Ausgabe #211 | 18. Januar 2024
Inspiration oder Klon?
„Gut kopiert ist besser als teuer erfunden“, steht auf dem Cover des Buchs von Oded Shenkar.
Der Management-Professor an der Ohio State University beschreibt in seinem Buch ein Phänomen, das in der Startup-Community für Diskussionsstoff sorgt:
Copycats.
So werden Start-ups bezeichnet, die erfolgreiche Geschäftsmodelle nachahmen.
Der Begriff Copycat kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt „Nachahmer“ oder sogar „Trittbrettfahrer“.
Das Geschäft mit den Kopien boomt. Ob Bewertungsportale oder Singlebörsen, Couponing-Firmen oder Onlineshops für Brillenmode.
Jedes erfolgreiche Geschäftsmodell wird zügig kopiert.
Viele deutsche Firmen beruhen auf den Kopien amerikanischer Unternehmen – so wird auch der Mode-Online-Shop Zalando als Kopie des amerikanischen Zappos angesehen.
Auch das ehemals erfolgreiche deutschsprachige soziale Netzwerk StudiVZ galt als Kopie von Facebook.
Ein Geschäftsmodell erfolgreich zu kopieren, ist jedoch alles andere als einfach.
Tatsächlich scheitert die übergroße Mehrheit der Copycats grandios. Auch StudiVZ ist längst eingegangen.
Manchmal liegt es am Unvermögen der Manager*innen, manchmal geht den Investor*innen die Luft aus. Oft liegt es aber daran, dass eine Idee, die in einem Land funktioniert, nicht automatisch auf einen anderen Markt übertragbar ist. Kulturelle Unterschiede sind oft eine Hürde, die nur schwer zu überwinden ist.
Wir kennen das auch im Bereich der demokratischen Teilhabe. Auch hier bleiben tolle Ideen, erfolgreiche Projekte, innovative Methoden nicht unbemerkt.
Best Practice ist ein Begriff, der gerne verwendet wird. Erfolgreiche Beteiligung als Blaupause für andere Vorhaben.
Anders als in der Wirtschaft, wo Copycats immer auch ein wenig das Image von Schmuddelkindern anhaftet, ist dies im Bereich der Partizipation durchaus erwünscht.
Best Practices werden auf Kongressen vorgestellt. Initiator*innen erfolgreicher Beteiligungsformate zu Vorträgen und Gastbeiträgen eingeladen.
Immer wieder werden auch gute Projekte mit Auszeichnungen bedacht. Aktuell gibt es gleich drei attraktive Preise.
Die Hans-Sauer-Stiftung vergibt aktuell einen Preis für Beteiligung zur sozial-ökologischen Transformation. Hier war vor Kurzem Bewerbungsschluss. Heute Morgen habe ich als Jury-Mitglied zahlreiche wunderbare Einsendungen zur Prüfung erhalten.
Der Freistaat Sachsen hat ebenfalls einen Preis für Gute Beteiligung ausgelobt. Er wird seit diesem Jahr in diversen Kategorien verliehen und ist umfangreich dotiert. Bewerben können sich sächsische Beteiligungsprojekte.
Bundesweit gibt es seit 2023 die Auszeichnung „Gute Bürgerbeteiligung“ für kommunale Träger. Hier sind noch bis Ende Mai Bewerbungen möglich.
All diese Preise prämieren Gute Beteiligung, auch weil die ausgezeichneten Projekte „als Vorbild für zukünftige Beteiligungsvorhaben dienen können“, wie es zum Beispiel in Sachsen heißt.
Das ist wunderbar.
Aber: Die in diesem Jahr sicher zahlreich prämierten Projekte zu kopieren, ist gefährlich. Copycats gehen in der Beteiligung genauso schnell schief wie in der Wirtschaft.
Denn die oft entscheidenden kulturellen Unterschiede sind für Beteiligung noch relevanter.
Bürgerbeteiligung ist kein Prozess, der, einmal optimiert, überall verlässlich funktioniert. Es ist vor allem eine Kulturpraxis, die von vielen Faktoren geprägt wird: Erfahrung der Verantwortlichen, Vorgeschichte der Beteiligten, Offenheit der Entscheider*innen, Konfliktfähigkeit, Vertrauen, Themenwahl, Entscheidungsspielraum, Diskurskompetenz, Ressourcen, Erwartungshaltungen, um nur einige zu nennen.
Der Resonanzraum für Beteiligung ist nicht nur in jeder Kommune anders, sondern variiert obendrein auch auf der Zeitachse. Was 2012 in einem migrantisch geprägten Mannheimer Quartier funktioniert hat, kann 2024 in einem Hamburger Villenviertel funktionieren.
Wetten sollte man darauf nicht.
Sind Best Practices deshalb gar nichts wert? Doch. Das sind sie.
Es macht Sinn, sich Erfolgsgeschichten genau anzuschauen. Es ist hilfreich, wenn sie durch Preise und Auszeichnungen bekannt werden. Es ist gefährlich, sie zu kopieren.
Die Initiator*innen zu kontaktieren, auszuquetschen, zu verstehen, wie dort Beteiligung erfolgreich wurde, lohnt sich immer. Kopieren nicht.
Nicht nur, weil Dinge, die in Frankfurt funktionieren, in Freiburg scheitern können.
Sondern weil es essenziell ist, Beteiligung gemeinsam mit den Beteiligten zu gestalten.
Partizipation ist eben kein Produkt, keine Marke, keine Dienstleistung – sondern Kultur. Und Kultur kann man nicht kopieren oder importieren.
Nur entwickeln. Und das auch nur gemeinsam.