#286 | Satelliten

Der „Sputnik-Schock“ im Jahr 1957 hat die Welt verändert. Und uns ein wichtiges Werkzeug in der Beteiligung beschert.

Ausgabe #286 | 26. Juni 2025

Satelliten

Der 4. Oktober 1957 ist bis heute ein Datum, das in Rüstungsunternehmen weltweit gefeiert wird.

An diesem Tag geschah etwas, dass der Branche nie für möglich gehaltene Rekordgeschäfte bescherte. Und das über einen langen Zeitraum.

Der erste von Menschen konstruierte Satellit startete erfolgreich in den Weltraum. Entwickelt und realisiert ausgerechnet in der Sowjetunion.

Der Westen war schockiert.

Vor allem über die Trägerrakete R-7. Denn damit wurde offensichtlich, dass die Sowjetunion in der Lage war, das Territorium der USA binnen weniger Minuten mit nuklear bestückten Raketen zu erreichen.

Durch einen Rechenfehler der CIA, die das Startgewicht der Rakete um über 100 % zu hoch einschätzte, bekam die Situation noch mehr Dramatik. Die Wirkung auf den Westen war so immens, dass der Vorfall als „Sputnik-Schock“ in die Geschichte einging.

Selbst die Regierenden in der Sowjetunion waren davon überrascht.

Schnell aber witterten sie die Chance, durch den Vorsprung in der Raumfahrtechnik auch die Überlegenheit des Kommunismus zu demonstrieren. Sie gaben ungeheure Mittel frei, um dann vier Jahre später mit Juri Gagarin den ersten Menschen ins Weltall zu schicken, wenige Monate vor den Amerikanern.

Den Westen stürzte das tatsächlich in eine Krise.

Demokratie und freie Marktwirtschaft galten dort als naturgemäß überlegen. Sputnik hatte diese Überlegenheit pulverisiert. So führte der Sputnik-Schock zu zwei Reaktionen. Zunächst einmal zu einem Turbo für das globale Wettrüsten.

Aber auch zu einer kritischen Reflexion der gesellschaftlichen Strukturen, die für Innovation und Fortschritt zuständig waren.

Insbesondere in den USA wurde der Ruf nach einer grundlegenden Reform des Bildungssystems laut. Es sollte besser, effizienter, erfolgreicher werden. Denn es galt, den Kommunismus beim Wettlauf ins All zu schlagen.

Durch US-Präsident Dwight D. Eisenhower, der in einer Rede der Bildungspolitik einen höheren Stellenwert als der Raketenproduktion gab, wurde das Federal-aid-to-Education-Programm aufgelegt.

Dieses Programm hatte ein Gesamtvolumen von damals sagenhaften 1,6 Milliarden Dollar.

Damit sollten nicht nur High Potentials gefördert werden. Viel Geld floss auch in die Förderung bislang bildungsferner Schichten. Im Grunde ist die breite Schulbildung in den USA erst in diesem Rahmen implementiert worden.

Und weil so viel Geld investiert wurde, wollte man natürlich auch wissen, wo dieses Geld wirklich Wirkung erzielte.

Das führte neben der Aufrüstung zu einem zweiten Boom:

Dem weltweiten Siegeszug der Evaluation.

Evaluation meint grob vereinfacht die grundsätzliche Untersuchung, ob und inwieweit etwas geeignet erscheint, einen angestrebten Zweck zu erfüllen.

Seit den 30er Jahren schon gab es zunehmend Ideen und Projekte der Evaluation nicht nur von Bildung, sondern auch von anderen gesellschaftlichen Prozessen. Doch die Entwicklung verlief langsam, stockend und stagnierte nach dem Zweiten Weltkrieg.

Nun aber flossen Milliarden in die Bildung und Millionen in die Entwicklung von Evaluationsmodellen und -techniken.

Das führte zu einer Professionalisierung. Die Methoden wurden besser, Standards etablierten sich, Berufsverbände entstanden, akademische Schwerpunkte bildeten sich heraus.

In Deutschland dauerte es ein wenig länger. Öffentlich gefördert wurde Evaluation bei uns ab Anfang der 70er Jahre. Heute haben wir auch bei uns eine solide Evaluationskultur.

In der Bildung.

In der Beteiligung ist Evaluation noch weniger verbreitet.

Aber es gibt sie. Und das ist wichtig. Der letzte der 10 Grundsätze Guter Beteiligung, entwickelt von der Allianz Vielfältige Demokratie, lautet: „Gute Bürgerbeteiligung lernt aus Erfahrung.“

Und genau dafür braucht es Evaluation.

Das Berlin Institut für Partizipation evaluiert regelmäßig Kommunen, Prozesse und Programme im Rahmen eines eigens für Beteiligung entwickelten Verfahrens, das 84 verschiedene Indikatoren prüft.

Doch noch längst ist Evaluation in der Praxis eher die Ausnahme als die Regel.

Erst gestern habe ich als Mitglied der Jury für die bundesweite Auszeichnung „Gute Bürgerbeteiligung“ 11 Beteiligungsprozesse bewertet.

Obwohl explizit Bestandteil der Ausschreibung, konnte ich nur in einem dieser Prozesse erkennen, dass eine Evaluation stattgefunden hat.

Diese Quote entspricht auch in etwa der breiten Beteiligungspraxis.

Und das ist wenig. Zu wenig, um in dem jungen Feld der Beteiligung die Qualität so zu verbessern, wie es möglich und nötig wäre.

Deshalb ist Evaluation auch ein Thema im Zertifikatslehrgang Beteiligungsmanagement, so wie heute am letzten Tag des zweiten Lehrgangs.

Eigenevaluation ist durchaus möglich. Das spart nicht nur Kosten, sondern baut vor allem Kompetenz im eigenen Team auf.

Ob eine einzelne Veranstaltung, ein einfaches Beteiligungsprojekt oder ein komplexer Prozess: Dank bewährter und einfacher Evaluationstechniken können wir viel aus eigenen Erfahrungen lernen.

Die Teilnehmenden des Zertifikatslehrgangs erhalten dazu umfangreiche Checklisten und methodische Anleitungen.

Darunter eine Checkliste mit 24 Fragen zur Eigenevaluation, die vom Berlin Institut für Partizipation entwickelt wurde.

Die Leserinnen und Leser dieses Newsletters können diese Checkliste ebenfalls erhalten – eine einfache Mail an redaktion@demokratie.plus genügt.

Denn Beteiligung ist eine Kulturtechnik. Und dafür gelten stets dieselben beiden Regeln: Wir werden besser, indem wir sie praktizieren – und aus unseren Fehlern und Erfolgen lernen.

Da ist ein regelmäßiger Blick von außen hilfreich.

Noch wichtiger aber ist ein regelmäßiger Blick nach innen.

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