#164 | Einfach, leicht und intelligent …

Die politische Teilhabe vieler Menschen scheitert oft genug schon an der ersten Hürde: Der Sprache.

Ausgabe #164 | 23. Februar 2023

Einfach, leicht und intelligent …

Was haben Lehrkräfte, Betreuende in der Flüchtlingshilfe und Kinderbuchautor*innen gemeinsam?

Kommen Sie drauf?

Alle drei Gruppen beschäftigen sich im Alltag mit dem, was wir Leichte Sprache nennen.

Wer schon einmal eine Fremdsprache erlernt hat, weiß es: Leicht ist das nie. Und die deutsche Sprache hat für Lernende so ihre ganz besonderen Tücken.

Deshalb wurde die Leichte Sprache entwickelt.

Für Leichte Sprache gibt es ein festes Regelwerk, das Grammatik, Satzbau und Gestaltung regelt. Es müssen u. a. einfache und kurze Wörter, kurze Sätze mit einfachem Satzbau sowie veranschaulichende Bilder verwendet werden. Auf Fremdwörter sollte man verzichten und stattdessen Wörter verwenden, die bekannt sind. Inhalte sollten sinnvoll durch Absätze und Überschriften strukturiert werden.

Die Leichte Sprache soll Menschen, die nicht gut deutsch können, nicht gut lesen können oder Lernschwierigkeiten haben, Texte anbieten, die sie dennoch vollständig erfassen können.

Doch die – stark reglementierte – Leichte Sprache ist längst nicht die einzige Form, sinnverstehendes Lesen zu ermöglichen.

Die sogenannte Einfache Sprache unterscheidet sich von der Leichten Sprache. Sie ist komplexer. Obwohl es kein festes Regelwerk gibt, lassen sich trotzdem einige Grundsätze festmachen: Fremdwörter sollten vermieden bzw. erläutert werden. Es sollte darauf geachtet werden, dass Sätze kurz gehalten werden (maximal 15 bis 20 Wörter), der Text klar strukturiert und sinnvoll gegliedert ist. Texte sollten eindeutige Aussagen vermitteln, ohne Ironie, Metaphern oder Synonyme.

Ähnlich, aber wieder etwas anders, sind die unterschiedlichen Sprachformen, die in Texten für Kinder verwendet werden, die das Lesen lernen.

Ich selbst habe in meinem Leben an die 80 Bücher und zahlreiche Kurzgeschichten für Kinder im Grundschulalter geschrieben. Hier sind die Abstufungen noch feiner.

Am Anfang bestehen die Sätze aus wenigen Wörtern, später werden sie länger, aber nach jedem Sinnschritt umgebrochen. Die Komplexität steigt in mehreren Stufen. Deshalb erzählt ein Buch für Achtjährige andere Geschichten in einer anderen Sprache als ein Buch für Zehnjährige.

Und erst wenn man einen wirklich spannenden, funktionierenden Krimi für Siebenjährige zu Papier gebracht hat, weiß man, wie schwer Leichte Sprache sein kann.

In der Schule, in der Sprachförderung, in der Literatur machen wir uns also intensiv Gedanken über die Rezeption von Texten, weil wir die Zielgruppe zum Lesen einladen wollen, statt sie durch Überforderung abzuschrecken.

Aber wie handhaben wir es in der Demokratie?

Hier einmal ein Auszug aus dem Wahlprogramm der FDP zur vergangenen Bundestagswahl:

„Wir wollen ein Land, das gemeinsam mit unseren Wertepartnern des globalen Westens Freiheit und Menschenrechte weltweit entschlossen verteidigt und wo immer möglich globale Kooperation und nachhaltige Entwicklung zum Wohle aller Menschen befördert.“

Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie diesen Satz lesen müssen, um ihn vollständig zu verstehen? Bei mir waren es drei Durchgänge.

