#191 | Sommer in Rosenheim

In vielen Städten hat sich die Bürgerbeteiligung in den vergangenen Jahren stürmisch entwickelt. Doch da gibt es einen kleinen Ort in Bayern, der damit schon vor 30 Jahren begonnen hat.

Ausgabe #191 | 31. August 2023

Sommer in Rosenheim

In Oberbayern gibt es keinen Klimawandel. Nicht einmal Jahreszeiten. Immer ist sommerlich angenehm warmes Wetter.

Es regnet nie. Und doch ist die Natur grün und saftig.

Ganz besonders in Rosenheim.

Und das schon seit über 20 Jahren. Zumindest im Fernsehen.

Seit 2002 spielt dort eine der erfolgreichsten deutschen Fernsehserien: Die Rosenheim-Cops.

In über 500 Folgen wurden etwa so viele Morde aufgeklärt.

Das ist natürlich ähnlich unrealistisch wie das Wetter. Statistisch wäre zwischenzeitlich ungefähr in jeder Straße der Stadt ein Mensch ermordet worden.

Aber das macht nichts. Schließlich bietet die Serie beliebte Unterhaltung.

So wie in Folge 11 der 15. Staffel. In Rosenheims Nachbarort Ganting ist Bürgermeisterwahl.

Der umtriebige Dauerbürgermeister fürchtet eine Gegenkandidatin.

Deshalb hat er den PR-Profi Lukas Beutner angeheuert. Doch der wird kurz darauf ermordet aufgefunden.

Wir wollen nicht verraten, wer der Mörder ist, die Folge ist aktuell in der ZDF Mediathek streambar.

Wenn Sie den Ort Ganting auf der Landkarte suchen, werden Sie feststellen: Ganting gibt’s gar nicht.

Über mehrere Staffeln hinweg wurden die Ganting-Szenen meist in Weyarn gedreht, einer sehr beschaulichen Gemeinde in der Nähe Rosenheims.

Weyarn ist eine Gemeinde, die ein wenig im Schatten der öffentlichen Wahrnehmung liegt.

Bei den Rosenheim-Cops hat sie es nicht mit ihrem echten Namen ins Bild geschafft.

Und ganz ähnlich sieht es in einem anderen Bereich aus.

Während die Stadt Heidelberg als inspirierende Quelle der Bürgerbeteiligung und Leitlinien-Beispiel wahrgenommen wird, gab es im kleinen Weyarn schon viele Jahre zuvor ernsthafte Bürgerbeteiligung.

Und was für welche!

1993 begann die Reise im Rahmen der Dorferneuerung. Vier Jahre lang wurde partizipativ ein Dorf- und Gemeindeentwicklungsplan erarbeitet, das „Hausaufgabenheft für die nächsten zehn Jahre in der Gemeindeentwicklung“.

Der nächste Schritt zur institutionalisierten Bürgerbeteiligung war die im Jahr 2008 vom Gemeinderat einstimmig erlassene „Satzung zur Weiterführung der Bürgerbeteiligung in der Gemeinde Weyarn“.

Sie fixiert die zwei Säulen der Entscheidungsfindung: Der herkömmliche Entscheidungsprozess über den gewählten Gemeinderat wird durch Bürgerbeteiligung ergänzt.

Die wiederum basiert auf drei wichtigen Strukturen:

Die Bürger-Arbeitskreise gründen sich autonom, sie tagen öffentlich, dokumentieren ihre Tätigkeiten und beraten ihre Projekte regelmäßig im Steuerungsgremium. Sie haben ein Recht auf ein jährliches Budget und auf Weiterbildung sowie externe Beratung. Derzeit gibt es 13 Arbeitskreise.

Das Steuerungsgremium besteht aus gewählten sowie von den Arbeitskreisen bestimmten Mitgliedern, es fungiert als Koordinationsinstanz der Arbeitskreise. Im Steuerungsgremium werden die Planungs¬ergebnisse der Arbeitskreise besprochen. Ebenso wie deren Budgetanforderungen werden sie anschließend dem Gemeinderat als Beschlussvorlagen vorgelegt.

Das Mitmachamt, eine direkt dem Bürgermeister unterstellte, hauptamtliche Koordinationsstelle innerhalb der Bürgerbeteiligung, ist Informationsdrehscheibe zwischen Gemeinderat, Verwaltung, Arbeitskreisen und Steuerungsgremium.

Schon 2013 führte das zu sensationellen Ergebnissen. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung gaben 58 Prozent der Bevölkerung Weyarns an, Bürgerversammlungen zu nutzen. Etwa 31 Prozent gaben an, eher stark interessiert am politischen Geschehen zu sein und 27 Prozent waren sogar sehr stark interessiert.

Bis heute kann das kleine Weyarn auch erheblich größeren Kommunen als Inspiration für solide verankerte und gelebte Bürgerbeteiligung gelten.

In der vergangenen Woche haben wir Leitlinien betrachtet. Hier in Weyarn ist es sogar eine verbindliche Beteiligungssatzung geworden, die nur mit einer Zweidrittelmehrheit angefasst werden kann.

Das sind solide Grundlagen für eine zentrale Herausforderung: die Verstetigung von Beteiligung.

Tatsächlich muss es dazu aber nicht unbedingt Leitlinien oder eine Satzung geben. Es gibt auch andere Möglichkeiten. Eine Alternative lernen wir in der kommenden Woche kennen.

Dann schauen wir uns unter anderem an, was das Manager-Magazin „Die Lebenslüge vieler Chefs“ nennt …

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