#245 | Moderation mit Haltung

Beteiligung zu moderieren ist herausfordernd – und braucht Haltung.

Ausgabe #245 | 12. September 2024

Moderation mit Haltung

Zwei Tage waren für die Veranstaltung angesetzt. Am Ende wurde es über eine Woche.

„Ungeheurer Redebedarf“ hätte den Zeitplan der Beteiligungsveranstaltung torpediert, schrieb das Handelsblatt.

Tatsächlich lag es an einem ganzen Dutzend von Fehlern und Versäumnissen. Das Verfahren ist ein Musterbeispiel dafür, wie Bürgerbeteiligung in Deutschland manchmal funktioniert.

Oder besser: nicht funktioniert.

Dabei ging es doch eigentlich um etwas Positives. Tausende von Arbeitsplätzen sollten in einer strukturschwachen Region östlich von Berlin entstehen. Und das in einer Zukunftsbranche.

Das Unternehmen Tesla wollte in Grünheide investieren. Und zwar richtig.

Und damit begannen die Probleme. Anwohner*innen und Umweltverbände befürchteten Grundwasserprobleme und weitere Umweltschäden.

Widerstand regte sich.

Ein klassisches Setting für eine beteiligungsorientierte Konfliktbearbeitung.

In Grünheide allerdings setzte man auf formale, rechtlich vorgeschriebene und entsprechend minimale Mindestanforderungen.

Vorab erteilte Genehmigungen, Befreiung von artenschutzrechtlichen Verboten, erste Rodungen gehörten zum Setting. Zahlreiche Einsprüche aus der Bevölkerung liefen auf.

Der erste, von Bürger*innen als Chance zur Deliberation wahrgenommene Termin war denn auch ein formeller „Erörterungstermin“ in der Stadthalle Erkner.

Und der sollte zum traumatischen Erlebnis für alle beteiligten Akteure werden.

Insgesamt 414 schriftliche Einwendungen lagen vor. Diese sollten nun „erörtert“ werden. Aus Bürgersicht: diskutiert. Aus Behördensicht: deren Unsinnigkeit erklärt.

Dass das nicht konfliktfrei werden würde, war den Veranstalter*innen von Beginn an klar. Deshalb griff man zu einigen, vermeintlich schlauen Maßnahmen.

Die Öffentlichkeit wurde ausgeschlossen. Wegen Corona und Platzproblemen. Nur 116 Personen, die Einwendungen formuliert hatten, nahmen teil.

Die Presse hatte keinen Zugang. Sie wurde draußen in einem Zelt platziert.

Die Polizei filzte alle Bürger*innen. Sie durften nicht mal eine Wasserflasche mitnehmen – die Vertreter*innen der Behörden und von Tesla schon.

Die Sitzordnung ähnelte einer freien Feldschlacht. Auf der einen Seite aufgereiht die „Offiziellen“, die Bürger*innen gegenüber.

Das alles war bereits alles andere als deeskalierend. Endgültig zur Explosion brachte das Verfahren aber die Moderation.

Statt durch ein neutrales Moderationsteam sollte die Veranstaltung von genau jenem Behördenmitarbeiter moderiert werden, der für das Genehmigungsverfahren zuständig war.

Dieser Moderator ist zu Beginn vor allem damit beschäftigt, zahlreiche Fragen und Kritikpunkte der Beteiligten abzuschmettern, weil sie formal „nicht Gegenstand des Verfahrens“ seien.

Dem überaus spannend zu lesenden (über 1.000 Seiten langen) Wortprotokoll der Veranstaltung sind absurde Dialoge und zunehmend giftigere Beschimpfungen zu entnehmen.

Die Stimmung eskaliert, ernsthafte Debatten sind unmöglich. Nach zwei Tagen und zahlreichen hitzigen Wortgefechten wird der Moderator ausgewechselt. Die Veranstaltung dauert am Ende über eine Woche und wird öffentlich als gescheitert wahrgenommen.

