#177 | Worauf legt der Kunde Wert?

Wer wissen will, was Menschen brauchen, muss sie fragen. Erstaunlich, dass es so selten vorkommt …

Ausgabe #177 | 25. Mai 2023

Worauf legt der Kunde Wert?

Er promovierte in internationalem Recht, arbeitete gleichzeitig als Journalist, flüchtete 1933 vor den Nazis und wurde in den USA zum Begründer der modernen Management-Lehre.

Peter Ferdinand Drucker hat so viel Einfluss auf die Ausbildung von Manager*innen ausgeübt, wie wohl kein anderer Mensch. Sein Einfluss auf das moderne Consulting war ähnlich hoch.

Legendär ist sein „5-Fragen-Konzept“, mit dem er zahlreichen Firmen und großen NGOs dabei half, sich neu auszurichten, gar neu zu erfinden.

Sogar die Vereinten Nationen nutzten sein Modell.

Ich arbeite mit den fünf Fragen bis heute auch in der Beratung von Institutionen, die interne Zielkonflikte haben, einen neuen Fokus suchen oder sich aus unterschiedlichen Gründen neu justieren wollen oder müssen.

Die Fragen klingen banal, aber die Beantwortung hat es in sich. Sie lauten:

  1. Was ist unsere Mission?
  2. Wer ist unser Kunde?
  3. Worauf legt der Kunde Wert?
  4. Was sind unsere Ergebnisse?
  5. Was ist unser Plan?

Peter F. Drucker legte Wert darauf, dass dieser Prozess eine Methode der Selbsteinschätzung ist.

Es geht also nicht darum, sich von klugen Consultants sagen zu lassen, was man tun soll, sondern es selbst und gemeinsam in der Firma, Institution oder Organisation zu erarbeiten.

Meine Erfahrung ist dabei oft ähnlich: Während die Fragen nach der Mission und den Kund*innen oft mühsam beantwortet werden, aber dann meist auch substantiell überzeugend, ist es bei der dritten Frage anders:

„Worauf legt der Kunde Wert?“

Hier kommen die Antworten meist schnell, oft spontan. Und fast immer von allen Beteiligten dieselbe.

Und fast immer die falsche.

Drucker betont deshalb in seinen Werken unmissverständlich:

Wer wissen will, worauf Menschen Wert legen, muss die Menschen fragen.

Nicht zu wissen, worauf die Menschen Wert legen, für die man tätig ist, ist schlecht. Zu glauben, man wüsste es, ist jedoch fatal.

Tatsächlich ist diese Erkenntnis und das darauffolgende Einlassen auf die „Kunden“ in nahezu allen „5-Fragen-Prozessen“ der tipping point.

Plötzlich verändert sich die Sichtweise auf die eigene Organisation. Fast immer wird auch die Mission noch einmal neu bedacht und formuliert.

Eine gemeinsam getragene neue Fokussierung entsteht.

Der Effekt war von Peter F. Drucker gewollt. Aber für ihn war es mehr als ein didaktischer Kniff. Ihm ging es darum „eine Gesellschaft von Bürgern für morgen zu schaffen.“

Das ihm das bei den Generationen von Manager*innen, die zwischenzeitlich ausgebildet wurden, nur bedingt gelang, ist eine andere Sache.

Es mindert nicht die Klarheit seiner Botschaft: Wer wissen will, was Menschen brauchen, muss sie fragen.

Punkt.

Die moderne Bürgerbeteiligung lebt dieses Prinzip. Es ist die Grundlage der Idee, von politischen Entscheidungen oder Verwaltungshandeln betroffene Menschen zu fragen, sie einzubeziehen und gemeinsam mit ihnen gute Entscheidungen und gutes Handeln zu ermöglichen.

Das ist gut.

Aber oft nicht wirklich konsequent umgesetzt. Die Regel ist, dass Institutionen Themen definieren, Beteiligte „scopen“ und einladen, Prozesse, Formate und Methoden festlegen, Moderator*innen auswählen. Dann wird beteiligt.

Und sobald Ergebnisse vorliegen, ist Schluss.

Die Aufbereitung derselben, die Präsentation vor Entscheider*innen, die Evaluation, die Wirkungskontrolle findet dann wieder beteiligungsfrei in institutioneller Eigenregie statt.

Das kann man so machen.

Man muss es aber nicht. Beteiligung kann auch beteiligt gestaltet werden.
Es gibt da ausgezeichnete Erfahrungen:

Wer soll alles beteiligt werden, welche Sichtweise fehlt, wen müssen wir noch ansprechen? Das muss nicht festgelegt werden, sondern kann wunderbar und oft viel ergebnisreicher mit den bereits Beteiligten diskutiert werden.

Welche Themen sind beteiligungsrelevant? Auch das kann man problemlos die Bürger*innen fragen.

Welche Formate und Methoden helfen weiter, womit fühlen sich die Beteiligten wohl? Worauf der „Kunde“ Wert legt, erfährt man, wenn man ihn fragt. Sagt Drucker.

Muss man die Ergebnisse einer Beteiligung erst vom Dienstleister formulieren, dann von der Verwaltung übersetzen und am Ende von einem völlig unbeteiligten Akteur vor Entscheider*innen präsentieren lassen? Oder gewinnt man, wenn die Beteiligten selbst die Chance erhalten, zu sagen, worauf sie Wert legen?

Das gilt für zahlreiche Themen der Partizipation. Eine digitale Beteiligungsplattform ist geplant? Warum nicht die Bürger*innen fragen, was dabei für sie wichtig ist?

Im Grunde lautet die Faustregel: Partizipation wird vor allem besser durch Partizipation.

Beteiligung beteiligt zu planen, ist der Schlüssel. Das muss nicht immer so sein, aber es lohnt sich, damit zu experimentieren.

„Worauf legt der Kunde wert?“

Wenn wir es nicht sicher wissen, sollten wir fragen. Peter F. Drucker würde wohl sagen:

„Und wenn wir es sicher wissen – dann erst recht.“

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