#12 | Demokratie in der Pandemie

Im Angesicht von Corona fragen sich Viele: Können autokratische Gesellschaften besser mit Krisen umgehen als Demokratien?

Ausgabe #12 | 19. März 2020

Demokratie in der Pandemie

Ja, auch bei uns geht es heute um Corona. Zumindest ein wenig. Gewiss nicht um die aktuellen Empfehlungen der Fachleute, auch nicht um den massenweisen Unsinn, mit denen die sogenannten sozialen Netzwerke gerade überflutet werden. Wir diskutieren auch nicht, ob unsere Regierenden nun wahlweise zu schnell, zu langsam, zu zögerlich oder zu radikal reagieren.

Doch vorweg bitte ich um Verständnis dafür, dass diese Ausgabe von demokratie.plus vielleicht etwas kürzer ausfällt als gewöhnlich – auch ich bin gerade mit Corona-Symptomen krankgeschrieben und sitze in häuslicher Quarantäne. Tatsächlich sind die Symptome sogar recht heftig, so dass ich diesen Newsletter da schreibe, wo ich hingehöre: Im Bett.

Ich hoffe und wünsche mir insbesondere für unsere älteren Mitmenschen und die Mitglieder der sogenannten „Risikogruppen“, dass unser Gesundheitssystem weitgehend intakt bleibt und ihnen helfen kann, wenn es darauf ankommt. Und da sind wir auch schon beim Thema.

Ist unsere Gesellschaft auf eine solche Herausforderung vorbereitet?

Offensichtlich nicht besonders gut. Das gilt so allerdings für fast jedes Land der Welt. Ob China, Italien, die USA, Deutschland oder Dänemark: Die Reaktionen sind unterschiedlich, aber die Überforderung ist allseits greifbar. Und es scheint zumindest so, als würden die wirksamsten Maßnahmen jene sein, die entweder Demokratie, Föderalismus oder Marktwirtschaft aushebeln.

Das klingt für Anhänger einer freien Gesellschaft bitter. Und bewiesen ist diese Annahme noch lange nicht. Klar ist aber, dass Krisen dieses Umfangs in der Regel nur mit einer Beschneidung demokratischer und freiheitlicher Rechte zu bewältigen sind.

Um so wichtiger ist aber, dass diese Maßnahmen zuvor in einem demokratischen Prozess zumindest diskutiert, evaluiert, vorbereitet wurden. Denn gerade auch bei krisenbedingten Einschränkungen der Demokratie greifen die vier Dimensionen der Partizipation: Legitimierung, Akzeptanz, Qualität und Emanzipation.

Im demokratischen Alltag hat sich in den vergangen Jahren viel entwickelt, neue Formen der Beteiligung wurden erprobt, oft schon institutionalisiert. Unsere Krisen- und Katastrophenpläne und Strukturen atmen allerdings noch den Geist des vergangenen Jahrhunderts.

Nur ein Beispiel: Unser Gesundheitswesen ist zwischenzeitlich gnadenlos kosten- und größtenteils gewinnoptimiert, in unseren Krisenplänen gehen wir jedoch von einem staatlichen Krankenhauswesen aus, dass es so seit 30 Jahren nicht mehr gibt. Aktuell arbeiten nicht nur die Beschäftigten in den Krankenhäusern bis zum Umfallen – sie fahren ihre Einrichtungen dabei auch noch systematisch in die Pleite. Das wird die Politik am Ende verhindern. Allerdings müssen die Hebel dazu erst noch geschaffen werden. In den Krisenplänen wurden sie nicht bedacht.

Doch es ist müßig, über das Gestern zu streiten. Besser ist es, für Morgen zu lernen. Wenn Krisen dieses Ausmaßes ungewöhnliche, auch Freiheit und Demokratie beschneidende Maßnahmen verlangen, dann sollten wir nach der Pandemie die Chance dazu nutzen, den daraus resultierenden Lernprozess partizipativ zu gestalten.

Deutschland diskutiert gerade über Bürgerräte. Es wird wohl bald einen zum Klimaschutz geben. Das ist gut. Gut wäre aber auch ein Bürgerrat zum Katastrophenschutz. Am besten nicht nur einer, sondern einer in jeder Kommune. Denn solange die Erfahrungen bei Politik, Verwaltung und Bürger*innen noch frisch sind, solange können die getroffenen Maßnahmen (und das Verhalten, dass sie auslösen) gemeinsam kritisch evaluiert und Alternativen entwickelt werden.

Ein solcher Prozess wäre emanzipativ, weil er die Bürger*innen in der Krise nicht zum Objekt drakonischer, von wenigen verhängten Maßnahmen macht. Er würde die Qualität des Krisenmanagements deutlich verbessern, er würde die zu treffenden Maßnahmen stärker legitimeren. Und ein Maßnahmenkatalog, der im Dialog mit den Bürger*innen entstanden ist, würde breiter akzeptiert.

Die vier Dimensionen der Partizipation sind auch genau die vier Dimensionen eines guten, demokratischen Krisenmanagements.

Wenn wir das aus dieser Krise lernen, können wir beim nächsten Mal beweisen: Demokratie kann nicht nur Krise. Sie kann sie auch besser als nichtdemokratische Gesellschaften.

Herzlichst, Ihr Jörg Sommer

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