#154 | Der stille Tod

Das Phänomen der Inneren Kündigung gibt es nicht nur in Unternehmen – sondern auch in Demokratien. Welche Folgen hat das? Und wie kann man es vermeiden?

Ausgabe #154 | 15. Dezember 2022

Der stille Tod

Quiet Quitting trendete im vergangenen Sommer auf TikTok. Den Begriff in die Welt gesetzt hat ein junger Mann, der sich auf TikTok Zaid Zeppelin nennt. Mehr als 3,5 Millionen Mal wurde sein Video angeklickt.

Es geht darum, den eigenen Job zwar nicht direkt zu kündigen, aber damit aufzuhören, sich zu engagieren.

Quiet Quitting ist nicht gleichzusetzen mit „innerer Kündigung“. Denn die Quiet Quitter mögen ihren Job, sie sind einfach nur nicht bereit für zusätzliches Engagement.

Sekundengenau wird demonstrativ Feierabend gemacht, jeder Gefallen, jede Zuarbeit gegenüber Vorgesetzten, wird abgelehnt.

Studien kommen, ob bei inneren oder realen Kündigungen oder auch beim Quiet Quitting immer wieder zu ähnlichen Ergebnissen:

Als Hauptgrund wird „mangelnde Wertschätzung“ genannt, sogar noch vor zu niedrigem Gehalt.

Kein Wunder, dass es Unmengen von Management-Ratgebern und noch mehr Berater*innen gibt, die Unternehmen dabei helfen wollen, gegenüber ihren Mitarbeitenden Wertschätzung auszudrücken.

Und das ist auch nötig, denn tatsächlich herrscht bei vielen Vorgesetzten noch die Meinung, Wertschätzung sei eine Melange aus Gehaltserhöhung und Lob, gewürzt noch mit einem allgemeinen Dank auf der Weihnachtsfeier.

Das das nicht funktioniert, zeigen die hohen Zahlen: Eine große internationale Personalberatung hat ermittelt, dass für 45 Prozent aller Beschäftigten mindestens einmal mangelnde Wertschätzung der Grund für das Verlassen des Unternehmens war – und da sind die ganzen Quiet Quitters noch nicht eingerechnet.

Mangelnde Wertschätzung ist also der Hauptgrund für Abkehr von einem Unternehmen, einer Institution – und einer Gemeinschaft.

Tatsächlich gilt das prinzipiell auch für das Verhältnis zur Demokratie. Dort ist es noch etwas komplexer, aber auch hier gilt: Wer sich nicht als Mitglied einer demokratischen Gesellschaft wertgeschätzt fühlt, wer also glaubt, er sei dieser Gesellschaft egal – dem sind weit eher auch die Gesellschaft, ihre Institutionen, ihre Regeln und ihre Prozesse egal.

Das ist natürlich kein monokausaler Prozess. Nicht jeder Mensch, der mangelnde gesellschaftliche Wertschätzung empfindet, wird automatisch zum Antidemokraten.

Aber immer wieder erleben wir in Interviews mit Reichsbürger*innen, Rechtspopulist*innen und Hassposter*innen im Internet genau jene Wahrnehmung, ob berechtigt oder nicht: Die Betreffenden glauben, erheblich mehr Wertschätzung verdient zu haben, als ihnen entgegengebracht wird.

Diese Herausforderung erleben wir längst nicht nur an den politischen Rändern der Gesellschaft: Auch in Beteiligungsprozessen spielt Wertschätzung eine große Rolle. Gerade zu Anfang ist die Einladung zur Mitwirkung schon ein für viele ungewöhnlicher Ausdruck von Wertschätzung.

Geloste Teilnehmende von Bürgerräten zum Beispiel berichten immer wieder mit leuchtenden Augen von dem Moment, als sie den Brief mit der Einladung öffneten.

Wertschätzung ist also ein starkes Motiv für Beteiligung. Und sie ist, neben der Selbstwirksamkeit, auch ein starkes Motiv dafür, dem Beteiligungsprozess treu zu bleiben. Bis zum Ende durchzuhalten, ist oft anspruchsvoll. Es erfordert Zeit, die Bereitschaft zahllose Informationen zu verarbeiten, mit anderen und eben auch oft Andersdenkenden zu diskutieren, Konflikte auszuhalten.

Die gegenseitige Wertschätzung, aber eben auch die Wertschätzung durch die beteiligende Institution und vor allem die damit verknüpfte Aussicht auf eine ernsthafte Wirkung der Ergebnisse hält die Teilnehmenden im Prozess.

Fast immer funktioniert das. Doch auch hier gilt: Mangelnde Wertschätzung hat schon manch einen Prozess zerlegt. Treten Beteiligende oder von diesen engagierte Expert*innen zu arrogant auf, entsteht rasch der Eindruck, man sei nur Teil einer Show und nicht wirklich gefragt. Konflikte entstehen, Teilnehmende werden unkooperativ oder steigen ganz aus.

