#250 | Kaffee oder Kreuze?

Politische Teilhabe und Engagement sind nicht dasselbe. Aber beide brauchen dasselbe: Anerkennung.

Ausgabe #250 | 17. Oktober 2024

Kaffee oder Kreuze?

Border Collies gelten als besonders intelligent. Gedruckte Ratgeber und Hundetrainer sind sich einig: Die muss man auslasten.

Und damit beginnen oft erst die Probleme. Denn „Auslasten“ verwechseln viele Hundebesitzer gerne mit „Auspowern“. Und da wird dem jungen Hütehund bei jedem Spaziergang ausdauernd das Bällchen oder Stöckchen geworfen.

Hat der einmal kapiert, wie’s funktioniert, dann ist er mit Freuden dabei. Das gilt übrigens für die meisten Hütehunde, Jagdhunde und Terrier.

Die Besitzer denken, wenn sie ihrem geliebten Vierbeiner nur oft genug den Ball werfen, wird dieser müde und glücklich.

Dass sie sich so einen Junkie heranzüchten, ist den wenigsten klar.

Ein echter Balljunkie ist alles andere als ein glücklicher Hund. Er ist süchtig. Kann dabei großen Schaden nehmen und der Entzug gelingt oft nur mit professioneller Hilfe. Warum?

Weil für diese Hunde das Nachhetzen selbstbelohnend wirkt. Der Hund erlebt einen Adrenalinrausch, er würde niemals das Spiel von alleine beenden, egal wie erschöpft er ist.

Bei manchen Hunden funktioniert das mit der Selbstbelohnung ganz ausgezeichnet. Und es ist problematisch.

Und auch bei Menschen gibt es diesen Effekt. Ganz besonders bei jenen, die sich ehrenamtlich engagieren. Und da wirkt er oft ganz wunderbar.

Wir alle kennen Menschen, die sich in der Kirche, der Jugendarbeit oder in Vereinsvorständen viele Stunden in der Woche aufreiben. Menschen, die gerne anderen helfen und denen man anmerkt, wie sehr diese Hilfe auch ihnen selbst gut tut.

Für diese Menschen ist Engagement selbstbelohnend. Es geht nicht um das eine Ziel, das sie erreichen wollen. Der Weg, das Engagement ist das, was ihnen so viel gibt.

Das gilt nicht für alle Menschen, auch nicht für alle, die sich engagieren. Tatsächlich sind jene Menschen die Ausnahme, denen ihr Engagement Lohn genug ist, die weder Anerkennung noch Belohnung brauchen.

Für die allermeisten von uns – sofern wir überhaupt für Engagement zu gewinnen sind, braucht es genau jene Anerkennung.

Aus der Engagement-Forschung wissen wir, wie essenziell die Triebfeder Anerkennung für unser soziales Handeln ist.

Und wie unterschiedlich sich diese Anerkennung ausdrücken kann.

Deshalb verleihen wir Orden, drucken Urkunden, ehren Jubilare, verschenken Blumensträuße und verschicken Dankeskarten.

Das ist gut. Aber oft eine eher einmalige, besondere Würdigung. Und nur für jene, die sich zuvor oft jahrzehntelang engagiert haben. Also im Grunde genau für die Menschen, die diese Art von später Anerkennung zu schätzen wissen, aber als Treibstoff gar nicht (mehr) brauchen.

Als ich selbst vor einigen Jahren das Bundesverdienstkreuz verliehen bekam, hat mich das natürlich gefreut. Und ja, mein Selbstbewusstsein hat darunter nicht gelitten. Aber hatte ich auch nur ein einziges Engagement in den Jahren zuvor mit dieser Motivation verknüpft? Nein.

Und ich bin mir sicher, dass das für die allermeisten Empfängerinnen und Empfänger dieser Auszeichnung gilt.

Bei Hunden muss die Belohnung für gewünschtes Verhalten unmittelbar in der Sekunde darauf kommen. Sonst wird sie nicht verknüpft.

Nun sind wir Menschen keine Hunde. Aber eine Verknüpfung zwischen Engagement und Anerkennung brauchen wir auch.

