#173 | Es beginnt mit einem Tisch

Es braucht nicht viel, um politische Teilhabe zu ermöglichen. Wenn der Wille da ist.

Ausgabe #173 | 27. April 2023

Es beginnt mit einem Tisch

Manche Beteiligungsprozesse sind kompliziert. So kompliziert, dass sie ohne externe Dienstleister*innen nicht denkbar sind.

Also werden sie ausgeschrieben.

Und dadurch noch komplexer. Bis ins kleinste Detail sollen Bieter*innen Formate, Events, Moderationstechniken, Zwischenschritte und manchmal auch schon vorab Ergebnisse beschreiben. Dazu noch ihre Vorerfahrungen nennen, die fachliche Kompetenz der Mitwirkenden beschreiben und kleinteilige Kalkulationen abliefern.

Schon die Angebotsunterlagen für 600 Meter schlichte Straße in einem Industriegebiet können schnell mehr als 80 Seiten umfassen.

Wir haben im Berlin Institut für Partizipation allerdings auch für Beteiligungsprozesse schon Bieterdokumente mit mehr als 120 Seiten geprüft – im Rahmen unserer Beratung für ausschreibende Verwaltungen.

Je nach Komplexität des Verfahrens mag das durchaus Sinn machen.

Im Allgemeinen neigen wir in Deutschland aber dazu, Prozesse und Vorhaben im internationalen Vergleich besonders kompliziert und detailliert zu planen.

Umso spannender ist es, sich Projekte anzuschauen, die einen ganz anderen Ansatz haben.

Wie zum Beispiel in Greifswald.

Dort beginnen Beteiligungsprozesse gerne mal mit dem Satz:

,,Setzen Sie sich dazu und reden Sie mit!’

Tatsächlich kann einem als Passant*in in der Greifswalder Innenstadt jedes Jahr im September durchaus einmal ein Tisch begegnen. Mit Menschen, die einen zum Gespräch einladen.

Direkt, spontan und ohne komplexes Format, Präsentation oder einen anderen Input.

Diese Tische finden sich an unterschiedlichen Stellen der Stadt, Initiatorin ist die kommunale „Partnerschaft für Demokratie“. Anbieten können solche Tische örtliche Vereine, Initiativen, Verwaltungseinheiten und auch ganz normale Bürger*innen.

Jedes Jahr im September soll so Raum geschaffen werden, in dem alle Bürger*innen die Chance bekommen, ihre Meinungen, Ideen und Wünsche für die Stadt zu äußern.

Die Ergebnisse werden zusammengetragen, dokumentiert und an Bürger*innen, Politik und Fachämter kommuniziert.

Wichtig ist den Initiator*innen, dass Tische stets allen offenstehen – und alles dort besprochen werden kann.

Niederschwelliger kann ein Beteiligungsangebot kaum sein. Der Einstig ist ohne Vorkenntnisse und spontan möglich.

Man kann so lange diskutieren, wie man möchte, sein Thema platzieren und weitergehen, oder sich auf einen intensiven Austausch einlassen.

Das Format, in Greifswald nennen sie es „DemokraTische“, ist so erfolgreich, dass im vergangenen Herbst rund 20 davon an unterschiedlichen Orten stattfanden. Schwerpunkt war in diesem Jahr eine Art „Straßenevaluation“. Gefragt wurde nach der Wahrnehmung der Bürgerbeteiligung in der Stadt.

Wo gelingt Bürgerbeteiligung bereits? Wo wünschen Sie sich mehr Beteiligungsmöglichkeiten in politischen Gremien, der Stadtverwaltung, der Schule oder in Freizeiteinrichtungen? Und was verhindert eine sinnvolle Beteiligung bisher?

Das waren typische Fragen an die Tischgäste.

An anderen Tischen ging es um Zukunftsgestaltung. Was macht ein lebendiges Ortsteilzentrum aus? Welche Mobilität brauchen wir in der Stadt, wie gelingt fairer Handel? Auch hier waren die Themen breit und boten doch genug Raum für die eigenen Anliegen der Diskutierenden.

Natürlich gibt es große Vorhaben, die auch große Beteiligungsprozesse brauchen. Und es gibt große Formate, die berechtigterweise mit einem Millionenbudget ausgestattet sind. Doch dabei sollten wir nicht vergessen:

Gelebte Beteiligungskultur kann ganz einfach sein. Und gar nicht teuer.

Es braucht wenig: einen Tisch, eine Frage, die Bereitschaft zuzuhören. Und schon kann Beteiligung beginnen.

In Greifswald setzt man übrigens durchaus auch auf andere Formate und Angebote. Es gibt eine digitale Beteiligungsplattform, sogar eine weitere explizit für Jugendliche.

Auch Greifswald nutzt unterschiedliche Formate und Prozesse der politischen Teilhabe. Einige sind komplex und intensiv.

Doch die regelmäßigen DemokraTische mag niemand mehr missen. Sie sind, so sagte mir eine zuständige Mitarbeiterin der Stadt: „echte Beteiligungsbooster“.

Und als solche funktionieren sie überall. Als Ergänzung zur kommunalen Beteiligungspraxis – oder als vorsichtiger Einstieg und erste Beteiligungserfahrung für Bürger*innen und Verwaltungen. Oder Verbände. Oder Parteien. Oder Initiativen. Oder Unternehmen.

Das ist ja das Attraktive an den DemokraTischen: Jede*r kann damit anfangen.

Überall.

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