihr Job: Unternehmensberatung.

Die Branche ist lukrativ, aber auch knallhart umkämpft.

Kein Wunder, dass dort ständig neue Beratungsleistungen und Geschäftsmodelle entwickelt werden. Und seit geraumer Zeit gehört auch „Demokratie“ zu den interessanten Branchen.

Ob Wahlkampfberatung, Kandidatenentwicklung, Kommunikations- oder gar komplette Organisationsberatung für Parteien und politische Organisationen – es gibt Nichts, wo Unternehmensberatungen nicht unterwegs sind.

Das gilt auch für die politische Teilhabe, für dialogische Prozesse, Akzeptanzbeschaffung für große Infrastrukturvorhaben und ganz klassische Bürgerbeteiligung in vielen Formaten und Konstellationen.

Auch einer der größten deutschen Dienstleister im Beteiligungssektor, das „Institut für Organisationskommunikation“ oder kurz IFOK, aktiv u. a. für viele Ministerien und in der Organisation von Bürgerräten von Anfang an dabei, ist eine Tochter des US-amerikanischen Beratungsunternehmens Cadmus Group.

Warum ist es spannend, dass zunehmend Big Player aus dem Beratungs-Business auch in Beteiligungsfragen mitmischen?

Gleich aus mehreren Gründen.

Es bringt eine Dienstleistungsbranche unter Druck, die bislang eher von mittelständischen, inhabergeführten Unternehmen geprägt wurde, die oft stark intrinsisch motiviert sind. Sie wollen gut beteiligen.

Unternehmensberatungen wollen erfolgreich, effizient, ergebnisorientiert beteiligen. Das machen sie vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in der Unternehmensberatung.

Und tatsächlich kann dies zu sehr merkwürdigen Prozessen führen.

In der vergangenen Woche haben wir uns das Feld der Jugendbeteiligung genauer angesehen. Dazu haben wir eine aktuelle Studie betrachtet, die Jugendliche in zwei Gruppen einteilt: „aktivistische“ und „kooperative“ Jugendliche. Und beiden unterschiedliche Beteiligungsmöglichkeiten anbieten möchte.

Heute wollen wir über die Frage sprechen, wie man die „Richtigen“ beteiligt. Und das können oft eben genau die „Nichtkooperativen“ und „Nichtaktivistischen“ sein.

Denn Beteiligungsangebote in einer Demokratie sollen neue Möglichkeiten vor allem für jene schaffen, die in den herkömmlichen (also repräsentativen) Strukturen keine oder ungenügende Wirksamkeit entfalten können. Denn sonst bräuchten wir die Beteiligung nicht.

Und jetzt kommt der kulturelle und methodische Ansatz ins Spiel, den die eingangs erwähnten Unternehmensberatungen pflegen.

Der Klassiker bei der Suche nach denen, die zu beteiligen sind, ist die Stakeholderanalyse. Und da sind die Unternehmensberater*innen besonders stark. Ihnen haben wir u. a. die sogenannte Stakeholder-Matrix zu verdanken.

Sie ist im Grunde simpel und besteht aus vier Feldern, definiert durch zwei Achsen. Diese bilden den Grad des Interesses und den Grad des Einflusses ab.

Alle Stakeholder werden dort platziert und landen so letztlich mehr oder weniger klar in einem von vier Feldern: Sie sind

  • einflussreich und interessiert oder
  • einflussreich und nicht interessiert oder
  • interessiert aber ohne Einfluss oder
  • weder interessiert noch einflussreich.

So weit, so gut. Doch die Einteilung hat natürlich Folgen. Die klassische Stakeholder-Matrix sagt uns:

  • Die einflusslosen Uninteressierten: beobachten.
  • Die einflusslosen Interessierten: informieren.
  • Die einflussreichen Uninteressierten: konsultieren.
  • Die einflussreichen Interessierten: beteiligen.

Das liegt nahe und ist ein gutes Konzept, wenn man in einem Unternehmen ein IT-Projekt erfolgreich managen will. Es kann sogar in der Öffentlichkeitsbeteiligung hilfreich sein, wenn es darum geht, wie zum Beispiel Umwelt-NGOs bei einer Infrastrukturmaßnahme behandelt werden sollen.

In der vergangenen Woche sprachen wir aber über Jugendbeteiligung. Und hier wäre die Matrix fatal. Denn die einflussreichen Interessierten sind genau jene, die bereits einen vergleichsweise hohen Grad an Wirksamkeit ausüben und erleben.

Doppelt problematisch ist es, weil dies auch genau die Gruppe ist, die am leichtesten erreicht werden kann.

Ein wunderbares Beispiel dafür, wo man landen kann, wenn man Beteiligung in Tradition der Unternehmensberatung plant: in einer Sackgasse.

Das heißt nicht, dass wir nicht Tools und Formate aus der Unternehmensberatung in der Planung von Beteiligungsprozessen nutzen sollten. Selbst die Stakeholder-Matrix kann hilfreich sein.

Ich persönlich nutze sie quasi immer.

Nur mit einem gänzlich anderen Mindset. Auch wir lokalisieren die unterschiedlichen Gruppen in dieser Matrix. Und das möglichst kleinteilig. Die „Jugendgruppen“ in einer Kommune wäre da zum Beispiel ein viel zu grobes Raster. Denn eine Skater-Clique ist etwas völlig anderes als eine katholische Jugendgruppe, lose Verbünde von migrantischen Jugendlichen sind mit einer Juso-Ortsgruppe nicht vergleichbar.

Sie alle verorten wir in der Matrix. Und dann lesen wir nicht ab, wen wir beteiligen sollten, sondern wir tun etwas völlig anderes: Wir denken darüber nach, wie wir möglichst viele der Gruppen in dieser Matrix bewegen können – in das Feld oben rechts. Wie wir sie also dabei unterstützen können, dass sie zu Interessierten UND Einflussreichen werden.

Denn genau darum geht es.

So ist in der Beteiligungskultur die Stakeholder-Matrix also kein Selektionsmodell, sondern ein Leitfaden für die Prozessplanung.

Tatsächlich nutzen wir im Berlin Institut für Partizipation für das Design demokratischer Prozesse knapp zwei Dutzend Tools aus der klassischen Unternehmensberatung – jedes einzelne aber anders als die McKinseys dieser Welt.

Doch zurück zur Matrix.

Sie macht uns die Arbeit nämlich leichter, indem sie es uns schwerer macht.

Wenn wir nicht mehr nur die interessierten Einflussreichen beteiligen, sondern beteiligen, um Menschen die Chance zu geben, interessiert und einflussreich zu werden …

… dann stellt sich die Frage, wie wir diese Menschen zur Beteiligung motivieren.

Dazu schauen wir uns in der kommenden Woche ein paar Tools & Tipps an.

Dazu die Spoiler-Warnung: Es hat wenig mit Einfluss zu tun, aber viel mit Interesse …

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