Ausgabe #143 | 29. September 2022
Falsche Fehler
Die Erwartungen vieler Menschen an Robert Habeck waren hoch, als die aktuelle Bundesregierung an den Start ging.
Für manche war er eine Art neue Lichtgestalt, andere warteten nur darauf, dass der grüne Superminister sich als Luftpumpe erweisen würde.
Dann kam der russische Einmarsch in der Ukraine und katapultierte die Bundesregierung in den Status permanenten Krisenmanagements.
Und Robert Habeck?
Der ehemalige Kinderbuchautor glänzte nicht nur mit überraschend unprätentiösem und innovativem Krisenmanagement, sondern fand auch noch die Zeit, wieder und wieder zu erklären, was gerade warum wie angepackt wurde.
Habeck glänzte, erst recht neben einem blassen Kanzler.
Mythos und Sympathiewerte stiegen scheinbar unaufhaltsam, selbst bei den Anhänger*innen anderer Parteien.
Dann versemmelte sein Ministerium die Gasumlage.
Und an diesem Fehler weideten sich Medien und politische Konkurrent*innen. Es war plötzlich auch nicht mehr wichtig, dass da auch FDP- und SPD-Minister*innen tüchtig mitgemischt hatten. Habeck war verantwortlich. Es war sein Fehler, also: munter raus mit den Knüppeln und feste drauf.
Politik ist ein schmutziges Geschäft.
Und in einer Demokratie wird die Schmutzwäsche gerne öffentlich gewaschen.
Fehler zu machen ist da hoch riskant.
Im Grunde enden nahezu alle politischen Karrieren mit dem einen, letzten Fehler zu viel.
Habeck wird diesen Fehler politisch überleben. Und er wird weitere machen. Vermutlich noch viele vor seinem Karriereende. Am Ende wird er möglicherweise mehr Fehler gemacht haben als viele seiner Konkurrent*innen. Möglicherweise aber auch deutlich mehr richtig.
Doch das ist Spekulation.
Fakt ist aber, dass wir in unserer Politik das haben, was man in Unternehmen eine „toxische Fehlerkultur“ nennen würde.
Sie gilt dort als eine der größten Erfolgsblockaden. Wenn in einem Unternehmen Fehler nicht besprochen, Probleme nicht gelöst werden und nur schuldzuweisend mit dem Finger auf andere gezeigt wird, bleiben Innovationen und Entwicklung aus.
Demgegenüber steht das Konzept der „Fehlerfreundlichkeit“.
Geprägt wurde der Begriff von Christine von Weizsäcker schon 1977. Kern des Konzeptes ist es, Fehler nicht als Störfaktor, sondern als Lernchance zu begreifen:
„Fehlerfreundlichkeit bedeutet zunächst einmal eine besonders intensive Hinwendung zu und Beschäftigung mit Abweichungen vom erwarteten Lauf der Dinge. Dies ist eine in der belebten Natur überall anzutreffende Art des Umgangs mit der Wirklichkeit und ihren angenehmen und unangenehmen Überraschungen.“
Falsche Fehler gibt es also nicht. Sondern nur Lernimpulse. Wäre eigentlich auch eine großartige Chance für gesellschaftliche Lernprozesse. Doch wir haben gesehen, dass unsere politischen Strukturen nicht besonders fehlerfreundlich sind.
Zum Glück haben wir jedoch ein weiteres Handlungsfeld in unserer Demokratie, in dem andere Regeln gelten – und das auch aus diesem Grund eine wichtige Rolle als Korrektiv in der politischen Kultur einnehmen kann:
Bürgerbeteiligung lebt von Fehlern.
Tatsächlich verdankt sie ihre Erfolgsgeschichte genau dieser oft unterschätzten Stärke. An vielen Orten waren es erst Fehler in der Politik, die zur Initialzündung von Beteiligung wurden.
Das von vielen so bewunderte „Potsdamer Modell“, bei dem die Beteiligung maßgeblich von einem paritätisch aus Bürgerschaft und Verwaltung besetzten Büro organisiert wird, konnte zum Beispiel nur entstehen, weil der erste Anlauf krachend scheiterte. Die Leitlinien der Beteiligung waren von externen Expert*innen beteiligungsfrei entworfen worden und fielen deshalb durch.