Die Spaltung und das entstandene Misstrauen sind tief und wirken bis heute nach. Vor wenigen Wochen hielt ich in Grünheide einen Vortrag, bei dem sowohl der damalige Moderator als auch damals Beteiligte anwesend waren. Auch vier Jahre danach gab es sofort wieder persönliche Angriffe, Verletzungen und Tränen.

Es wurde also viel falsch gemacht. Vor der Veranstaltung, im Setting und in der Moderation.

Gerade letztere ist eine besondere Herausforderung.

Denn die Moderation von Beteiligungsprozessen unterscheidet sich ganz erheblich von dem, was wir in der Moderation von Sportveranstaltungen oder Spenden-Galas kennen.

Wer unfallfrei in ein Mikrofon sprechen und die Funktionen von Ehrengästen aufsagen kann, kann noch lange keine Beteiligung moderieren.

Natürlich ist die Moderation von klassischen Events, gar noch mit Kamerabegleitung, eine herausfordernde Tätigkeit.

Aber eben eine völlig andere als die Moderation von Beteiligung.

Und obwohl wir zwischenzeitlich über umfassende Erfahrungswerte verfügen, gibt es bis heute keine breiten Qualitätsstandards für Beteiligungsmoderation.

Im noch recht jungen Fachverband Bürgerbeteiligung wird daran gearbeitet. Den Ergebnissen möchte ich nicht vorgreifen.

Diskutiert wird dort aktuell vor allem über eine wichtige Grundlage erfolgreicher Beteiligungsmoderation:

Die Haltung.

Einige Erwartungen und Vorschläge dazu liste ich hier einmal auf. Nicht, weil ich sie alle teile. Sondern, weil mich Ihre Meinung dazu interessiert. Denn manche klingen einleuchtend, andere herausfordernd.

Also, was denken Sie? Sollten sich Moderator*innen von Beteiligungsprozessen dazu verpflichten …

  1. als Dienstleister*in der Beteiligten zu agieren und ihre wirksame Mitwirkung als oberste Priorität zu ermöglichen,
  2. alle Beteiligten gleichermaßen wertschätzend zu behandeln,
  3. Vertrauen in die Gruppe zu haben und als Grundlage der Moderation zu leben,
  4. die „Spielregeln“ im gemeinsamen Umgang gemeinsam mit den Beteiligten zu definieren und auf deren Einhaltung zu achten,
  5. die eingesetzten Formate kompetent je nach Erfordernis auszuwählen, ihre Auswahl transparent zu erläutern und offen für alternative Vorschläge aus dem Kreis der Beteiligten zu sein,
  6. alle Formate und Methoden so auszuwählen und zu moderieren, dass alle Beteiligten sich damit wohl und wirksam fühlen,
  7. jederzeit bereit zu sein, Formate, Methoden und Moderationshandeln zu erläutern und Kritik anzuhören,
  8. Konflikte offen anzusprechen, zu akzeptieren und mit den Beteiligten gemeinsam an deren Lösung zu arbeiten,
  9. Ergebnisse im Einvernehmen mit den Beteiligten festzulegen und keine redaktionelle Bearbeitung vorzunehmen, ohne diese mit den Beteiligten zu konsolidieren,
  10. sich im Anschluss an den Beteiligungsprozess im Rahmen der eigenen Möglichkeiten für die ernsthafte Berücksichtigung der Beteiligungsergebnisse durch politische Entscheider*innen bzw. Auftraggeber*innen einzusetzen?

Was meinen Sie? Wären das die Anforderungen an eine professionelle Beteiligungsmoderation? Fehlt etwas? Oder haben Sie bei einer der Erwartungen gezuckt?

Schreiben Sie mir gerne an joerg.sommer@demokratie.plus. Die Themen, die sich als besonders spannend erweisen, werden wir in kommenden Ausgaben des Newsletters noch einmal näher beleuchten …

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