Erstaunlich viele ins Trudeln geratene Beteiligungsprozesse sind weniger Opfer tatsächlicher Interessengegensätze, sondern mangelnder Wertschätzung.

Wirklich herausfordernd ist jedoch eine weitgehend unbeachtete Phase in Beteiligungsprozessen. Es geht um das, was danach kommt. Wenn alle Events abgespult wurden, ein Ergebnis formuliert, vielleicht sogar im Konsens oder zumindest im Einvernehmen, und idealerweise schriftlich fixiert. Wenn die Evaluationsfragebögen ausgefüllt sind und die Presse berichtet hat.

Dann ist er Prozess nicht vorbei. Er kann – je nach Thema, Ergebnis und politischem Umfeld noch Wochen, Monate, manchmal Jahre dauern.

Doch jetzt geht es nicht mehr um Beteiligung, sondern – fast – ausschließlich um Wertschätzung.

Warum? Weil nach der Beteiligung vor der Beteiligung ist. Weil die langfristige Einschätzung eines Beteiligungsprozesses, das finale Urteil über die Selbstwirksamkeit, die Bereitschaft, sich erneut, weiter, vielleicht auch in anderen Kontexten demokratisch zu engagieren, davon abhängt, wie die Gesamtbilanz ausfällt.

Tatsächlich hängt das gar nicht so sehr davon ab, ob die Ergebnisse sich 1:1 in politischem und/oder Verwaltungshandeln niederschlagen.

Sondern von der Wertschätzung im Anschluss.

Waren die Beteiligten nur Faktoren in einem durchkomponierten Prozess? Erlosch das Interesse an Ihnen, ja sogar die Wahrnehmung ihrer Person im Moment der Ergebnisfixierung? War ab da nur noch das Ergebnis interessant? Oder gar nicht einmal das?

Wer intensiv und umfangreich beteiligt, investiert Zeit, Geld, Geduld und andere Ressourcen. Die so erzielte Wirkung sollte nicht gemindert oder gar entwertet werden, weil am Ende ein geringer Mehraufwand gescheut wird.

Dabei ist es nicht wirklich schwer: Anerkennung, Transparenz und Feedback sind die drei Schlüsselbegriffe:

Der Dank am Ende, nicht von der Moderation oder Prozessbegleitung, sondern von der Spitze der beteiligenden Institution, im Idealfall persönlich ausgesprochen, zur Not schriftlich formuliert, ist das Mindeste. Die Nennung der Beteiligten bei Veröffentlichungen und in Beschlussvorlagen ist ebenfalls eine gute Idee.

Und damit beginnt schon die Transparenz. Oft hört diese bei der Danksagung auf. Nur in wenigen Fällen werden die Beschlussvorlagen mit den Ergebnissen der Beteiligung (und jetzt wird die Nennung der Beteiligten wichtig) im Nachgang auch den Teilnehmenden zugesandt. Ebenso selten die tatsächlichen Beschlüsse, Planmodifikationen oder anderen unmittelbaren Ergebnisse aus der Beteiligung. Dabei ist das nicht wirklich aufwändig – es darf nur nicht vergessen werden.

Ergänzt wird diese Transparenz idealerweise durch mindestens ein Feedback – wenn final klar ist, welche Wirkung die Beteiligung hatte. Selbst wenn das erst viele Monate später möglich sein sollte, ist es wichtig, und wirkt als Ausdruck der Wertschätzung auch noch ein Jahr danach genauso gut.

Und wenn die Ergebnisse der Beteiligung am Ende nur minimal oder gar nicht in reales Handeln münden? Gerade dann ist ein Feedback wichtig – in dem erklärt wird, wie es dazu kam. Das ist keine Rechtfertigung, aber eine Wertschätzung durch Erklärung.

Und damit auch gelebte demokratische Kultur: Nicht jede Anstrengung, nicht jedes Engagement führt zu den gewünschten Ergebnissen.

Aber jede Anstrengung, jedes Engagement ist es Wert, wertgeschätzt zu werden.

Und jede Wertschätzung macht Lust auf mehr.

Das ist es, was wir brauchen.

Denn Unternehmen können sich nach Kündigungen neues Personal organisieren.

Die Demokratie kann das nicht.

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Detlef Wagner
15. Dezember 2022 17:14

Manchmal lese ich (speziell die beiden letzten) Beiträge als ein Art Trost und weiß nicht, ob ich mich ärgern muss, dass ich fast nie widersprechen kann.
Ergänzen würde ich heute, dass Wertschätzung, die von der erwarteten Stelle ausbleibt, hin und wider auch durch überraschende Querverbindungen und von unerwarteter Stelle kommen kann.

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