Das gilt besonders dann, wenn dieses Engagement nicht unmittelbar selbstbelohnend ist. Wenn es keine großen dankbaren Kinderaugen gibt oder kuschelige Katzen, die wir im Tierheim streicheln können.

Beteiligungsprozesse sind so ein Kontext. Ja, wenn sie gut laufen. Wirklich gut. Wenn wertschätzende Prozesse unmittelbar auch messbare Ergebnisse einleiten, dann ist die dabei erlebte Selbstwirksamkeit genau so eine selbstbelohnende Erfahrung.

Nur ist das selten so. Oft sind die Prozesse zäh, konfliktreich, langatmig, frustrierend. Oft genug sind die Ergebnisse zudem nicht genau das, was sich der oder die Einzelne wünschen würde. Und ob diese Ergebnisse dann letztlich eine Umsetzung erfahren, ist stets offen, fast immer erst in der Zukunft zu erkennen und oft genug auch gar nicht der Fall.

Perfekte Beteiligungsprozesse können einen starken selbstbelohnenden Charakter haben.

Doch wenn Beteiligung eines so gut wie immer nicht ist, dann perfekt.

Das ist der Grund, warum Anerkennungskultur in der Beteiligung fast noch wichtiger ist als im klassischen Ehrenamt.

Und doch wird sie dort häufig stiefmütterlich beachtet. Es gibt keinen Orden für 5 oder 10 erfolgreiche Beteiligungsteilnahmen, keine Teilnehmerurkunden.

Die braucht es auch gar nicht. Eher zeitnahe Anerkennung im Prozess und an dessen Ende. Doch oft genug ist weder den Beteiligern, noch den Entscheiderinnen nach einem Dankeschön zu Mute.

Die Ergebnisse sind häufig anders als gewünscht. Die gehörte Kritik im Prozess belastend.

Für manche Entscheider ist das Angebot, sich beteiligen zu dürfen, schon Anerkennung genug. Den Nervensägen und Querulanten dafür auch noch zu danken, das ist zu viel des Guten.

Ist es nicht.

Und es wäre so einfach.

Es braucht gar nicht die großen Gesten. Es sind die kleinen, zeitnahen, ehrlichen Signale der Wertschätzung, die Menschen motivieren. Und oft genau dadurch auch den gegenseitigen Umgang selbst mit kritischen Beteiligten wertschätzender machen.

Der Amtsleiter, der beim Auftakt danke für die Bereitschaft zur Mitwirkung sagt, der kurze Beteiligungsvertrag, der am Anfang miteinander geschlossen wird, die Bürgermeisterin, die sich am Ende die Ergebnisse überreichen lässt – das alles ist wunderbar.

Und manchmal ist es auch schon die Kanne Kaffee, die auf dem Tisch steht.

Klingt banal? Ist es nicht. Ich habe selbst schon mehrfach ganztägige Beteiligungsformate erlebt, bei denen nicht mal ein paar Flaschen Wasser bereitgestellt wurden – mangels Kostenstelle.

Und umgekehrt erlebte ich erst kürzlich einen Betriebsrat, der am Ende eines kleinen Beteiligungsformats zum betrieblichen Gesundheitswesen drei wunderbare Sätze sagte:
„Wir werden das jetzt mit dem Arbeitgeber verhandeln. Und es kann gut sein, dass wir euch dann noch einmal brauchen. Dürfen wir euch dann noch einmal einladen?“

Ich konnte sehen, wie bei den Kolleginnen und Kollegen – von der Führungskraft bis zum Staplerfahrer, die Rücken gerader wurden.

„Wir brauchen dich.“ Das ist Anerkennungskultur, die weniger kostet als eine Tasse Kaffee. Und unmittelbar mehr Wirkung hat als ein Bundesverdienstkreuz.

Anerkennung ist in der Beteiligung ein besonders häufig vernachlässigter Aspekt. Und doch so wichtig.

Sie ist Treibstoff für Beteiligte und Schmierstoff für Beteiligung.

Und sie tut gut.

Jedem von uns.

Und unserem Miteinander.

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