#203 | Wenn Angst regiert

Eine der größten Herausforderung in unsere Demokratie ist die Überwindung der Sprachlosigkeit.

Ausgabe #203 | 23. November 2023

Wenn Angst regiert

Bürgermeister*innen und kommunalpolitische Führungskräfte zu beraten, gehört zu den Kernaufgaben des Berlin Instituts für Partizipation. Allein in der vergangenen Woche waren es 21 Gespräche. Nur bei mir.

Auch, weil zwei es kommunalpolitische Kongresse auf der Agenda gab.

Die Gespräche waren immer spannend, die Breite der Erfahrungen und Einstellungen zu Bürgerbeteiligung enorm.

Da gab es den frischgewählten Ortsvorsteher, der unbedingt beteiligen will, aber nicht weiß, wie er starten soll.

Oder die Leiterin eines Fachamtes, deren Beteiligungsideen regelmäßig daran scheitern, dass ihre Mitarbeitenden weder Zeit noch Lust auf Debatten mit Einwohner*innen ihrer Kleinstadt haben.

Besonders einprägsam war die Äußerung eines langjährigen Bürgermeisters einer ostdeutschen Gemeinde: „Meine Bürger sind so sauer, dass jede Fragestunde im Gemeinderat eskaliert. Da werde ich doch nicht noch zusätzlichen Raum für Streitereien bieten!“

Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Beteiligung kostet. Geld, Zeit, Nerven. Sie bereitet Schmerzen, sorgt für Stress und Verletzungen.

Das stimmt.

Was aber auch stimmt: Gerade dann, wenn die Stimmung zwischen Kommunalpolitik, Verwaltung und der Bürgerschaft im Keller ist, zeigt das oft vor allem eines:

Es gibt einen Dialogstau.

Sind Konflikte nicht bearbeitet, fühlen sich Bürger*innen nicht gehört, wird bei Kritik immer wieder auf Formalia, Nichtzuständigkeit oder robuste Wahlmandate verwiesen, regiert Sprachlosigkeit zwischen den Akteuren, dann stauen sich viele Dinge auf.

Das geht lange mehr oder weniger gut. Doch der Ton verschärft sich. Das löst bei den Verantwortlichen vor allem einen Impuls aus: noch weniger Dialoginteresse.

Das ist absolut verständlich.

Und absolut gefährlich.

Denn Zorn verraucht selten von alleine. In den sozialen Blasen, die sich sehr schnell um frustrierte Gruppen bilden, findet er ein perfektes Gärbecken.

Verbale, selbst körperliche Angriffe sind die Folgen.

Das sorgt für Ängste bei jenen, über die sich der Zorn entlädt.
Doch Angst war schon immer ein gefährlicher Ratgeber.

Wenn Angst regiert, in den Köpfen der Regierenden und damit auch in deren Handeln, dann ist der Punkt erreicht, an dem alles nur noch schlechter werden kann. Dann schlägt die Stunde jener, die auf Angst, Frust und Wut populistische Antworten präsentieren und Demokratie attackieren.

Mit dem Finger auf diese Akteur*innen zu zeigen, ist richtig. Aber das alleine nutzt nichts. Den Teufelskreis zu durchbrechen heißt:

Genau das tun, was zuvor zu wenig getan wurde.

Miteinander sprechen. Zu Anfang vor allem: miteinander streiten. Den Dialogstau aufzulösen ist erstaunlich einfach – aber eben eines garantiert nicht: schmerzfrei.

Die eigenen, persönlichen und institutionellen Vorbehalte zu überwinden, ist dabei der entscheidende Schritt.

Zu wenig Zeit, zu wenig Geld, zu wenig Personal, zu ätzende Kritiker*innen – es lassen sich viele Gründe finden, es nicht zu tun.

Doch kein Einziger ist durchschlagend. Alle Gegenargumente sind immer nur so gut, wie die Angst vor Beteiligung groß ist.

Kennen auch Sie Kolleg*innen, Vorgesetzte, Mitarbeitende, die gute Gründe finden, um nicht in den Dialog gehen zu müssen?

In der Debatte mit ihnen kann vielleicht eine neue Broschüre helfen, die die Allianz Vielfältige Demokratie jetzt veröffentlicht hat.

Darin werden die zehn häufigsten Vorbehalte gegen Bürgerbeteiligung gesammelt – und ihnen fundierte Argumente aus der täglichen Praxis entgegengesetzt.

In diese Publikation sind umfangreiche Erfahrungen der Mitglieder der Allianz Vielfältige Demokratie eingeflossen, die unzählige Beteiligungsprozesse überall in Deutschland initiiert, geplant, moderiert und evaluiert haben.

Die Broschüre ist aus der Praxis für die Praxis entstanden. Weil die Verfasser*innen davon überzeugt sind, dass es viele gute Gründe für Bürgerbeteiligung gibt, vor allem aber einen: Weil’s hilft. Dabei, das kommunale Miteinander besser, konstruktiver, gewinnbringender zu gestalten.

Die Broschüre kann kostenlos auf der Webseite der Allianz heruntergeladen werden. Teilen Sie sie auch gerne in Ihren Netzwerken.

Auch sie kann keine Wunder bewirken, aber in den täglichen Debatten vor Ort unterstützen.

Denn wenn wir unsere Demokratie tatsächlich stärken wollen, dann kann der Weg immer nur heißen: mehr Demokratie. Mehr Dialoge. Mehr Beteiligung.

Richtig teuer wird Beteiligung tatsächlich nur, wenn wir sie nicht anbieten. Dann bezahlen wir irgendwann möglicherweise den ultimativen Preis.

Und das ist keine Option.

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