Ausgabe #174 | 4. Mai 2023
Reisen in der Zeit
Vor etwas über 20 Jahren startete in den USA eine Science-Fiction-Serie. Sie hieß „Firefly“ und der produzierende TV Sender Fox hatte große Erwartungen.
Immerhin war Joss Whedon der Produzent, der zuvor mit „Buffy – im Bann der Dämonen“ einen globalen Hit gelandet hatte. Entsprechend große Freiheiten räumte FOX ihm bei der neuen Serie ein.
Und das nutzte er aus. Firefly wurde ein wilder Mix aus Science Fiction, Sezessionskriegsaufarbeitung, Drama, Comedy, Horror und Western.
Es wurde im All gekämpft, auf Pferden geritten, chinesisch geflucht, kannibalisch gespeist und kurz darauf gekalauert.
Das Publikum war damit überfordert. Der Sender geriet in Panik. Und es geschah etwas, was im US-Fernsehen eher selten ist:
Die Serie wurde nach der Ausstrahlung von 11 Folgen aus dem Programm genommen, obwohl 14 Folgen produziert worden waren. Die letzten drei Folgen verschwanden im Archiv.
Doch das seltsame Ende der Serie hatte eine noch seltsamere Fortsetzung: Fox versuchte, den finanziellen Schaden zu begrenzen und brachte die Serie auf DVD in den Handel.
Dort verkaufte sie sich nicht nur gut, sondern von Jahr zu Jahr besser. Eine immer größere Fangemeinde entstand. Und die machte Stimmung für eine Fortsetzung.
Das kam auch beim Produzenten an.
So geschah etwas, das in Hollywood nicht nur selten ist, sondern faktisch so gut wie nie vorkommt. Zwar ist es durchaus üblich, dass erfolgreiche Kinofilme Jahre später als (oft erfolglose) Serie noch einmal aufgebrüht werden.
Bei Firefly geschah es jedoch andersrum.
Joss Whedon brachte tatsächlich die Finanzierung für einen Kinofilm zusammen. Und so bekam eine erfolglose Fernsehserie, die vorzeitig abgesetzt wurde, tatsächlich eine Fortsetzung als Kinofilm.
2005 kam „Serenity – Flucht in neue Welten“ in die Kinos. Und wurde sensationell gut aufgenommen.
Die Geschichte von Firefly verstößt gegen viele scheinbar unumstößliche Regeln der Filmbranche. Auch weil der Erfolg quasi im Rückwärtsgang zustande kam, die Reise quasi am Ende begann und am Beginn endete.
Heute sind Serie, Film und die beteiligten Akteure Legenden in der Science-Fiction-Szene, werden noch immer auf Fanmessen gefeiert und haben Generationen von Autor*innen beeinflusst. Viele sagen, sogar mehr als Star Wars und Star Trek.
Und genau da wird es für uns interessant. Nicht nur, weil wir einen wilden Mix aus Themen und Kulturen immer wieder auch in Prozessen der demokratischen Teilhabe erleben.
Sondern eben auch, weil wir meist klare, strukturierte, etablierte Abläufe pflegen, die selten hinterfragt werden.
Beteiligung findet fast immer auf einem Zeitstrahl statt. Kaum eine Präsentation kommt ohne dieses Bild aus, selbst auf vielen Webseiten zu Beteiligungsprozessen finden wir sie.
Aktivierung, Information, dann Diskussion, letztlich Einvernehmen, gefolgt von einem ausformulierten Ergebnis und anschließend häufig (aber nicht immer) die Verarbeitung des Ergebnisses durch Politik und/oder Verwaltung.
Schritt für Schritt werden die Prozesspunkte abgehakt, Phasen abgeschlossen, Fortschritte verbucht.
Und das funktioniert meistens auch ganz gut. Es gibt ja einen Grund für dieses Vorgehen, so wie bei dem ungeschriebenen Gesetz, dass die Serie dem Kinofilm folgt.
Nur manchmal funktioniert es eben nicht.
Eine Serie kann man absetzen. Einen Beteiligungsprozess eher nicht.
Was wir aber können – und das ist uns häufig nicht klar: uns von der Idee verabschieden, Beteiligung wäre ein Prozess, der sich immer nur in eine Richtung bewegt.
Es ist absolut möglich, und manchmal sogar nötig, den Zeitstrahl in beide Richtungen zu begreifen.
Gerade, wenn es stockt. Wenn es Konflikte gibt. Wenn Frustration aufkommt. Wenn Ergebnisse ausbleiben oder nicht realisierbar sind.
Dafür kann es viele Gründe geben. Einer davon kann die Zeit sein. Vielleicht wurde der Fortschritt zu schnell geplant. Oder gar erzwungen. Vielleicht sind auch einzelne Akteure deutlich langsamer auf dem Zeitstrahl unterwegs als andere.
Wann immer also Beteiligungsprozesse ins Trudeln kommen, kann eine unkonventionelle Reise in der Zeit neue Impulse setzen.
Indem man zum Beispiel zurückspringt, also noch einmal in die Informations- oder gar Aktivierungsphase einsteigt. Oder nach vorne springt. Oder den Zeitstrahl rückwärts bereist. Oder mehrere Schleifen durchläuft.
Möglichkeiten gibt es viele. Doch am Anfang steht die Bereitschaft, nicht nur Methoden und Formate zu hinterfragen, sondern eben auch die Reise in der Zeit.
Solange alles funktioniert, ist es nicht unbedingt nötig. Wenn es aber hakt, dann ist die Reise in der Zeit die oft am wenigsten beachtete, aber manchmal eben entscheidende Perspektive, um Teilhabeprozesse neu zu beleben.
Zeit ist der wohl am meisten unterschätzte Faktor in demokratischen Prozessen.
Deshalb lohnt sich ein Blick auf ihn. Bei der Planung, der Moderation, der Evaluation. Wenn es nicht läuft – und wenn es gut läuft. Immer.
Tatsächlich gibt es sogar einige innovative Beteiligungsformate, die ganz bewusst mit Reisen in der Zeit spielen.
Genau die schauen wir uns in der kommenden Woche genauer an.
Sehr schöner Kommentar zum Star-Wars-Tag. May the 4th be with you!
Eine Freude, mir es ist!