Ausgabe #193 | 14. September 2023
Kohle in Kalk
Der Filmemacher Rami Hamze will sich engagieren. Er will etwas Nützliches tun.
So beginnt eine ungewöhnliche Geschichte im Kölner Stadtteil Kalk.
Rami Hamze sammelt 10.000 Euro Spendengelder und stellt sie den Kalker Bürger*innen zur Verfügung.
Sie sollen entscheiden, wie sie das Geld in ihren Stadtteil investieren wollen. Alle sollen mitmachen: Demokratie zum Anfassen.
Und dann geht die Sache gründlich schief.
Denn mit den verschiedenen Bürgerinitiativen und Einzelpersonen, die er um sich schart, treffen nicht nur unterschiedliche Lebenseinstellungen und Vorstellungen aufeinander.
Sondern auch unterschiedliche Egos und Gefühle.
Der demokratische Prozess entwickelt sich zu einem erbitterten Nervenkrieg.
Dokumentiert ist dieser Prozess im Film Der große Demokrator. Die Doku ist gut geschnitten, an einigen Stellen sogar humorvoll. Und doch bierernst.
Rami Hamzes Fazit ist deshalb auch durchaus ernüchternd: „Im Endeffekt hat sich herausgestellt, dass Demokratie im Kleinen genauso wie Demokratie im Großen sein kann: voller Ellbogeneinsatz, ohne Rücksicht auf Minderheiten, klüngelhaft und undurchsichtig.“
Dem aufmerksamen Beobachter mit Beteiligungserfahrung entgeht nicht, dass der Protagonist vieles falsch macht. Und manchmal wird auch offensichtlich, dass dies aus dramaturgischen Gründen geschieht.
Mit ein wenig mehr Methoden- und Moderationskompetenz wäre der Prozess anders verlaufen. Wenn auch nicht so telegen.
Mein Eindruck ist: Der Regisseur und Protagonist des Films wusste in weiten Teilen des Projekts genau, was er da tat. Und was er nicht tat.
Dennoch, oder gerade deswegen, ist der Film jedem Beteiligungspraktiker wärmstens zu empfehlen. Ich habe schon mehrtägige Fortbildungen damit bestritten.
Rami Hamze wusste auch, wie er die Beteiligung in seinem Film schnell und wirksam in Gang setzen konnte: Er verteilte Geld.
Geld ist ein wichtiger Hebel.
Tatsächlich ist Geld auch der dritte Hebel der Verstetigung von Beteiligungskultur. Wir haben in der letzten Ausgabe unseres Newsletters Leitlinien als Hebel zur Verstetigung betrachtet.
Ein weiterer Hebel ist die personelle Ausstattung, mit der wir uns vor zwei Wochen beschäftigt haben. Beide funktionieren zusammen, aber auch einzeln sorgen sie für nachhaltigere Beteiligungspraxis.
Gleiches gilt für Geld. Natürlich kann man 10.000 Euro verteilen lassen. Oder 100.000 Euro. Und das jedes Jahr. Oder jeden Monat.
Die in vielen Kommunen Deutschlands praktizierten Bürgerbudgets sind so ein Modell. Auch sie sind nicht konfliktfrei.
Das sollen sie auch nicht sein.
Denn sie setzen Impulse in der Stadtgesellschaft, fordern und fördern Beteiligungskultur.
Viele Kommunen berichten von steilen Lernkurven bei Bürger*innen, in der Verwaltung und der Kommunalpolitik.
Langfristig ein Bürgerbudget in der Haushaltsplanung zu verankern, verstetigt und verbessert Beteiligung.
Aber das ist nicht die einzige Methode, um Finanzen wirken zu lassen.
Ein fester Betrag für Bürgerbeteiligung im Haushalt hilft ebenso. Oder die interne Vorgabe, einen bestimmten Prozentsatz bei relevanten Vorhaben für Beteiligung ansetzen zu müssen.
Auch eine Kennzahl als Zielvorgabe kann eine glaubwürdige Selbstbindung fördern. Deutsche Kommunen geben jährlich pro Kopf zwischen 0 und mehr als 50 Euro für Beteiligung aus. Das Berlin Institut für Partizipation hat ermittelt, dass je nach Größe der Kommune ab etwa 5 Euro pro Einwohner*in und Jahr gute Beteiligung möglich ist.
Dazu kommt: Geld kann als Katalysator auch die Wirksamkeit personeller Ressourcen multiplizieren.
Viele Fachstellen für Beteiligung tun sich schwer damit, verwaltungsintern zu wirken. In der Regel haben sie kein Weisungsrecht, können sich den unterschiedlichen Fachämtern nur als Berater anbieten.
Immer wieder berichten mir Mitarbeitende solcher Fachstellen davon, dass sie von Beteiligungsverfahren in ihrer Kommune erst aus der Zeitung erfahren.
Sobald solche Fachstellen jedoch ein solides Budget haben und bei ihnen die finanziellen Mittel für Prozesse und externe Dienstleister*innen abgeholt werden können oder müssen, katapultiert sie das im verwaltungsinternen Beliebtheitsranking weit nach oben.
Geld ist nicht alles.
Aber mit Geld geht vieles leichter. Auch Beteiligung. Und da geht es eben nicht nur um Summen, es geht um Strukturen.
Wer welches Geld nach welchen Kriterien verteilt – das ist nicht nur der entscheidende Plot des „großen Demokrators“.
Sondern auch einer der drei Hebel zur Verstetigung von Beteiligung.
Leitlinien oder Satzungen, personelle und finanzielle Ressourcen: Im Idealfall gibt es alle drei Beteiligungstreiber. Doch schon einer davon kann wirken. Und zieht die anderen Beiden oft nach.
Die Allianz Vielfältige Demokratie stellt einige Beispiele in ihrer ausgezeichneten Broschüre vor.
Und wenn es (noch) keinen der Hebel in Ihrer Kommune gibt? Dann versuchen Sie es doch mal wie Rami Hamze. Mit einem ersten, kleinen Bürgerbudget. Das wird dann nicht unbedingt filmreif.
Aber auf jeden Fall wirksam.