#131 | Die Partei hat immer recht

Manche fürchten, dass der Trend zu mehr Bürgerbeteiligung die Rolle der Parteien weiter schwächt. Andere hoffen darauf. Möglicherweise kommt es ganz anders.

Ausgabe #131 | 8. Juli 2022

Die Partei hat immer recht

Die Akzeptanz unserer demokratischen Institutionen, Prozesse und Akteure ist gesunken.

Das gilt auch für die Meinung unserer Bürgerinnen und Bürger zu den Parteien. Politikwissenschaftler*innen sprechen deshalb auch von Parteienverdrossenheit.

Nur eine Minderheit der Deutschen attestiert den Parteipolitiker*innen laut Umfragen Vertrauenswürdigkeit, politischen Weitblick, Glaubwürdigkeit, Bürgernähe und Ehrlichkeit.

Die Entwicklung der Mitgliederzahlen insbesondere der klassischen „Volksparteien“ spricht Bände: Seit 1990 verlor die CDU etwa die Hälfte ihrer Mitglieder, die SPD sogar noch mehr. Allein diese beiden Parteien haben heute fast eine Million Mitglieder weniger als vor 30 Jahren.

Den großen Parteien in Deutschland fehlt es an Mitgliedern, an Akzeptanz und an Vertrauen, teilweise auch an Selbstvertrauen.

Wie anders klang das bis zu ihrem Ende bei einer anderen deutschen Partei. Die Hymne der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der führenden Partei der DDR, enthielt den selbstbewussten Satz: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht.“

Vertreter*innen unserer heute im Politikbetrieb wirksamen Parteien würden sich hüten, etwas ähnliches zu formulieren. Nicht nur, weil ein solcher Anspruch mit demokratischen Prinzipien schwer zu vereinbaren ist, sondern weil selbst altgediente parteipolitische Schlachtrösser wissen:

Das stimmt so nicht.

Im Grunde ist sogar das Gegenteil richtig: Parteien in einer Demokratie haben eigentlich nie Recht.

Und das ist gut so.

Es ist nicht nur gut, es ist sogar die Quelle ihrer Wirksamkeit. Ganz besonders in einer modernen, vielfältigen Demokratie.

Seit deutlich über einem Jahrzehnt erleben wir einen Aufschwung neuer Formate der politischen Teilhabe. Geboren aus den eingangs angesprochenen Akzeptanzproblemen gibt es immer öfter immer mehr Angebote der Bürgerbeteiligung an immer mehr Orten zu immer mehr Themen.

Ob Windrad- oder Straßenbau, Verkehrsplanung oder Industrieansiedlung. Selbst Außenpolitik und die Suche nach einem Endlager für den Atommüll – Bürgerbeteiligung wird immer öfter mitgedacht und angeboten.

In jüngster Zeit sind gar mit der Idee der so genannten „Bürgerräte“ neue Konzepte repräsentativer Gremien entstanden, die nicht auf Wahlen sondern auf Losverfahren basieren und zukünftig sogar in der Bundesgesetzgebung eine Rolle spielen könnten.

Das sind tatsächlich gute Nachrichten für unsere Demokratie. Sie kann so vielfältiger werden, mehr Menschen intensivere Teilhabe anbieten, Debatten und Diskurse fördern.

Andererseits ist diese Entwicklung auch mit Hoffnungen und Befürchtungen verbunden. Nicht wenige Parteipolitiker*innen befürchten, die Rolle der Parlamente und damit auch die Rolle der Parteien könnte weiter schrumpfen, der Akzeptanzverlust gar beschleunigt werden.

Denn wer braucht noch Parteien, wenn es die Bürger*innen selbst regeln können?

Andere Akteur*innen wieder haben genau diese Hoffnung. Sie setzen zum Beispiel auf „Zufallsbürger“, auf Bürgerbeteiligung mit verbindlichen Ergebnissen, möglichst flankiert von direktdemokratischen Volksabstimmungen. Kurz: Darauf, die Parteien zu entmachten, in dem das Volk „selbst entscheidet“, sowohl in der Breite als auch in zufällig ausgelosten Gremien.

