Ausgabe #130 | 30. Juni 2022
Dreifaches Vertrauen
Draußen herrschte Frost, doch die Stimmung im Saal war nahe dem Siedepunkt.
Es ging hoch her in der gut gefüllten Sporthalle der hessischen Kleinstadt. Der Bürgermeister moderierte selbst, denn er wollte seine ganze Autorität in die Waagschale werfen.
Der regionale Steinbruch sollte erweitert werden. Ohne Erweiterung wäre eine Schließung in naher Zukunft unvermeidlich, Arbeitsplätze gefährdet. Der Geschäftsführer hatte eindrucksvolle Zahlen präsentiert, der Bürgermeister sekundiert, aber die große Mehrheit im Saal hatte die Nase voll von Sprengungen und Schwerlast LKWs, die durch die Hauptstraße brettern.
Es gab nur ein Mikrofon. Das hatte der Bürgermeister fest im Griff. Doch es nutzte ihm nichts. Das Publikum übertönte ihn.
Der Sprecher einer örtlichen Bürgerinitiative hatte eine besonders durchsetzungsfähige Stimme. Deshalb hörte jeder seinen kurzen, aber brutalen Zwischenruf:
„Wir trauen ihnen nicht!“
Donnernder Applaus im Saal. Steigender Puls beim Bürgermeister. Und dann, als er wieder akustisch vernehmbar war, seine spontane Replik:
„Wenn Sie mir nicht trauen – warum sind Sie dann heute überhaupt da?“
Den Rest des Abends inklusive Saalräumung erspare ich ihnen. Nehmen wir nur diese eine Anregung mit:
Sprechen wir heute einmal über Vertrauen.
Gute Beteiligung ist vor allem eine Frage des Vertrauens. Diesen Satz höre ich immer mal wieder. Er stimmt. Aber ganz anderes, als er oft verstanden wird.
Vertrauen wird tatsächlich immer wieder gerne als Voraussetzung für einen erfolgreichen Beteiligungsprozess verstanden. Das ist tatsächlich nicht so.
Vertrauen wird manchmal sogar von den Beteiligenden erwartet, sozusagen als „Eintrittsticket“ in einen Beteiligungsprozess. Das ist Unsinn.
Vertrauen wird häuft als Zielvorgabe eines Beteiligungsprozesses formuliert. Er soll „Vertrauen schaffen“. Das ist ganz häufig nicht der Fall.
Und trotzdem ist die Beteiligung gut.
Es ist also eine merkwürdige Sache mit dem Vertrauen. Die einen sollen es mitbringen, die anderen wollen es schaffen, irgendwie finden es alle wichtig. Doch es bleibt diffus.
Das liegt möglicherweise daran, dass Vertrauen an sich in solchen Prozessen erstmal noch keinen Faktor darstellt. Die zentrale Frage ist tatsächlich: Wer vertraut wem?
In der Praxis sind solche Beteiligungsprozesse nämlich häufig eher von Misstrauen geprägt.
Die beteiligende Institution, ob Verwaltung, Unternehmen, Politik, misstraut erstaunlich häufig den potentiell Beteiligten, manchmal sogar den Dienstleistern oder Moderierenden. Das manifestiert sich oft in hyperdetaillierten Ausschreibungen, in der Wahl möglichst eng definierter Formate, in der Festlegung genauer Beteiligungsschritte.
Die Beteiligten wiederum äußern in Befragungen regelmäßig eher, dass Ihr Hauptmotiv nicht Ver- sondern eher Misstrauen in Politik und/oder Verwaltung sei.
Wir starten also tendenziell auf beiden Seiten mit Misstrauen in Beteiligungsprozesse – wollen aber irgendwie Vertrauen generieren.
Das ist einer der Faktoren, der Gute Beteiligung so anspruchsvoll macht. Denn tatsächlich ist Vertrauen einer der wichtigsten Faktoren, die den Erfolg eines Beteiligungsprozesses ermöglichen.
Aber eben nicht „das“ Vertrauen.
Sondern „die“ Vertrauen.
Denn es gibt drei davon:
Da ist zunächst das Vertrauen in die jeweils Mitwirkenden. In die Beteiligenden, in die Beteiligten, in die Moderierenden.
Hinzu kommt das Vertrauen in sich selbst, in die eigene Wirksamkeit im Prozess, der Glaube daran, dass es sich ganz persönlich lohnt, sich in diesem Prozess zu engagieren.
Und da ist zuletzt das Vertrauen in den Prozess. Der Glaube daran, dass er fair, ergebnisoffen und mit Wirksamkeitspotential versehen ist.
Welches Vertrauen ist also entscheidend? Ganz klar: Alle drei.
Welches davon ist Voraussetzung? Keines.
Welches davon entsteht: Möglichst alle drei.
Wie sieht ein Prozess aus, in dem die Beteiligten den Beteiligenden vertrauen, aber nicht ihrer Wirksamkeit und dem Prozess? Die Chance ist groß, dass es eine rein akzeptanzfestigende Maßnahme bleibt.
Wie sieht ein Prozess aus, in dem die Beteiligten ihrer eigenen Wirksamkeit vertrauen, aber nicht dem Prozess? Die Chance ist groß, dass es knallt.
Sehr häufig befördern sich die einzelnen Vertrauensdimensionen aber auch gegenseitig.
Tatsächlich habe ich bislang in nahezu jedem wirklich erfolgreichen Beteiligungsprozess, dem ich beiwohnen durfte, einen Moment definieren können, den ich den „Moment of Trust“ nenne:
Es ist der Moment, in dem, oft unmittelbar erkennbar für fast alle Beteiligten, das Bewusstsein entsteht: Wir vertrauen uns. Wir vertrauen auf uns. Und wir vertrauen dem Prozess. Das wird was.
Diesen „Moment of Trust“ gibt es nicht immer. Manchmal ist es ein schleichender Prozess. Manchmal entsteht Vertrauen nur in ein oder zwei der drei geschilderten Dimensionen. Auch dann können Prozesse gut werden.
Richtig gut werden sie sicher dann, wenn diese drei Dimensionen des Vertrauens generiert werden können.
Sie sind nicht das Ziel von Beteiligung, eher ein Kollateralnutzen. Vor allem aber: Ein zuverlässiger Indikator dafür, dass „es funktioniert“.
Vertrauen ist also gut. Und nichts ist besser als ein Beteiligungsprozess, in dem alle gemeinsam den einen, entscheidenden Gänsehaut-Moment erleben.
Der Moment, in dem wir alle spüren:
Das Vertrauen ist da.