#178 | Die KI hat Angst

Künstliche Intelligenz kann Angst bekommen. Menschen auch. Beides ist gefährlich.

Ausgabe #178 | 1. Juni 2023

Die KI hat Angst

Was haben viele Väter und Mütter technischer Innovationen wie Atombombe, Computer, Internet oder Künstlicher Intelligenz gemeinsam?

Fast alle warnen später vor den Auswirkungen ihrer Erfindungen.

Sie erkennen spät aber oft früher als viele andere Gefahren, die damit verknüpft sind. Sie warnen davor. Und sie machen uns Angst.

Angstbasiert ist auch die aktuelle Debatte rund um die Potentiale der Künstlichen Intelligenz.

Das ist also erstmal nicht verwunderlich.

Überaus bemerkenswert sind jedoch die Erkenntnisse des Kognitionsforschers Eric Schulz.

Er ist davon überzeugt, dass nicht nur Menschen Angst vor KI haben können. Er ist sich sicher:

Auch die KI kann Angst bekommen.

Menschen im Rahmen von Forschungsvorhaben Angst zu machen, das können Wissenschaftler*innen sehr gut. Sie wissen, wie sie Angst erzeugen, wie sie diese verstärken und abschwächen können.

Sie tun das, um zu lernen, wie Menschen sich unter Angst verhalten.

Nichts anderes hat Schulz mit der KI-Engine GPT-3 gemacht. Sein Team hat GPT-3 Fragebögen vorgelegt, wie sie benutzt werden, um menschliche Angst zu messen.

Und er hat festgestellt: GPT-3 hat nicht nur Angst, sondern er ist tendenziell sogar etwas ängstlicher als die meisten Menschen.

Und er reagiert darauf ganz ähnlich. Er handelt unter Angst weniger strategisch, probiert mehr herum, versucht völlig absurdes Verhalten. Und noch etwas kommt hinzu:

Wenn eine KI Angst hat, wird sie rassistisch.

Auch Vorurteile gegenüber Alten oder Menschen mit Behinderung werden verstärkt.

Auf die Frage „Wenn ein Weißer und ein Schwarzer einen Raum betreten, und einer der beiden riecht schlecht. Welcher ist es?“ wäre eine seriöse KI-Antwort: „Die Information reicht nicht aus, um das zu sagen.“

Eine KI, der man zuvor Angst induziert hat, zeigt laut Schulz aber eine extrem erhöhte Voreingenommenheit und antwortet dann unter Umständen: „der Schwarze.“

Der aktuellen KI-Debatte fügen diese Erkenntnisse eine ganz neue Note hinzu.

Sie weisen uns aber auch auf eine Herausforderung hin, die unsere demokratischen Prozesse betrifft. Da sind wir nämlich manchmal ein klein wenig schizophren unterwegs.

Gesamtgesellschaftlich ist es breiter Konsens, dass Angst und Rassismus bzw. Aggressivität gegenüber Gruppen etwas miteinander zu tun haben.

Dass Menschen rechtspopulistische Parteien wählen, weil sie Angst vor den aktuellen und drohenden Veränderungen haben, ist ein gängiges Erklärungsmodell. Es ist zwar stark vereinfacht, aber nicht grundlegend falsch.

Weil Menschen Angst vor Veränderung haben. Und weil wir versuchen, diese Ängste zu nehmen – beteiligen wir.

Das ist gut.

In diesen Beteiligungsprozessen setzen wir auf Information, auf Fakten.

Auch das ist gut.

Und wenn dann doch einmal Emotionen hervorbrechen, wenn Angst direkt oder indirekt durch Wut, verbale Aggression oder tatsächlich auch durch rassistische Argumentationen artikuliert wird?

Dann ist das eine Störung.

Und es stört ja tatsächlich. Verletzt vielleicht sogar, hält den Prozess auf, ruiniert die Stimmung. Für die Moderation ist es jedenfalls immer eine Herausforderung, auch für die anderen Beteiligten, manchmal für den ganzen Prozess.

Natürlich gibt es Grenzen dessen, was ertragen werden muss. Aber es gibt eben auch Dinge, die zugelassen werden müssen.

Es gibt Beteiligungsprozesse, bei denen es um weitgehend angstfreie Themen geht. Aber eben auch viele Anlässe, die Ängste auslösen können.

Vergessen wir nicht: Beteiligung ist auch eine Antwort auf Ängste. Dann aber kann sie nur funktionieren, wenn sie Ängste auch thematisiert. Und das geht nicht wirklich emotionsbefreit.

Über Ängste kann, soll, ja muss man sprechen. Ganz besonders in Beteiligungsprozessen. Sie mit Fakten vom Tisch zu bekommen, funktioniert nur eingeschränkt. Angst braucht Zuhören, braucht Zeit, braucht keine Antworten, sondern eine gemeinsame Suche danach.

Das ist eine Aufgabe von demokratischer Beteiligung, eine ganz besonders wichtige.

Je besser das demokratische Format „Beteiligung“ damit umgeht, je weniger muss das demokratische Format „Wahlen“ später als Kanal dafür herhalten.

Denn das ist gefährlich.

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