#246 | Design oder nicht sein

Design spielt eine wichtige Rolle in der politischen Teilhabe. Besonders dann, wenn wir nicht daran denken.

Ausgabe #256 | 28. November 2024

Design oder nicht sein

Es war die knappste Wahl der US-Geschichte. So unvorstellbar knapp, dass mehrere Nachzählungen nötig waren.

Und am Ende entschied ein Designfehler.

Im Jahr 2000 bewarben sich der Republikaner George W. Bush und der Demokrat Al Gore um die Präsidentschaft der USA.

Es ging dabei auch um eine klimapolitische Richtungsentscheidung. Bush war Mann der Öl-Lobby, Gore ein für amerikanische Verhältnisse fast schon radikaler Umweltschützer.

Am Ende entschied sich die Wahl in einem einzigen, hart umkämpften Bundesstaat: Florida.

Am Wahlabend riefen die Leitmedien zunächst Gore als Sieger in Florida aus. Dann meldeten sie „too close to call“, also ein offenes Rennen.

Spät in der Nacht verkündeten sie Bush als Sieger. Gore rief seinen Konkurrenten an, um ihm zu gratulieren. Dann erfuhr er, wie knapp das Ergebnis war und zog seine Gratulation zurück.

In mehreren Wahlbezirken kam es zu teils mehrfachen händischen Nachzählungen. Das Land war tagelang paralysiert.

Beendet wurde die Hängepartie schließlich vom US Supreme Court, der alle Nachzählungen stoppte.

Zu diesem Zeitpunkt betrug der Unterschied zwischen beiden Kandidaten 537 Stimmen – bei über 5 Millionen Wähler*innen in Florida.

Knapp. Aber demokratisch.

Könnte man sagen. Doch da war die Geschichte im Wahlbezirk Palm Springs. Dort gab es überraschend wenige Stimmen für Gore, dafür sensationell viele für den unabhängigen Liberalen Pat Buchanan.

Ein Blick auf die dort genutzten Wahlzettel erklärt das schnell:

Die dort eingesetzte „Schmetterlingsvariante“ wies einen Designfehler auf. Sie listete die Bewerber in zwei Spalten auf – mit den Markierungsfeldern dazwischen in der Mitte.

Al Gore stand auf der linken Seite als zweiter Kandidat, hätte aber in der Mittelspalte in der dritten Reihe markiert werden sollen.

Am Ende führte das bei wohl über 2.000 Wähler*innen dazu, dass sie Gore wählen wollten, aber Buchanan ihre Stimme gaben.

So verrückt es klingt: Hätten die Wahlzettel in Palm Springs ein besseres Design gehabt, wäre Al Gore Präsident geworden. Und vermutlich wäre auch die Geschichte des Klimawandels eine andere geworden.

Am Ende also eine Frage des Designs.

Design ist politisch. Sagen manche. Andere meinen, Design sei lediglich etwas fürs Auge.

Das Beispiel aus den USA beantwortet die Frage klar: Unpolitisches Design ist eine Fiktion.

Tatsächlich ist Design ein oft unterschätztes Thema. In der Politik allgemein. Aber eben auch ganz besonders in der politischen Teilhabe.

Das Design demokratischer Teilhabeprozesse, in der Branchensprache auch „Beteiligungskonzept“ genannt, ist von großer Bedeutung für deren Erfolg.

Darüber gibt es weitgehende Einigkeit unter den Expert*innen.

Welche Rolle aber spielt das Design im herkömmlich verstandenen Sinn? Schließlich gibt es keine Wahlzettel in Beteiligungsprozessen.

Aber eine Menge gedruckte oder digitale Materialien.

Die können mal mehr, mal weniger hübsch aussehen. Doch darum geht es beim Design in der Partizipation nicht.

Sondern darum, Beteiligten klare Informationen so zur Verfügung zu stellen, dass diese auch angemessen verarbeitet werden können.

Ob Tabellen, Schaubilder, Diagramme, Berichte, Ablaufpläne, Planungsunterlagen, Einladungen, Abhängigkeitspfade, Strukturpläne, Präsentationsfolien: Nichts davon ist designfrei.

Design hat die Aufgabe, Informationen für uns verarbeitbar zu machen. Und das heißt eben auch: strukturieren, priorisieren, weglassen.

Design erst beim Abschlussbericht in den Fokus zu nehmen, ist zu kurz gesprungen.

Erst kürzlich war ich, diesmal als Scheinbeteiligter, bei einer Info-Veranstaltung. Die Kommune wollte mit den Bürger*innen einen kommunalen Entwicklungsplan erarbeiten. Und sie hatte dazu vorab eine Umfrage in Auftrag gegeben.

Der Infoabend sollte die Ergebnisse präsentieren und zugleich zur Teilnahme an diversen Formaten in den kommenden Monaten motivieren.

Der Anteil an Migrant*innen in der Kommune ist hoch, knapp 29 Prozent. An diesem Abend waren rund 120 Bürger*innen anwesend. Ein migrantischer Hintergrund lag, grob geschätzt, bei 5 Prozent vor.

Eineinhalb Stunden und sagenhafte 107 Powerpoint-Folien mit 12-Punkt-Schrift später, wurde gefragt, wer sich denn nun in den Prozess einbringen wolle.

Gemeldet haben sich knapp 30 Anwesende. Migrantischer Anteil: null Prozent. Menschen unter 40: ebenfalls null Prozent.

Folien mit 120 Wörtern oder mehr? Designfehler.
Tabellen mit 40 Zahlen? Designfehler.
60-seitige Gutachten? Designfehler.
Unbearbeitete Auszüge aus dem Archiv des Grundbuchamtes? Designfehler.

Design fördert dann Partizipation, wenn genau die Informationen, die benötigt werden, von den Beteiligten auch genau verstanden werden können.

Informationen in der Beteiligung sind dabei regelmäßig mehr als nur bloße Fakten. Es sind vor allem erläuterte Zusammenhänge, Abhängigkeiten, Folgenketten, Interessenlagen.

Um die geht es. Sie müssen transparent werden.

Gelingt das nicht, sind nicht die Beteiligten zu dumm. Sondern das Design zu schlecht.

Nicht immer gibt das Budget eine professionelle Informationsdesignerin her. Gerade dann aber sollten wir es uns zur Regel machen, bei allem, was wir an Informationen in der Beteiligung aufbereiten, einen kurzen Design-Check durchzuführen:

Was fehlt? Was ist zu viel? Was kann von Nichtinsidern anders verstanden werden?

Denken wir daran: Design kann nicht nur Präsidenten machen – oder verhindern.

Design kann auch maßgeblich dazu beitragen, dass aus Beteiligung gute Beteiligung wird.

Deshalb dürfen wir alle mehr Design wagen.

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