#126 | Das Duell

Wer sich früher im Ton vergriff, musste mit drastischen Konsequenzen rechnen. Und wie sieht es heute aus?

Ausgabe #126 | 2. Juni 2022

Das Duell

Beinahe wäre aus dem großen deutschen Schriftsteller Hans Fallada kein Schriftsteller geworden. Denn als junger Gymnasiast von gerade mal 18 Jahren, damals noch unter seinem eigentlichen Namen Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen, wäre er um ein Haar erschossen worden.

Im Duell.

Es war noch Anfang des vergangenen Jahrhunderts in vielen Ländern durchaus üblich, Kränkungen und Meinungsverschiedenheiten aller Art im Duell auszutragen. Nach modernen Schätzungen fochten etwa 25 % der Adligen mindestens einmal im Leben ein Duell aus. Heinrich Heine, Otto von Bismarck, sogar der Sozialist Ferdinand Lasalle bestritten Duelle. Lasalle kostete es das Leben. Auch der russische Schriftsteller Alexander Puschkin starb nach einem Pistolenzweikampf, durch den Schuss eines französischen Gardeoffiziers.

Wer ein Duell bestritt, riskierte also Kopf und Kragen. Falladas Duellgegner Hanns Dietrich von Necker schrieb zuvor noch einen Abschiedsbrief an seine Mutter:

„Lies diese letzten Zeilen Deines Kindes bitte ruhig und höre an, was ich Dir in Betreff meines, wie ich überzeugt bin, sicheren Todes im Duell zu sagen habe. Glaube mir, wenn ich dich meine innig geliebte, teure Mutter zu nennen wage, obgleich ich Dir soviel Kummer bereiten muß … Mir wird das Sterben so schwer, um Deinetwillen und um der Familie willen. Aber zurück kann ich nicht.“

Am nächsten Morgen starb von Necker. Fallada überlebte schwer verletzt, landete später immer wieder in der Psychiatrie, wurde alkohol- und morphinabhängig – und einer der bekanntesten Schriftsteller Deutschlands.

Heute gibt es keine Duelle mehr, das letzte offizielle Degenduell in Europa wurde tatsächlich erst 1967 in Frankreich ausgetragen. Es waren zwei französische Parlamentsabgeordnete, die am 21. April 1967 um ihre Ehre fochten.

„Halten Sie den Mund, Idiot“, hatte der sozialistische Fraktionschef Gaston Defferre zuvor dem konservativen Abgeordneten René Ribière in der Nationalversammlung zugerufen. Der forderte Defferre prompt zum Duell.

Heute ist das nicht mehr vorstellbar. Und das ist gut so. Letztlich ist ein Duell nichts anderes als eine institutionelle Verkörperung des „Rechts des Stärkeren“.

Nichts könnte undemokratischer sein.

Für seine Aussagen nicht mehr zum Duell gefordert werden zu können, ist zeitgemäß.

Doch zeitgemäß ist offensichtlich auch, dass diese Entwicklung zwischenzeitlich sehr viel weiter gegangen ist.

Immer mehr Menschen verhalten sich – insbesondere, aber nicht nur in den Sozialen Medien so, als gäbe es nicht nur kein Duell-Risiko mehr – sondern auch keine anderen Konsequenzen.

Lügen, Beleidigungen, Drohungen, verrückteste Unterstellungen und absurde Verschwörungserzählungen haben in der Erfahrung vieler keine Konsequenzen. Sie gehen unter in der Kakophonie millionenfacher Äußerungen und Postings.

Selbst offensichtliche und theoretisch strafbare Nazi-Propaganda bleibt folgenlos. Die Redaktion des ZDF Magazin Royale hat erst kürzlich versucht, solche Postings in allen 16 Bundesländern anzuzeigen – und war damit weitgehend erfolglos.

Doch längst spielen sich solche Szenen nicht mehr nur in der Anonymität des Internets ab. Ob am Infostand in der Fußgängerzone, am Stammtisch in der Kneipe oder in öffentlichen Bürgerversammlungen: Menschen verletzen Menschen verbal, brutal und rücksichtslos.

Denn längst muss man als Reaktion keine Duellforderung mehr befürchten, nicht einmal gesellschaftliche Ächtung. Denn je radikaler man formuliert, desto größer ist die Chance, dafür in der eigenen sozialen Blase Applaus zu ernten.

Genau das ist das Problem, das wir überwinden müssen. Es gelingt nicht, indem wir wieder Duelle einführen. Auch das Strafrecht allein kann diese Entwicklung nicht stoppen.

Denn in Laufe der Zeit ist uns in der gesellschaftlichen Breite eine fundamental nötige Fähigkeit für eine funktionierende Demokratie abhanden gekommen: Die Fähigkeit zum Diskurs mit Andersdenkenden.

Das ist eine soziale Fähigkeit. Und die wird nicht geerbt, sondern gelernt. Dazu braucht es Diskurse – mit Konsequenzen, das heißt mit Rückkopplung und Widerspruch. Widerspruch, den man nicht wegklicken kann.

Genau darum sind die zum Glück in Deutschland weiter zunehmenden Angebote von Bürgerbeteiligung zu vielen Themen so wichtig und so wertvoll. Obwohl, oder besser, weil sie schmerzhaft sind.

Denn wir müssen in der Breite der Gesellschaft wieder einen Konsens darüber herstellen, was Meinungsfreiheit bedeutet:

Jede*r hat das Recht auf eine eigene Meinung. Jede*r hat das Recht, diese zu äußern. Aber man hat kein Recht darauf, dass einem nicht widersprochen wird.

Damit umzugehen ist unangenehm, aber erlernbar. Dazu braucht es keine Duelle, aber den Schritt raus aus der eigenen sozialen Blase.

Das kann man nicht erzwingen, aber ermöglichen. Vor allem durch mehr Angebote.

Viel mehr Angebote.

Sehr viel mehr Angebote.

Denn die Alternative dazu lautet früher oder später der Rückfall in das Recht des Stärkeren.

Das letzte Degenduell Europas sollte uns da eine Mahnung sein. Der Sekundant des Abgeordneten Ribière war ausgerechnet Jean-Marie Le Pen, der spätere Gründer der rechtsextremen Front National, dem Vorbild aller heute in Europa erfolgreichen rechtsextremen Parteien.

Vielleicht nur ein Zufall. Vor allem aber: Eine Mahnung.

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