Ausgabe #225 | 25. April 2024
Beteiligung oder Mitbestimmung?
Es war jahrelang eines der Vorzeigeunternehmen für Innovation made in Germany.
Schon 1972 gründeten Dietmar Hopp und vier IBM-Kollegen im badischen Weinheim die Gesellschaft bürgerlichen Rechts Systemanalyse Programmentwicklung, heute bekannt als SAP.
Es war zunächst nur ein Programm zur Finanzbuchhaltung, später wurde daraus ein ganzes Portfolio an integrierten Anwendungen. SAP gilt daher auch als ein Miterfinder der Standardsoftware. Das Unternehmen wuchs und wuchs, auch mit teils rabiaten Methoden.
Die Tagesschau berichtete 2021, das Unternehmen habe sich „offenbar auch mit unlauteren Methoden, vor allem Diebstahl geistigen Eigentums, an die Weltspitze getrickst.“ Kürzlich erst zahlte SAP in den USA 222 Millionen US-Dollar Strafe, um einem Verfahren wegen Fälschung von Auftragsbüchern in Südafrika und sechs anderen Ländern zu entgehen. In den Vorwürfen ging es außerdem um Korruption und Bestechung.
Auch beim Umgang mit den Beschäftigten wählte man bei SAP lange einen Weg, den man wohlwollend unkonventionell nennen könnte. Denn SAP entwickelte schon früh ganz eigene Formen der Mitarbeiterpartizipation.
Innovative Beteiligungsformate wie Barcamps und Planungszellen gehörten ebenso dazu wie diverse Konsultations- und Kollaborationsprozesse. Sogar einen direkten Draht zum Vorstand gab es – über die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat, die vom Arbeitgeber ermächtigt wurden, sich um Themen wie Mobbing, Arbeitsplatzwechsel, soziale und Arbeitszeitfragen zu kümmern.
Das klingt auf den ersten Blick wunderbar. In der Praxis war dieses Vorgehen aber auch dabei hilfreich, einen Betriebsrat zu verhindern. Lange blieben Gewerkschaftsmitglieder in der Softwareschmiede eine exotische Erscheinung.
Als einige Beschäftigte versuchten, eine rechtliche Vertretung zu gründen, griff der große Boss persönlich ein. Dietmar Hopp schrieb an die Mitarbeiter*innen: „Ein von der IG Metall bestimmter Betriebsrat wird die Erfolgsgeschichte von SAP in Gefahr bringen. Es warten viele Menschen in China, um den Job von SAP zu machen.“
Spätestens in diesem Moment wurde deutlich: Beteiligungsangebote in Unternehmen sind nicht automatisch etwas Gutes. Werden sie eingesetzt, um rechtlich verbindliche Interessenvertretung zu verhindern oder zu marginalisieren, sind sie kritisch zu hinterfragen.
Partizipation in der Arbeitswelt ist beileibe kein Nischenthema mehr. Eine aktuelle Studie unseres Berlin Institut für Partizipation hat ergeben, dass Beteiligungsangebote in deutschen Unternehmen in den vergangenen Jahren zugenommen haben. Und das auch in Unternehmen, die einen Betriebsrat und damit eine rechtlich saubere Mitbestimmung haben.
Sich die Studie näher anzuschauen, lohnt sich. Sie belegt, dass die Erfahrungen und Erwartungen aus der Zivilgesellschaft durchaus auch in den Unternehmen ankommen.
91 Prozent der über 3.000 Studienteilnehmer*innen bekräftigten, dass ihnen Mitgestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten wichtig seien. 86 Prozent wollen, das Beschäftigte in Zukunft mehr als bisher einbezogen werden.
Immerhin 17 Prozent der Befragten gaben an, dass in ihrem Unternehmen „sehr häufig bis häufig“ beteiligt würde. In fast der Hälfte der Firmen gibt es zumindest hin und wieder Beteiligungsangebote. Dies ist gegenüber einer ähnlichen Studie von vor drei Jahren eine deutliche Verbesserung. Tatsächlich ist der Träger der betrieblichen Beteiligung sogar überwiegend der Betriebsrat (in 82 Prozent der Unternehmen), etwas seltener der Arbeitgeber (66 Prozent).
In einigen Firmen beteiligen Arbeitgeber und Betriebsrat parallel oder gar gemeinsam.
Insgesamt ist die betriebliche Beteiligung in Deutschland ein spannendes Entwicklungsfeld, noch auf niedrigem quantitativen und auch qualitativen Niveau, aber deutlich zunehmend.
Eine Stärkung der innerbetrieblichen Partizipation wird in vielen Betrieben nicht konfliktfrei laufen, aber dort, wo es Mitbestimmung durch Betriebsräte gibt, scheint auch die Beteiligung besonders chancenreich zu sein. Nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zu klassischen Strukturen, ganz wie in der repräsentativen Demokratie auch.
Angesichts der Tatsache, dass viele Menschen einen großen Teil ihrer wachen Zeit in der Arbeitswelt verbringen, ist dies eine gute, wichtige Entwicklung, auch im Sinne einer Stärkung der Demokratie.
Die hat am Ende übrigens auch bei SAP gesiegt.
Trotz „alternativer“ Angebote und massiver Anfeindungen haben Beschäftigte nach jahrelangem Ringen schließlich einen Betriebsrat durchgesetzt.