#236 | Spur der Steine

Steine spielen in der Geschichte der Demokratie immer wieder eine Rolle. Auch aktuell in der Bürgerbeteiligung. Da sind sie aus Kunststoff. Und bunt.

Ausgabe #236 | 11. Juli 2024

Spur der Steine

Steine. Immer wieder Steine. In der Geschichte der Demokratie tauchen sie an vielen Stellen auf.

Als Barrikadenmaterial schon in der demokratischen Revolution von 1848.

Als Wurfgeschoss in den Straßenkämpfen der Studentenunruhen von 1968.

Heute oft als Stolpersteine in Gehwegen, die an die Deportation und Ermordung jüdischer Menschen in der dunkelsten Epoche deutscher Geschichte erinnern.

Sogar in Filmtiteln.

„Spur der Steine“ hieß ein Film, der schon 1966 in der damaligen DDR produziert wurde.
Er handelte von einem Bauarbeiter-Kollektiv, das einerseits für seine Spitzenleistungen bewundert wurde – die aber auf ganz und gar nicht systemkonforme Weise erzielte.

Der Film wurde nach der Uraufführung rasch verboten und konnte erst beim Niedergang der DDR 1989 wieder in den Kinos gezeigt werden.

Bis heute ist er sehenswert. Auch als Illustration dafür, wie geplante Ergebnisse manchmal nur zustande kommen, wenn die dafür vorgesehenen Prozesse kreativ verändert werden.

Das führt uns zu ganz anderen Steinen und ihre Rolle in der demokratischen Teilhabe.

Dafür gedacht waren sie ursprünglich nicht.

Eigentlich wurden sie als Kinderspielzeug entwickelt: Bunte Spielzeugsteine aus Kunststoff, die man kreativ zusammensetzen konnte.

Und nein, Lego hat sie nicht erfunden. Sondern das britische Unternehmen Kiddicraft. Und das bereits in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Das Unternehmen selbst hatte nicht wirklich große Erwartungen in das Produkt gesetzt und deshalb die Patentrechte nur für Großbritannien erworben.

Ziemlich parallel entwickelte der dänische Tischlermeister Ole Kirk Christiansen Holzspielzeug. 1934 erfand er den Namen „Lego“ als Abkürzung für „leg godt“, dänisch für „spiel gut“. Erst 15 Jahre später produzierte Lego die ersten Kunststoffsteine, die den heutigen ähnelten.

Damit waren die Dänen eigentlich zu spät dran. Aber da die Briten eben kein weltweites Patent hatten, konnten sie mit ihren Produkten international durchstarten.

Das Ergebnis kennen wir.

Heute ist Lego einer der größten Spielzeughersteller der Welt. Und ein besonders klagefreudiger dazu: Wer tatsächlich oder vermeintlich Rechte von Lego verletzt, wird von einer Armada von Anwält*innen verfolgt. Spannend, wenn man die Erfolgsgeschichte von Lego selbst kennt.

Die verlief übrigens nicht ohne tiefe Täler. Mehrfach drohte dem Unternehmen das Scheitern.

So unter anderem auch in den 90er Jahren. Der Aufstieg der digitalen Spiele ließ Lego zunehmend aus den Kinderzimmern verschwinden.

Es brauchte eine neue strategische Ausrichtung. Der damalige Chef Kjeld Kirk Kristiansen, Enkel des Firmengründers, holte sich Berater ins Haus.

Die Professoren Johan Roos und Bart Victor vom IMD (Institute of Management Development) in Lausanne hatten eine Methode entwickelt, kreative strategische Ansätze in Teams zu entwickeln.

Ihr Konzept des Real Time Strategy (RTS) setzte auf drei Grundlagen: Interaktion, Simplifizierung und Nutzung von Metaphern.

Die Idee war, kreative Prozesse zielgerichteter zu machen, indem quasi die analytische Hirnhälfte durch die kreative Hirnhälfte “beraten” würde.

Kristiansen war von dem Konzept begeistert. Und entwickelte es gemeinsam mit den beiden Professoren weiter.