Aber auch unsere Wahlprozesse können wir wunderbar anspruchsvoll erklären:

„In den Wahlvorschlägen werden die Bewerberinnen und Bewerber getrennt nach Wohnbezirken aufgeführt. Die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte der einzelnen Wohnbezirke werden jedoch nicht nur von den Bürgerinnen und Bürgern ihres Wohnbezirks gewählt, sondern alle Wahlberechtigten der Gesamtgemeinde wählen die Ratsmitglieder für alle Wohnbezirke (deshalb der Begriff „unecht“).

So informiert das Innenministerium Baden-Württemberg interessierte Bürger*innen über die sogenannte „Unechte Teilortswahl“ bei den Kommunalwahlen.

Und auch bei der Einladung zur politischen Teilhabe jenseits von Wahlen erleben wir immer wieder Sprachmauern, die nicht alle überwinden können.

So lädt aktuell eine Kommune alle Anwohner*innen zur Beteiligung an einem Verkehrskonzept ein. Der Brief, auf offiziellem Briefkopf der Gemeinde, ist lang und geprägt von Sätzen wie:

„…in einem verkehrsberuhigten Bereich kann die bauliche Trennung von Fuß-, Rad- und PKW-Verkehr aufgehoben werden und Zufußgehende dürfen die Straße in ihrer gesamten Breite benutzen, durch die besondere Gestaltung und den niveaugleichen Ausbau muss der Eindruck vermittelt werden, dass die Aufenthaltsfunktion überwiegt und der Fahrzeugverkehr eine untergeordnete Rolle einnimmt …“

Das sind nur drei Beispiele aus Parteipolitik, Wahlprozessen und
Beteiligungsprojekten. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Sie zeigt: Wer sich in Deutschland demokratisch beteiligen will, muss eine Menge Sprachkompetenz mitbringen.

Das ist schade. Vor allem deshalb, weil wir die breite Beteiligung so sehr anstreben. Gerade Beteiligungsprojekte bieten die Chance, Menschen in demokratische Wirksamkeit zu bringen, die nicht zur Bildungselite gehören.

Tatsächlich gibt es bereits zahlreiche Kommunen, die ihre Beteiligungseinladungen und Materialien konsequent in Leichter oder Einfacher Sprache verfassen.

Die Allianz Vielfältige Demokratie bietet ihre „10 Grund-Sätze für eine gute Bürger-Beteiligung“ auch als Broschüre in Leichter Sprache an.

Die Stadt Wiesbaden erklärt zum Beispiel hier in Leichter Sprache, wie Bürgerbeteiligung funktioniert.

Es gibt also bereits positive Erfahrungen mit Leichter bzw. Einfacher Sprache in Beteiligungsprozessen. Tatsächlich ist deren Einsatz eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Beteiligung auch ihren Anspruch an Breite einlösen kann.

Und es wird auch erheblich leichter und einfacher, sie zu nutzen.

Denn die Nutzungsmöglichkeiten der Künstlichen Intelligenz sind heute erstaunlich. Und sie entwickeln sich dynamisch.

Aktuell können Sie zum Beispiel das relativ neue KI-Tool SUMM eines Münchener Startups dafür nutzen. Die Plattform capito bietet sogar eine Wahl zwischen drei verschiedenen Sprachstufen (einfach, leicht, sehr leicht) an.

Und wenn Sie (noch) keine kommerziellen Anbieter nutzen wollen, dann versuchen Sie es doch einfach mal mit dem frei zugänglichen KI-Tool ChatGPT.

Das übersetzt unser eingangs erwähntes FDP-Zitat in wenigen Sekunden:

„Wir möchten, dass unser Land die Freiheit und die Rechte aller Menschen auf der Welt schützt. Wir wollen auch mit anderen Ländern zusammenarbeiten, um allen Menschen zu helfen. Wir glauben daran, dass dies allen Menschen auf der Welt zugutekommt.“

Mit nur wenig Nacharbeit würde daraus ein einsatzfähiger Text.

Wir sehen also: Breite Beteiligung braucht eine andere Sprache.

Und es gibt nichts, was uns daran hindert, sie zu nutzen …

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