#132 | Schwere Zeiten

Unsere Kommunen bereiten sich auf einen schwierigen Winter vor. Aber warum tun sie das ohne ihre Bürger*innen?

Ausgabe #132 | 14. Juli 2022

Schwere Zeiten

In der Fantasy-Serie „Game of Thrones“ ist der ultimative Angstauslöser ein kurzer Satz: „Der Winter naht.“

Gut, im fiktiven Westeros kann der schon mal mehrere Jahre dauern. Und sehr hart werden.

So wie bei uns.

Ukraine-Krieg, Wirtschaftsembargo und die russische Retourkutsche lassen ein Szenario realistisch erscheinen, in dem der kommende Winter alles andere als lustig wird. Ziemlich sicher wird er kalt.

Und teuer.

Heute Morgen habe ich bei unserem Gasversorger angerufen. Ich wollte ihn überzeugen, unseren monatlichen Abschlagsbetrag zu erhöhen.

Denn auch in unserer Familie schleicht sich langsam, aber sicher die Winterpanik an.

„Europa droht eine Gaskrise“, „Gaspreise werden sich mindestens verdreifachen.“, „Kostenexplosion für Kommunen“ – das sind nur drei Schlagzeilen aus den Medien. Alle von heute.

Die Lage ist also ernst. So ernst, dass in deutschen Kommunen schon erschreckende Szenarien durchgespielt werden.

Gestern Abend erzählte mir ein Bürgermeister, dass die bereits Isoliermaterial bestellt haben, um damit die Turnhalle ihrer Grundschule zu isolieren – nicht für den Turnunterreicht, sondern um sie im Ernstfall zur lokalen Wärmestube umzurüsten.

Der NDR berichtet, wie Kommunen in Niedersachsen sich auf den Winter vorbereiten. Die Stadtverwaltung in Oldenburg hat sogar einen 30-Punkte-Plan ausgearbeitet.

Es wird also ernst. Und deutsche Verwaltungen werden wirklich kreativ. Viele von ihnen nutzen jede Chance, um Energie zu sparen.

Eine Chance aber nutzen sie nicht.

Die Chance, unsere Demokratie zu stärken. Denn die Verwaltungen planen und organisieren Sparmaßnahmen, und hoffen dann, „dass viele Bürgerinnen und Bürger privat mitmachen.“, wie der Oldenburger Oberbürgermeister dem NDR sagt.

Doch diese Krise hat einen großen Vorteil: Sie ist eine Krise mit Ansage – und mit Vorlauf.

Wer früh anfängt, muss seien Bürger*innen nicht mit drastischen Maßnahmen überfallen, wie es zu Beginn der Corona-Pandemie unumgänglich schien.

Jede einzelne Kommune im Land hat jetzt die Chance, über die eigenen Maßnahmen, über Prioritäten, über kreative Ideen und freiwillige Mitwirkung zu sprechen – gemeinsam mit Ihren Bürgerinnen und Bürgern.

Denn Beteiligung ist nicht nur dann praktikabel, wenn es etwas zu verteilen gibt, wie zum Beispiel bei Bürgerbudgets.

Sondern sie funktioniert ganz ausgezeichnet eben auch dann, wenn Belastungen und Einschränkungen gerecht verteilt werden müssen.

Und gerade dann ist sie wichtig.

Weil gemeinsam entwickelten Strategien Zusammenhalt sichern und eine gemeinwohlorientierte Verteilung der Lasten ermöglichen kann – statt Zorn auf „die da oben“, die dann wieder mit Zwangsmaßnahmen arbeiten müssen, die allenfalls mit Expertenrat legitimiert werden können.

Und schon haben Querdenker und Verschörungsschwurbler wieder eine fette Welle, auf der sie surfen können.

Wenn wir aus der – ja längst noch nicht beendeten Corona-Pandemie etwas lernen könne, dann dies:

Wenn wir eine Krise gemeinsam meistern wollen, dann müssen wir das auch gemeinsam planen.

Warum also nicht sofort Beteiligungsformate zur Energiefrage anbieten? Ob in Form eines Bürgerrats, einer Planungszelle, einer Kreativ-Konferenz oder zur Not als schlichte Stuhlkreise:

Gemeinsam darüber zu sprechen, wie Verwaltung UND Bürger*innen Energie sparen und alle gemeinsam die Energieversorgung sichern, wie besonders gefährdete Gruppen geschützt werden und wir Zusammenhalt in der Krise fördern, ist gut.

Und je eher wir damit anfangen, um so besser.

Der Winter naht.

Und mit ihm schwere Zeiten. Sie müssen nicht zwangsläufig zu schweren Zerwürfnissen führen. Denn richtig, und das heißt partizipativ, gedacht bieten sie auch schwere Chancen.

Für eine stärkere Gemeinschaft.

Und eine stärkere Demokratie.

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3 Kommentare
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Reinhold Harms
14. Juli 2022 15:19

Neben allem was bei etlichen zum finanzellen Engpass führt, hat es die Chance das wir zwangsläufig den Konsumverzicht lernen werden. Zu hoffen ist, dass die Bürger zusammenrücken in Zeiten der Krisen

Frisch
14. Juli 2022 22:57

Wie aus guten Gedanken gute Bedingungen schaffen?

Danke für Ihren Beitrag. Gut gedacht und sicher sinnvoll und ggfs. auch mehr als erforderlich. Jetzt fehlt nur noch ein Anfangspunkt für Menschen wie mich, die als Bürger so etwas gerne mit auf den Weg bringen und unterstützen wollen, aber nicht „alleine initiieren“ können.

Haben Sie konkrete Ansatzpunkte, wie so ein Beteiligungsprozess in einer Stadt durch einzelne Bürger angestartet werden kann. Gibt es dazu schon Erfahrungen, von denen man lernen kann?

Herzlichen Dank für Ihren Blog!

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