#238 | Design oder nicht sein

Prototypen spielen im Produktdesign eine wichtige Rolle. Auch in der Partizipation können Sie hilfreich sein.

Ausgabe #238 | 25. Juli 2024

Design oder nicht sein

Die Aufgabe lautet: „Designe ein Karussell, dass du mit einem Finger bewegen kannst.“

Schwierig?

Dann eine andere Aufgabe: „Designe eine Hose, die sich mit einem Kinderwagen verbinden lässt.“

Zu absurd?

Gut, noch ein Versuch: „Designe eine Verkehrsampel, die in deine Privatsphäre eindringt.“

Wer stellt so seltsame Aufgaben?

Es ist ein digitales Tool. Protobot soll Menschen dabei helfen, eine ganz bestimmte Methode zu erlernen.

Sie wurde bereits vor über 30 Jahren vom Stanford Professor Larry Leifer und zwei weiteren Kollegen entwickelt. Eingesetzt werden soll sie vor allem in der Entwicklung von neuen Produkten und Dienstleistungen.

Sie heißt: „Design Thinking“.

Sowohl der Name als auch die von Protobot generierten Zufallsaufgaben können leicht in die Irre führen.

Denn Design bezieht sich hier nicht primär auf Äußerlichkeiten wie Form und Farbe, sondern auf einen bestimmten Entwicklungsansatz.

Dieser beginnt quasi immer bei Null. Das sogenannte “Beginners Mind” erfordert die Haltung, dass der Entwickler oder die Entwicklerin nichts weiß.

In einem intuitiven und iterativen Prozess wird dann ein „Produkt“ entwickelt und immer wieder überarbeitet, bis es letztlich „passt“.

Im Mittelpunkt steht dabei vor allem die Frage, was die Nutzer*innen damit anfangen können.

Immer wieder werden in dem Prozess „Prototypen“ entwickelt, getestet und verbessert.

Diese Runden werden so lange gedreht, bis ein Ergebnis vorliegt, das überzeugt – und dann auch konkret implementiert wird.

Design Thinking ist Methode und Haltung zugleich.

Sie kann bei der Entwicklung von haptischen Produkten helfen. Auch bei der Gestaltung von Dienstleistungsangeboten. Sogar bei der Konzeption von Museumsausstellungen. Besonders beliebt ist Design Thinking in der Softwareentwicklung.

Auch einige Kommunen experimentieren bereits damit.

Ob Verkehrsführung oder Spielplatzgestaltung: Sich mit Prototypen den Bedürfnissen der Menschen immer weiter anzunähern, ist unkonventionell, aber durchaus mal einen Versuch wert.

Selbst partizipative Prozesse können mit diesem Mindset arbeiten.

Das Format der sogenannten Partizipativen Reallabore kommt dem in einigen Ansätzen nahe.

Doch Design Thinking in der politischen Teilhabe ist nicht an ein bestimmtes Format gebunden. Es kann Beteiligung auf vielfältige Weise bereichern.

Wieder einmal ist es vor allem die Haltung, um die es geht.

Bislang endet ein großer Teil von Beteiligungsprozessen unverbindlich. Ein gemeinsames Ergebnis wird nicht konsolidiert. Stattdessen fließen Argumente und Sichtweisen in anschließende politische Prozesse oder Verwaltungshandeln ein.

Andere Prozesse enden mit einem mehr oder weniger klar formulierten Ergebnis. Manchmal sogar in formellem „Bürgergutachten“, bei Bürgerräten oft in Form einer „Empfehlungsliste“.

Das ist ein solider Abschluss, geht allerdings von der Idee eines klassischen Prozessdesigns aus: Information, Deliberation, Ergebnis, (teilweise) Implementierung.

Design Thinking in Beteiligungsprozesse zu übertragen, hätte da einen anderen Ansatz: Gemeinsam werden Lösungen entwickelt, als Prototyp realisiert, dann aber partizipativ weiter begleitet. Gemeinsam ausgewertet folgt ein weiterer Prototyp, und noch einer …

Am Ende steht nicht nur ein partizipativ verhandeltes Ergebnis, sondern ein partizipativ erprobtes Ergebnis. Meist von höherer Qualität und auch stärkerer Akzeptanz.

Folgekonflikte werden vermieden. Diese entstehen gerne, wenn vermeintlich wunderbare Lösungen aus Beteiligungsprozessen am Ende den Praxis-Check nicht bestehen – und dann nach Schuldigen gesucht wird.

Ergebnis eines partizipativen Design Thinking Prozess kann durchaus auch sein, dass es eben keinen funktionierenden Prototypen gibt. Oder nur einen, der nicht alles leisten kann, was auf der Wunschliste stand.

Ist ein solches Ergebnis partizipativ erarbeitet, kann der Prozess dennoch integrierend wirken.

Natürlich ist partizipatives Design Thinking kein universeller Ansatz, der bei jedem Thema oder Konflikt funktioniert. Eine „one-size-fits-it-all” Methode gibt es in der Beteiligung ohnehin nicht.

Aber es gibt eine Menge Beteiligungsräume, die sich für Design Thinking Elemente anbieten:

Die Gestaltung von öffentlichen Räumen, Angebote für junge Menschen, Verkehrsführung und -beruhigung, inhaltliche Angebote von öffentlichen Einrichtungen, Quartiersentwicklung – die Liste der Themen ist lang.

Partizipativ entwickelte, ausgewertete und immer weiter verbesserte Prototypen können nicht nur eine neue Dynamik in Beteiligung bringen.

Sie helfen auch dabei, Menschen im Prozess zu halten – und immer wieder neue Beteiligte rasch und wirksam zu integrieren.

Auch hier gilt wieder die in der Beteiligung nach wie vor fast immer hilfreiche Empfehlung:

Einfach mal ausprobieren.

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2 Kommentare
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Joachim Thiehoff
25. Juli 2024 15:38

Sehr geehrter Herr Sommer,

bei diesem Beitrag wäre für das Verstehen ein durchdekliniertes Beispiel sehr hilfreich. Mir blieb es am Ende noch zu abstrakt. Ist ein zweiter Beitrag zu dem Thema möglich, bei dem Sie es an einem einschlägigen Beispiel verdeutlichen?

Vielen Dank für alle fachlichen Impulse und Reflektionen.

Mit freundlichen Grüßen

Joachim Thiehoff
Dorsten

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