Ausgabe #14 | 2. April 2020
Die Stunde der Autokraten
Beinahe euphorisch schrieb der SPIEGEL zu Beginn der Corona-Krise: „Corona entzaubert die Populisten“. Im Interview sekundierte der von mir ansonsten sehr geschätzte Autorenkollege Roger de Weck („Die Kraft der Demokratie“) mit dem Satz „Populisten bieten Lautstärke statt Lösungen – Corona entzaubert sie“.
Ich glaube, damit liegt er völlig falsch.
Und dies in doppelter Hinsicht: Zum einen erleben wir gerade tatsächlich, wie Populisten und Autokraten im Krisenmanagement komplett irrlichtern. Donald Trump schwenkte innerhalb weniger Tage von Bagatellisierung über Schuldzuweisung (Die Chinesen sind schuld, die Demokraten sind schuld, die Virologen sind schuld) zu autoritären Maßnahmen („Kriegsmaßnahmen“ gegen General Motors). Ein ähnliches Bild lieferten Boris Johnson in Großbritannien und Jair Messias Bolsonaro in Brasilien ab.
Das Problem ist nur: Die im SPIEGEL prophezeite „Entzauberung“ findet nicht statt. Donald Trumps Beliebtheitswerte sind die besten seiner gesamten Amtszeit, seine Amtskollegen in London und Brasilia sitzen ebenfalls fest im Sattel.
Noch dreister handelt der ungarische Präsident Victor Orbán. Er hat sich mit der Begründung, Corona erfordere dies, mit unbegrenzten diktatorischen Vollmachten ausstatten lassen, das kommt – in einem Mitgliedsland der EU – einem autokratischen Putsch gleich.
Die Stimmen der Demokratien bleiben angesichts dieser Entwicklungen merkwürdig leise. Orbans Partei Fidesz ist nach wie vor Mitglied der Europäischen Volkspartei, gemeinsam mit CDU und CSU. Weder aus Brüssel noch von den Schwesterparteien sind Sanktionen zu erwarten. Ebenso gelingt es demokratischen Kräften in den USA oder in Brasilien, die dortigen Populisten zu entzaubern.
Offensichtlich kommen diese Akteure mit ihrem bewährten populistischen Instrumentarium ganz ausgezeichnet, oft sogar gestärkt, durch die Krise. Ein Blick in die Geschichte zeigt uns: Überraschend ist das nicht.
Schon immer suchten die Menschen in Krisenzeiten nach zwei wesentlichen Dingen: Führung und Schuldige. Das war in Kriegszeiten so, bei großen Naturkatastrophen, in Hungersnöten, zu Zeiten der Pest, in großen Wirtschaftskrisen. Demokratisch legitimierte Regierungen konnten diese Krisen überstehen, wenn sie sich als starke Krisenmanager mit Führungshilfen erwiesen. Dann wurden die – dennoch benötigten – Schuldigen woanders gefunden. Schwache politische Führer konnten aber zu allen Zeiten schnell selbst in die Schuldrolle rutschen.
Starke, ja rücksichtslose Führung in Verbindung mit der Präsentation von Schuldigen, war immer schon ein bewährtes Karrieremodell in Krisenzeiten. Judenpogrome lassen sich historisch stets Krisenbedingungen zuordnen, die Aufstiege von Hitler und Stalin wären ohne Krisen so kaum denkbar gewesen, die Liste ließe sich beliebig lange weiterführen.
Denn das ist der zweite Aspekt der eingangs erwähnten Fehleinschätzung. Auch NACH einer Krise sind sie Wirkungsbedingungen für Feinde der Demokratie durchaus attraktiv. Viele Diktaturen sind nicht wie aktuell in Ungarn während, sondern nach einer gesellschaftlichen Krise entstanden, wenn Arbeits- und Perspektivlosigkeit auf Verrohung der Sitten und begrenzte Ressourcen treffen.
Die Corona-Krise werden wir, mit etwas Glück, in einigen Monaten überwunden haben. Dann hat zum Beispiel unser Staat in Deutschland viel Geld ausgegeben, unsere Wirtschaft viele Federn gelassen, unsere Bevölkerung viele Einschränkungen, auch der Demokratie- und Freiheitsrechte hingenommen, unsere Regierenden haben viele unpopuläre Entscheidungen getroffen. Wir alle wollen, dass es uns rasch wieder gut geht. Doch das wird nicht geschehen. Dann schlägt auch bei uns in Deutschland die Stunde der Autoritären.
Das muss unsere Demokratie genauso so wenig zwangsläufig beschädigen wie eine Krise Populisten entzaubert, es gibt kein solches Naturgesetz.
Aber es wird eben auch nicht von alleine alles gut. Wir Demokraten werden unsere Demokratie verteidigen müssen. Dazu gehört auch, sich schon jetzt zu überlegen, welche Angebote wir den Menschen machen können, wie wir Demokratie attraktiver machen. Roger de Weck sagt, ebenfalls im SPIEGEL: „Die stärkste Antwort auf die Reaktionäre ist eine Demokratie, die aktionsfähiger wird, also Vertrauen weckt.“
Sie sehen, es gibt gute Gründe, warum ich ihn trotz einiger unterschiedlicher Analysen so schätze.
Wie wir unsere Demokratie aktionsfähiger und attraktiver machen, dazu mehr in der nächsten Ausgabe von demokratie.plus. Gerne lese ich bis dahin auch Ihre Ideen dazu. Schreiben Sie mir an joerg.sommer@demokratie.plus.
Bleiben Sie gesund!
Herzlichst, Ihr Jörg Sommer