#244 | Breit und brutal

Ist gute Diskussion-Kultur das Ziel politischer Teilhabe? Oder doch eher die Eintrittskarte?

Ausgabe #244 | 5. September 2024

Breit und brutal

„Also das Scheiß-Windrad, das …“

„Stopp! Wir wollen hier wertschätzend und gewaltfrei diskutieren. Bitte verwenden Sie keine vulgären Ausdrücke!“

„Vul… was?“

„Na, Sie wissen schon. Das Sch…-Wort!“

„Äh. Ah. Achso. Also das Windrad, das hat der blöde Bürgermeister …“
„Moment! Bitte auch keine Beleidigungen. Wir wollen hier doch wertschätzend und gewaltfrei bleiben!“

„Also schön. Zum Windrad nochmal. Unser Bürgermeister will das doch nur, weil es gerade Mode ist und er sich beliebt machen will, bei den Bürgern …“

„Es tut mir leid, dass ich Sie schon wieder unterbreche. Aber wir haben nun mal unsere Diskussionsregeln. Dort an der Wand stehen sie. Bitte achten sie auf genderneutrale Sprache. Es gibt auch BürgerINNEN. Wir wollen ja wertschätzend und gewaltfrei …“

„Echt jetzt? Wissen Sie, wo Sie sich ihre Wertschätzung hinstecken können? Mir reicht’s. Ich gehe!“

Zugegeben. Der Dialog ist erfunden.

Aber nicht vollständig.

So oder so ähnlich habe ich alle Sätze schon gehört.

Immer wieder entbrennt in Beteiligungsprozessen ein Streit um die Frage, was wie gesagt werden darf – und was nicht.

Grundsätzlich wollen wir es ja: wertschätzend und gewaltfrei diskutieren.

Unser Anspruch an gute Beteiligungsdiskurse ist eben, dass niemand verletzt wird. Auch deshalb, weil wir in unserer Gesellschaft einen Mangel an dieser Kultur beklagen.

Klingt gut. Ist aber problematisch.

Das hat etwas mit der Frage zu tun, wen wir denn letztlich beteiligen wollen.

Beteiligung soll Menschen in Wirksamkeit bringen, die ihre Interessen nicht ohnehin schon über andere demokratische Prozesse gut vertreten können.

Dabei sind es klar bestimmbare Milieus, die in Parlamenten, Vereinsvorständen, Unternehmensleitungen, Verwaltungsspitzen dominant sind.

Sie sind überproportional gebildet, vermögend, vernetzt, selbstbewusst, strategisch und rhetorisch kompetent. Sie pflegen und beherrschen eine Sprache, die Interessen wirksam, aber verbindlich artikulieren kann. Die zahlreiche Nuancen von Zustimmung, Kritik, Erwartung kennt.

Die so die Zugehörigkeit zum selben Milieu, zum erfolgreicheren Teil der Gesellschaft, in wenigen Sätzen untereinander dokumentiert. Und nicht nur untereinander. Sondern auch für jene, die nicht dazugehören.

Sprache eint. Und trennt. Und manchmal trennt eben auch wertschätzende, freundliche, sensible Sprache.

Das spielt besonders dann eine Rolle, wenn es gelungen ist, wirklich breit zu beteiligen. Wenn also Menschen aus eher „beteiligungsfernen“ Milieus tatsächlich am Prozess teilhaben.

Dann kann die radikale Durchsetzung von eigentlich erstrebenswerten Diskurs-Standards genau den Erfolg der breiten Rekrutierung wieder gefährden.

Im Grunde lässt sich sogar umgekehrt formulieren: Je weniger sprachkulturelle Kollisionen es in einem Diskurs gibt, desto größer ist die Chance, dass einige zu Beteiligende fehlen.

Deshalb ist der Umgang mit Diskurs-Standards alles andere als akademisch, sondern eine sehr konkrete Herausforderung.

Zunächst einmal spricht nichts dagegen, solche Standards zu formulieren. Aber nicht als „Regeln“. Sondern als erstrebenswerte Ziele. Und auf keinen Fall als Ausschlussgrund.

Auch nicht als Auslöser permanenter Zurechtweisung.

Wer sich nicht high-end sozialkompatibel ausdrücken kann, ist kein schlechter Beteiligter (oder eben eine schlechte Beteiligte). Seine oder ihre Interessen sind nicht weniger wert.

Dort, wo es gelingt, diese Haltung zu leben, geschieht ohnehin meist nach kurzer Zeit etwas Wunderbares: je intensiver die Beteiligung wird, je akzeptierter alle Beteiligten sind, desto wertschätzender wird der Austausch.

Nur das Wertschätzung eben bei unterschiedlichen Menschen auch unterschiedlich ausgedrückt wird.

Rufen wir uns in Erinnerung: Gute Beteiligung will und muss ganz oft eben genau jene Menschen erreichen, deren Sprach-Skills nicht fein akademisch austrainiert sind.

Wenn das so ist, dann muss sie auch robustere Debatten aushalten.

Genau dafür ist Beteiligung da.

Warum das so wichtig ist?

Wegen Thüringen.

Und Sachsen.

Denn nach den überhaupt nicht überraschenden aber gleichwohl alarmierenden Ergebnissen der jüngsten Landtagswahlen machen sich viele Menschen Gedanken.

Ganz besonders jene, die sich aktiv für unsere Demokratie engagieren.

Und dazu gehören eben auch viele, die Beteiligung initiieren, planen, organisieren, moderieren.

Wie kann Beteiligung dazu beitragen, die Demokratie zu stärken? Das ist eine spannende Frage. Ich habe dazu allein in dieser Woche über ein Dutzend Gespräche mit politischen Entscheidern geführt.

Ich musste leider regelmäßig antworten: Gute Bürgerbeteiligung stärkt die Demokratie. Absolut. Aber dazu muss sie auch gut gemacht sein. Also ernsthaft um Wirkung bemüht und eben breit. So breit, dass sie auch mal wehtut.

Vor allem muss sie jene erreichen, die zweifeln.

Das kann sie. Auch in großem Umfang. Wenn der politische Wille da ist. Wenn die Ressourcen da sind.

Und wenn wir sie konsequent NICHT als Elitenprojekt verstehen.

Am 11. Oktober organisiert die Körber-Stiftung in Berlin ein großes Demokratieforum. Dort wird es in einem der Panels genau um diese Fragen gehen – mit profilierten Gästen aus Politik und Zivilgesellschaft.

Ich habe das Vergnügen, diese Debatte moderieren zu dürfen. Vielleicht sehen wir uns in Berlin? Hier finden Sie weitere Infos zum Programm und zur Anmeldung.

Und wenn Sie nicht vor Ort sein wollen oder können, dann habe ich ein Angebot für Sie: Schicken Sie mir ihre Frage oder Ihr Statement an joerg.sommer@bipar.de.

Ich sichte alle Zuschriften – und bringe so viel wie möglich am 11. Oktober in die Diskussion ein.

Versprochen.

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