Statt Bilder und Skizzen kamen nun Lego-Steine ins Spiel. Am Ende entstand daraus ein Konzept, das Lego 2002 offiziell vorstellte und im Original (mit den Lego immer wichtigen Copyright-Vermerken) LEGO® SERIOUS PLAY® (LSP) nannte.

In den vergangenen Jahren wurde LSP auch in deutschen Berater- und Unternehmerkreisen immer beliebter.

Seit knapp zwei Jahren taucht LSP zudem auch immer wieder in Beteiligungsprozessen auf.

Ein guter Grund, sich das Konzept einmal genauer anzusehen.

Auch deshalb, weil es sich dabei NICHT um eine Beteiligungsmethode handelt.

LSP wird bislang vor allem in unternehmerischen Strategie-Workshops genutzt. Aber auch im Team-Building, in der Produktentwicklung und (seltener) im Coaching.

Grundlage sind speziell dafür zusammengestellte Pakete aus klassischen Lego Steinen, zu kaufen direkt bei Lego mit durchaus anspruchsvollen Preisen.

Dazu kommen ganz spezielle Formate und Seminarkonzepte.

Die stehen übrigens tatsächlich nicht unter Copyright-Vorbehalt. Jede*r darf die Methode nutzen.

Auch die Ausbildung als „LSP Facilitator“ ist nicht geschützt. Lego selbst bietet sie überhaupt nicht an, sondern diverse Unternehmen, die meist aus dem Bereich des Agilen Arbeitens kommen.

Vereinfacht gesagt, sollen die Teilnehmenden Aufgaben erfassen und Lösungen, Produkte oder Prozesse entwickeln. Dabei sollen sie diese (durch Nutzung der Lego-Steine) maximal vereinfachen und mit „Metaphern“ arbeiten.

In komplexen Prozessen entstehen aus Einzelmodellen Gruppenmodelle und – sofern sinnvoll – am Ende auf dieser Grundlage gemeinsame Systemmodelle.

Da viele Menschen parallel arbeiten und ihre Ergebnisse dann zusammenbinden, liegt die Idee nahe, LSP auch in Beteiligungsprozessen einzusetzen.

Das ist auch grundsätzlich möglich, manchmal sogar sehr sinnvoll.

Aber nicht mit den ritualisierten LSP-Methoden.

Ganz ausgezeichnet lassen sich mit LSP allerdings Konflikte analysieren, Systeme erkennen, die dazu geführt haben und Lösungen entwickeln, um Wege in Konflikte zu vermeiden und Wege aus Konflikten gemeinsam zu „bauen“.

Auch in gestaltenden Beteiligungsverfahren kann LSP eingesetzt werden, wenn es um das Verständnis unterschiedlicher Perspektiven, Interessen und Wirksamkeitspfade geht. Vor allem aber:

Im Design von Beteiligungsprozessen.

Das wurde und wird auch immer wieder in der Praxis gemacht. In der Entwicklung der Beteiligungsprozesse zur Suche nach einem Atommüllendlager kamen dafür Duplo-Steine zum Einsatz, ebenso bei partizipativ entwickelten Klimaschutzkonzepten.

Erst vor zwei Wochen habe ich meine Studierenden damit einen Beteiligungsprozess zur Verkehrsplanung gestalten lassen.

Lego-Steine und Formate des LEGO® SERIOUS PLAY® haben also durchaus auch in der demokratischen Teilhabe einen Platz. Allerdings eben nicht 1:1, sondern methodisch sauber geplant und eingesetzt.

Wie genau, dazu bietet das Berlin Institut für Partizipation auch Inhouse-Seminare an, die speziell auf Bedürfnisse der Bürgerbeteiligung zugeschnitten sind.

Ob in der Stakeholder-Analyse, im Prozess-Design, in der Evaluation oder in der partizipativen Aufarbeitung von Konflikten: Überall können die kleinen bunten Noppensteine positive Spuren hinterlassen.

Und so ganz nebenbei: Spaß macht’s auch …

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