Denn wer braucht noch Parteien, wenn es die Bürger*innen selbst regeln können?

Beide sollten wir ernst nehmen: Die Befürchtungen ebenso wie die Hoffnungen. Doch tatsächlich sind beide nicht realistisch. Das Gegenteil ist der Fall:

Mehr Bürgerbeteiligung stärkt die Rolle der demokratischen Parteien.

Warum?

Weil die Partei nicht immer Recht hat – der Bürger aber eben auch nicht.

Tatsächlich sind Formate der Bürgerbeteiligung, genauso wie bürgerlicher Aktivismus, Protestaktionen und die Arbeit von Bürgerinitiativen von großer Bedeutung für unsere Demokratie. Sie sind ebenso legitim wie unverzichtbar. Und sie sollen, ja müssen wirken.

Aber sie alle haben eine Gemeinsamkeit: Immer geht es um eng begrenzte, fokussierte Themen. Manchmal um Partikularinteressen einer kleinen Gruppe, manchmal um große Themen wir die Interessen zukünftiger Generationen, immer aber sind es punktuelle politische Ziele. Immer werden sie pointiert, oft auch radikal vertreten.

Das ist wichtig, aber: Es ist kein Konzept für gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Selbst in den besten Beteiligungsformaten gelingt es maximal, unterschiedliche Interessen und Sichtweisen (und auch da selten alle) zu einem bestimmten, eng umrissenen Thema unter einen Hut zu bringen.

Die Auswirkung dieser Ergebnisse auf ganz andere Politikfelder oder Betroffenengruppen fallen da gerne unter den Tisch, insbesondere, wenn diese Gruppen nicht dabei sind.

Das ist in Ordnung. Wenn jeder Beteiligungsprozess für alle Probleme der Gesellschaft zuständig wäre, würde es nicht funktionieren. Und muss es auch nicht.

Denn genau da kommen eben doch wieder unsere demokratischen Parteien ins Spiel. Sie haben Prozesse und Strukturen, um bereits innerparteilich viele Interessen und Sichtweisen abzugleichen und auszubalancieren.

In einer Demokratie wie der unsrigen, in der Regierungen fast immer auch Koalitionen sind, haben sie gelernt, diese innerparteiliche Willensbildung auch im Dialog mit ihren mehr oder weniger Koalitionspartner*innen weiterzuführen.

Es stimmt, da geht es oft rustikal zu, manchmal hinterhältig, oft geprägt von ganz persönlichen Interessen. Doch nichts davon kennen wir nicht auch aus Beteiligungsstrukturen. Und doch führen sie oft genug zu soliden Ergebnissen.

Der gravierende Unterscheid zwischen Beteiligung und Parteidiskurs ist jedoch die Breite des Fokus. Während Beteiligungsprozesse klar umrissene Partikularthemen verhandeln, müssen Parteien den ganzen, komplexen Interessenmix in unserer vielfältigen Gesellschaft austarieren.

Und genau deshalb sind diese beiden Handlungsfelder keine Konkurrenten, sondern wesentlich für eine vielfältige, zukunftsfähige Demokratie.

Die braucht mehr demokratische Prozesse als bislang. Das heißt auch mehr Beteiligung.

Und weil sie mehr Beteiligung braucht, braucht sie auch mehr Parteileben. Parteileben, das um gesellschaftlichen Zusammenhalt ringt. Parteileben, das streitet, eben weil es zusammenführen statt spalten will.

Das gilt, wie wir alle wissen, nicht für jede Partei. Aber das ist ein anderes Thema. Für einen anderen Newsletter.

Für heute wollen wir schließen mit der Erkenntnis: Wer unsere Demokratie stärken will, engagiert sich in und für Beteiligung.

Sich in einer demokratischen Partei zu engagieren ist dazu kein Widerspruch, eher eine kongeniale Ergänzung.

Sie engagieren sich bereits in einer demokratischen Partei?

Respekt!

Sie denken noch drüber nach, ob Sie das sollen?

Tun Sie’s!

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