#218 | Squadification

Kennen Sie das Spotify-Modell? Das Unternehmen hat eine ganz besondere Arbeitsorganisation. Mit Potential auch für demokratische Prozesse.

Ausgabe #218 | 7. März 2024

Squadification

Daniel Ek war schon als Teenager ein ziemlicher Nerd. Er beherrschte schon früh eine Menge Programmiersprachen und bewarb sich bereits mit 16 Jahren bei Google.

Die hatten kein Interesse an dem jungen Schweden. Also jobbte er sich eine Weile quer durch den IT-Bereich und gründete schließlich ein Startup.

Das hieß TradeDoubler und soll uns hier nicht weiter interessieren. Auch nicht die nächste Firma, die er leitete. Deren Name war Advertigo.

Bei Advertigo lernte er allerdings Martin Lorentzon kennen. Einen weiteren Schweden mit Innovationsfaible.

Zusammen gründeten sie 2006 ein Unternehmen, das zwei Jahre ziemlich unbekannt blieb. Weil die Gründer zunächst einmal eine Menge Menschen in der Musikszene von ihrer Idee überzeugen mussten.

Das gelang.

Und so erblickte im Oktober 2008 eine Plattform die Welt, die das Musikbusiness auf den Kopf stellen sollte:

Spotify

Das Konzept: Alle angebotenen Songs werden von Musiklabels zur Verfügung gestellt und lizenziert.

Diese Lizenzgebühren lassen sich die Spotify-Gründer wiederum durch zwei verschiedene Strategien bezahlen. Entweder die Kund*innen kaufen ein Abonnement oder sie müssen Werbeeinblendungen akzeptieren.

Heute ist Spotify ein Gigant. Täglich kommen dort bis zu 60.000 Songs neu hinzu.

Ek und Lorentzon wurden zu Milliardären. Nicht nur wegen ihrer innovativen Idee. Sondern auch, weil sie ihr Unternehmen völlig anders organisiert haben als klassische Firmen.

Bei Spotify gibt es keine Geschäftsfelder, Bereiche oder Abteilungen, sondern eher so etwas wie organisiertes Chaos. Strukturell organisiert sich Spotify in Tribes, Squads, Chapters und Guilds.

Squads sind im wesentlichen kleine crossfunktional besetzte Teams. Sie haben dieVerantwortung für einen ausgewählten Bereich, ein Thema oder ein feature. Ein Squad ist von der Idee, über die Konzeption und Entwicklung bis hin zum kommerziellen Erfolg autonom verantwortlich.

Ein Spotify-Tribe ist der Zusammenschluss mehrerer Squads zu einer größeren organisatorischen Einheit. Alle Squads innerhalb eines Tribes arbeiten gemeinsam an einer Leistung oder ihre Arbeit steht zumindest in sehr enger Verbindung zueinander.

Soweit könnte man das noch als Abteilungen und Fachbereiche denken.
Aber jetzt wird es spannend:

Sogenannte Chapters organisieren innerhalb eines Tribes all die Menschen mit der gleichen Profession oder Expertise. So gehören z. B. alle Designer*innen oder alle Programmierer*innen innerhalb eines Tribes dem gleichen Chapter an.

Das sorgt für Austausch über die klassischen Einheiten hinweg und macht Jobwechsel innerhalb der Organisation möglich und effizient.

Noch stärker brechen die sogenannten Guilds herkömmliche Organisationsstrukturen auf.

Spotify-Guilds sind freiwillige Communities, die auch über die Grenzen eines Tribes hinausgehen. Damit macht das Spotify-Modell das Prinzip der Freiwilligkeit zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Organisationsstruktur.

Der Gedanke hinter dem ganzen Modell: Die Mitarbeiter*innen so autonom und initiativ wie möglich zu machen. Weil sie und die von ihnen selbst organisierten Strukturen eben oft am besten wissen, was es gerade braucht.

Es ist eine für Unternehmen extrem stark auf Partizipation und Kollaboration setzende Kultur, die Spotify (mit) erfolgreich gemacht hat.

Das Modell 1:1 zu kopieren, haben schon viele versucht. Oft geht es in die Hose. Wenn die Führungskräfte nicht wirklich Partizipation und Autonomie wollen, funktionieren auch die Squads, Tribes, Chapters und Guilds nicht.

Doch um Kopieren geht es ohnehin nicht. Eher um Inspiration. Sogar der recht junge Fachverband Bürgerbeteiligung e.V. hat sich dieser Inspiration nicht entzogen.

Dort organisieren sich die Mitglieder zunächst in einzelnen Fachgruppen je nach Handlungsfeld (z. B. Verwaltung, Dienstleistung oder Wissenschaft), bilden dann aber zusätzlich übergreifende Arbeitsgruppen, die einzelne Themen bearbeiten.

Diese können spontan und niederschwellig entstehen, lange oder nur wenige Wochen arbeiten. Im Fachverband funktioniert das gut, die Stimmung ist extrem kollaborativ und agil, täglich kommen weitere Mitglieder hinzu.

Doch nicht nur Unternehmen und Organisationen können vom Spotify-Modell profitieren.

Tatsächlich ist es auch spannend für Beteiligungsprozesse.

Besonders dann, wenn sie lang und komplex sind – und sehr unterschiedliche Gruppen integrieren wollen.

Jugendliche, gestandene Akademiker*innen und Menschen mit Migrationshintergrund in einem Prozess miteinander in Austausch zu bringen und faire Wirkung zu ermöglichen, ist nicht immer einfach.

Sie einfach parallel oder gar chronologisch hintereinander zu beteiligen, ist eine Option, aber eine, die viel Potential ungenutzt lassen kann.

Gemeinsame, aber auch parallele, synchrone und asynchrone Formate für bestimmte Gruppen zu organisieren – diese dann aber über Strukturen ähnlich den Guilds, manchmal auch den Chapters zu verflechten – das ist möglich.

Kleine Prozesse wären damit rasch überfrachtet, aber große Vorhaben können davon erheblich profitieren.

Erst in dieser Woche habe ich diesen Ansatz den Verantwortlichen eines großen Beteiligungsprozesses zur Transformation in unserem Nachbarland Österreich vorgestellt. Dort soll er nun erprobt werden.

Besonders stark macht das Spotify-Modell übrigens die damit korrespondierende „Fast failure recovery“-Strategie.

Ein ganz anderes Thema.

Aber auch eines, das Beteiligung inspirieren kann. Doch das schauen wir uns ein anderes Mal an.

Bis dahin: Bleiben Sie gesund. Und Innovativ.

Und egal, ob Sie Spotify Kund*in sind oder nicht: Einen kleinen Tipp für Sie habe ich am Schluss noch: Hören Sie hier mal rein.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments
Weitere Ausgaben