Ausgabe #204 | 30. November 2023
Können Sie’s?
Stefan S. ist frustriert. Und sauer. Und deshalb ist er weg.
Dabei fing alles so schön an: Eines Tages flatterte ihm eine Einladung ins Haus.
Er war als einer von 160 Bürger*innen ausgewählt worden, um im Bürgerrat des Deutschen Bundestages das Thema „Ernährung im Wandel“ zu diskutieren.
Dessen Teilnehmer*innen wurden nach einem komplexen Los- und Auswahlverfahren ermittelt. Sie sollten die ganze Breite der Bevölkerung abbilden.
Das fand Stefan S. klasse. „Da waren Leute mit ganz unterschiedlichen Meinungen dabei, so wie es sein soll …“, sagte er in einem Interview. Aber: „… leider nur bei den Teilnehmern und nicht bei den moderierenden Gegenübern.“
Denn Stefan S. fühlte sich rasch manipuliert. Schon nach dem Auftaktwochenende in Berlin stand für ihn fest, dass er den Bürgerrat verlassen wird.
Seine Kritik geht dabei genau in die Richtung, die zuvor schon Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion formulierten:
Der Bürgerrat sei alles andere als ergebnisoffen. Stefan S. glaubt, dass die Moderator*innen die Diskussionen in die von ihnen gewünschte Richtungen gelenkt hätten.
Und diese Richtung sei, die CDU freut es zu hören, „links-grün“. Natürlich spielt in die Karten dieser Lesart, dass die Hauptmoderatorin bei der letzten Bundestagswahl GRÜNEN-Kandidatin war.
Dass die politisch von vielen eher links verordnete Organisation Mehr Demokratie e.V. vom Bundestag mit der Umsetzung des Bürgerrates beauftragt wurde, ploppte bei der Gelegenheit ebenfalls auf.
Auch gezielte, manipulative Formulierungen und Fragen bei weiteren Moderierenden beklagte Stefan S.
Für jene, die Bürgerräte und/oder überhaupt Bürgerbeteiligung für eine Zumutung gegenüber den politischen Mandatsträger*innen halten, sind solche Ausstiege natürlich ein gefundenes Fressen.
Wie klug die Personalauswahl der umsetzenden Organisationen war, wollen wir hier nicht beurteilen. Ob es eine gute Idee von mehr Demokratie war, sich hier als Dienstleister der Politik zu verdingen – darüber wird gerade auch innerhalb des Vereins heftig gestritten.
Fatal ist in jedem Fall, wenn die Moderation nicht als neutral wahrgenommen wird. Ganz besonders, wenn es sich um Beteiligung mit hohem Konfliktpotential handelt.
Neutralität zu wahren, fällt jedem Menschen schwer: ganz besonders, wenn er oder sie sich schon umfassend mit dem Thema beschäftigt hat.
Tatsächlich kennen wir auch genug Fälle, wo wirklich gute, wertschätzende, zugewandte, ergebnisoffene Moderation von Beteiligten missverstanden wird. Weil diese missverstehen wollen.
Das macht es Beteiligenden schwer, Kritik zu verarbeiten. War unser Prozess gut geplant? Haben wir ihn methodisch gut moderiert? Haben wir Beteiligung normativ und inhaltlich tief genug verstanden, um sie gut zu organisieren? Diese Fragen stellen sich alle engagierten beteiligenden Menschen.
Vielleicht kann – neben der immer wichtigen externen Evaluation – auch hier eine Broschüre der Allianz Vielfältige Demokratie helfen.
In der vergangenen Woche hatte ich die Broschüre zu „Häufigen Vorbehalten gegen Bürgerbeteiligung“ empfohlen. Weit über 500 Menschen haben sie seitdem heruntergeladen.
Das motiviert mich zu einem weiteren Hinweis auf eine ebenfalls kostenlose und lesenswerte Publikation des Netzwerks:
BÜRGERBETEILIGUNG – WELCHE VORAUSSETZUNGEN BRINGE ICH MIT?
Tatsächlich enthält diese Broschüre einen professionell entwickelten Test Ihrer Beteiligungskompetenzen.
Bei diesem Test handelt es sich um eine Selbsteinschätzung. Sie allein beurteilen sich, und Sie allein ziehen daraus Konsequenzen.
Eine halbe Stunde Zeit sollten Sie dafür ansetzen. Dafür bekommen Sie am Ende ein sehr wertvolles Feedback, mit konkreten Tipps und Hinweisen. Vorausgesetzt: Sie sind ehrlich zu sich selbst.
Sie können den Test auch im Team machen – und gemeinsam über Ihre Ergebnisse sprechen.
So oder so hilft er Ihnen dabei, besser zu beteiligen.
Sie werden es sehen, diese halbe Stunde lohnt sich. Für Ihre Prozesse.
Aber auch für Sie ganz persönlich.