Auch das größte, längste und teuerste deutsche Beteiligungsverfahren – die Suche nach einem atomaren Endlager – konnte erst auf den Trümmern der gescheiterten obrigkeitsstaatlichen Festlegung auf den Standort Wackersdorf entstehen.
Bürgerbeteiligung ist heute in der Breite weit mehr als „Fehlerkorrektur“. Sie basiert aber nach wie vor auf der zumindest theoretisch akzeptierten Möglichkeit, dass Politik und Verwaltung ohne Partizipation Fehler produzieren können.
Das führt nicht dazu, dass Fehler im Fokus von Beteiligung stehen. Fehlerfreundlichkeit meint etwas anderes. Es geht in der Beteiligung um Lösungen, aber eben auch um kollektive Lernprozesse. Der Fokus ist positiv und gestaltend.
Doch damit das gelingt, spielen Fehler und damit zusammenhängende Konflikte eine wichtige Rolle: als Chancen, nicht als Problem.
Das ist im Alltag gar nicht so leicht zu leben. Die toxische Fehlerkultur der Politik schlägt auch in der Beteiligung immer wieder durch. Die einen suchen nach Fehlern im Verwaltungshandeln, die anderen fühlen sich rasch in Rechtfertigungsstrategien gedrängt.
Das kann Beteiligung schnell zur Farce werden lassen. Wenn Beteiligung die Fehlerkultur der Politik reproduziert, kann sie ihre Aufgabe nicht erfüllen.
Sie braucht dazu Fehlerfreundlichkeit. Sie darf und muss Fehler thematisieren, auch analysieren – um dann Lernerfahrungen zu generieren.
Dazu gehört übrigens auch, dass Beteiligungsprozesse fehlerhaft sein dürfen. Manchmal helfen solche Fehler auch dabei, genau diese fehlerfreundliche Kultur zu etablieren – wenn sie erkannt, diskutiert und gemeinsam korrigiert werden.
In der Endlagersuche haben wir dies „lernendes Verfahren“ genannt. Doch es gilt eigentlich für alle Beteiligungsprozesse:
Fehler sind Treiber der Beteiligung.
Und auch Fehler in der Beteiligung sind – getreu dem Konzept der Fehlerfreundlichkeit – grundsätzlich etwas Gutes.
Es kommt immer nur darauf an, wie wir diese Fehler nutzen. Erst dann entscheidet sich, ob daraus Fortschritt oder Drama entsteht.
Und manchmal braucht es das Drama auch für den Fortschritt. Das ist dann allerdings wieder ein anderes Konzept. Die Katharsis.
Auch ihr geht es ähnlich wie den Fehlern. Ungeliebt, ungeplant, oft als unnötig empfunden. Und manchmal doch die einzige Chance auf Erfolg.
Doch das ist ein Thema für einen eigenen Newsletter.
Bis dahin verbleibe ich mit einem Vorschlag. Packen Sie zu Ihren nächsten demokratischen Events einfach eine kleine Flasche Piccolo ein.
Und wenn er dann kommt, der nächste Fehler, und er kommt bestimmt: Entkorken Sie Ihr Fläschchen und feiern sie ihn.
Und dann schauen wir mal, was passiert …
Danke für den Gedanken und seine Erfrischung, ist ja nicht neu, trotzdem gerade in unserer Kultur scheint mir der Fehler, das Fehler machen unmittelbar verbunden zu sein mit sich selbst falsch fühlen, und das rührt oft an dem grundlegenden Bedürfnis der Zugehörigkeit. Somit kommt mir die fehlende Kultur der Fehlerfreundlichkeit als eine Bedingung des Funktionierens im System vor und wird bereits in der frühen Kindheit, dem Kindergarten und natürlich umfassend und zerstörerisch in den Schulen praktiziert als wäre es ein Naturgesetz. Dort werden Fehler ja mit dem Rotstift und dem Notensystem bestraft und führen sichtbar zur Stigmatisierung….