Ausgabe #166 | 9. März 2023
Klima, Knast und Kooperation
Der Klimawandel kommt nicht. Er ist schon da. Seine Auswirkungen sind dramatisch. Immer mehr, vor allem junge Menschen haben Angst vor der Zukunft. Sie wollen etwas tun.
Und sie wollen, dass die Gesellschaft etwas tut. Dass sie den Klimawandel ernst nimmt, die Klimakrise nicht aussitzt.
Einige von ihnen setzen sich deshalb auf die Straße, kleben sich fest, behindern für eine Weile den Autoverkehr. Denn der ist Teil des Problems.
Was viele jungen Menschen darin sehen: Ein Hilfeschrei.
Was große Teile von Politik, Medien und Gesellschaft sehen: Nötigung.
Beides stimmt. Und da wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben, hat das zwei Folgen.
Eine zwingende: Strafrechtliche Verfolgung.
Und eine optionale: Rezeption der Anliegen in der Politik.
Die strafrechtliche Verfolgung funktioniert. Und das ebenso drastisch wie kreativ.
In der vergangenen Woche gab es in Heilbronn die ersten Gefängnisstrafen ohne Bewährung. Für zwei Aktivisten wurden es jeweils zwei bzw. drei Monate Knast. Als Drogendealer muss man sich schon mehrfach erwischen lassen, um eine vergleichbare Haftstrafe zu bekommen.
In Bayern muss man als junger Mensch nicht mal auf der Straße kleben, um im Gefängnis zu landen. Sogar ohne Prozess. Dort darf die Polizei potenzielle Klima-Kleber präventiv bis zu zwei Monate wegsperren.
Und sie tut es auch. Allein im vergangenen Monat wurden in Bayern 33 Klimaaktivist*innen so bis zu 30 Tage inhaftiert.
Man kann über die ethische Berechtigung solcher Straßenblockaden geteilter Meinung sein. Ebenso über die Frage, wie strategisch klug solche Aktionen sind.
Was wir aber feststellen müssen: Unsere Gesellschaft reagiert auf Klimaaktivisten konsequent mit Klagen und Knast. Die Antworten auf den Klimawandel selbst bleiben dagegen vage, zögerlich, inkonsequent.
Während unsere Strafmechanismen gut eingeübte Prozesse aufweisen, tun wir uns bei gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen noch schwer.
Wenn wir angesichts der drastischen Transformationszwänge da nicht besser werden, gerät nicht nur das Klima aus den Fugen, sondern auch unsere Demokratie.
Knast und Klagen können nicht die finalen Antworten auf die vom Klimawandel betroffene junge Generation sein.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit derselben Kreativität und Konsequenz nicht über Strafe, sondern über Chancen nachdenken.
Und das führt uns für heute weg von den Klagen.
Nach Klagenfurt.
Die Stadt im österreichischen Kärnten hat kürzlich mit einem kreativen Ansatz von sich reden gemacht: Dort haben junge Menschen in einem erstaunlichen Beteiligungsprozess Zukunft gestaltet.
Klagenfurt will als Stadt klimaneutral werden. Nicht irgendwann. Sondern in wenigen Jahren. „Mission KS 30“ heißt das Projekt. Es steht für „Mission Klagenfurt: klimaneutral und smart bis 2030“.
Dazu braucht es eine Strategie.
Die gibt es schon. Doch sie sollte neu ausgerichtet werden, ehrgeiziger, umfassender, erfolgversprechender.
Also wurden Expert*innen eingeschaltet. Sie kamen vom anerkannten Austrian Institute of Technology (AIT). Ihre Aufgabe war kein Gutachten, sondern die Gestaltung eines Partizipationsprozesses mit jungen Menschen.
Und der war nicht nur kreativ, sondern konsequent.
Schüler*innen zweier berufsbildender Schulen gestalteten Österreichs ersten „Jugend-Foresight“ Prozess. Moderiert von jungen Menschen aus ihrer Gruppe, qualifiziert von den AIT-Expert*innen erarbeiteten sie Zukunftsszenarien, entwickelten eine Vision für eine klimakompatible Stadt und formulierten eine konkrete Roadmap.
Sie identifizierten „Key-Driver“ für eine nachhaltige Stadtentwicklung und bündelten ihre Ergebnisse in eine neue Langfriststrategie für ihre Kommune.
Ihre Ergebnisse stellten die jungen Menschen in einer gut besuchten Konferenz vor.
Die Tagung bot ein eindrucksvolles Bild: Auf der Bühne junge Menschen, im Publikum die Entscheider*innen.
Beinahe entstand der Eindruck, hier beteiligt die junge Generation die ältere an ihrer Zukunftsgestaltung.
Damit diese Zukunftsgestaltung auch belastbar funktioniert, entwickelten die jungen Menschen gleich ein ganzes Bündel von Evaluationsmechanismen.
Dazu gehört ein Wirkungsmonitor genauso wie ein in Modell zur städtischen CO2-Bilanzierung. In Vorbereitung ist auch die Gründung eines Jugendbürgerbeirats. Dieser unterstützt und konsultiert die Stadt bei Projekten und Entscheidungsfindungen.
Konflikt- und schmerzfrei lief auch der Klagenfurter Prozess nicht. Bis heute sind nicht alle Kommunalpolitiker*innen begeistert von dem ehrgeizigen Vorhaben. Aber die Mehrheiten stehen, die „Mission KS 30“ wird Wirklichkeit.
Und die Ausstrahlung des Klagenfurter Ansatzes reicht weit über die Landesgrenzen hinaus.
Klagenfurt wurde als eine von insgesamt 112 Städten (davon 100 europäische – und 12 nicht-europäische Städte) auserwählt, die bis 2030 den Weg zur Klimaneutralität aufbereiten und als Vorzeigestädte (pilot-cities) für die restlichen Städte innerhalb der EU fungieren sollen.
Das gilt nicht nur für das Ziel, sondern auch für den Weg dorthin.
Die Idee, die Zukunft einer klimakompatiblen, lebenswerten Stadt primär von jenen entwickeln zu lassen, die später darin leben sollen, liegt auf der Hand.
Und das Klagenfurter Modell beweist: Es funktioniert.
Vielleicht sollten wir einfach mehr darüber nachdenken, wie wir junge Menschen nicht aus dem Verkehr ziehen, sondern mehr von ihnen besser in Wirkung bringen.
Warum?
„Weil die Jugendlichen die Ersten sind, die diese Maßnahmen betreffen“, sagt Wolfgang Hafner, der Abteilungsleiter Klima- und Umweltschutz der Stadt Klagenfurt.
Und damit bringt er es auf den Punkt.