#260 | Irre Geschichten

Keine Verschwörungsschwurbelei ist zu verrückt, um nicht doch Gläubige zu finden. Welches Mittel hilft dagegen?

Ausgabe #260 | 26. Dezember 2024

Irre Geschichten

Der letzte Tag im Leben von Mike Hughes begann angenehm. Nur wenige Wolken standen am blauen Himmel Kaliforniens.

Der Wind wehte, aber nicht zu stark, um es zu wagen.

Mike machte seine Rakete klar. Als Startrampe diente ihm die Ladefläche eines Trucks.

Er kletterte in die Konstruktion. Wenig später zündete das Triebwerk und das selbstgebaute Flugobjekt schoss in den Himmel.

Der Flug dauerte nur wenige Sekunden.

Doch etwas lief schrecklich schief. Die Rakete zerschellte nur 800m vom Startplatz entfernt auf dem Boden. Mike Hughes überlebte den Aufprall nicht.

Der Amateur-Astronaut starb nicht bei dem Versuch, die Raumfahrt voranzutreiben. Sein Anliegen war ein gänzlich anderes:

Hughes gehörte zu den „Flat-Earthern“, also jenen Menschen, die behaupten, die Erde sei eine Scheibe.

Und eben jene Scheibe wollte er sich einmal von oben anschauen.

So irre sich die Geschichte anhört, so ernst ist ihr Hintergrund.

Krude Sichtweisen auf die Welt, Fake News und Verschwörungserzählungen haben Konjunktur.

Seit dem Mittelalter haben vermutlich nicht mehr so viele Menschen wie heute geglaubt, dass die Erde eine Scheibe ist. Tatsächlich zeigt eine Auswertung der Suchmaschine Google, dass sich die Anfragen zur Flat-Earth-Theorie seit 2015 stark vervielfacht haben.

Laut einer Umfrage von Yougov aus dem Jahr 2018 ist sich jeder Dritte 18-24jährige in den USA nicht sicher, ob die Erde wirklich eine Kugel ist.

Humbug hat es aktuell so leicht wie schon lange nicht mehr.

Dass wir heimlich von Echsen regiert würden, ist eine weitere Erzählung mit zahlreichen Anhängern.

Erstaunlich groß ist auch die Q-Anon-Bewegung. Deren Jünger glauben, dass eine Elite mächtiger Menschen Kinder in unterirdischen Gefängnissen einsperrt und foltert. Auch sollen sie ihren Opfern Blut abzapfen und daraus ein Verjüngungs-Elixier herstellen.

Der Blödsinn scheint keine Grenzen zu kennen.

Doch nicht immer kommt er so leicht durchschaubar daher.

Gerade im Bereich der dialogischen Beteiligung erleben wir immer öfter, dass Beteiligte nicht nur ihre eigene Meinung mitbringen, sondern auch ihre eigenen Fakten.

Da sind dann plötzlich Windräder unökologisch, weil sie massenhaft seltene Greifvögle schreddern. Für die Energiewende nötige Stromleitungen kochen Gehirne von Kindern zu Mus. Und Atomkraftwerke könnten ganz ohne strahlenden Müll funktionieren, wenn man es nicht politisch verhindern würde.

Alternative Fakten machen Debatten schwierig.

Und sie schwächen Demokratien.

Gerade jüngere Menschen beziehen ihre Nachrichten kaum noch aus seriös redigierten Medien. Sie – und uns alle – resilienter gegen Mumpitz zu machen, ist eine schwierige Herausforderung.

Gut, dass heute Weihnachten ist. Die Zeit der Geschenke. Für die Leser*innen dieses Newsletters habe ich nämlich ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk.

In den vergangenen 18 Monaten haben wir im Berlin Institut für Partizipation mit erfahrenen Faktencheckern und Spieleentwicklern und vor allem mit jungen Menschen aus unterschiedlichen Teilen der Republik ein Spiel entwickeln können:

Facts & Fantasy ist gleichermaßen spannend wir herausfordernd.

Es ermöglicht den Spieler*innen, Desinformation und Verschwörungserzählungen zu gesellschaftlichen Themen wie Demokratie, Migration, Klimawandel und Diversität zu erforschen.

Dazu braucht es Medienkompetenz und ein Verständnis der Mechanismen hinter Desinformation und Verschwörungserzählungen.

Facts & Fantasy setzt genau hier an. Das Besondere ist der partizipative Entstehungsprozess des Spieles. Junge Menschen aus Heidelberg, Marburg-Biedenkopf, Isernhagen und Solingen setzten sich zunächst in Workshops mit den Mechanismen von Desinformation auseinander.

Sie entwickelten erste Spielideen, die dann gemeinsam in Berlin mit echten Spieleprofis weiterentwickelt wurden.

Am Ende stand Facts Facts & Fantasy. Ein professionell gestaltetes Spiel, dass nicht nur in der Bildungsarbeit zum Einsatz kommen kann.

Ab sofort können Spielregel und Kartenvorlagen kostenlos heruntergeladen werden. Und zwar hier!

Doch das ist noch nicht das versprochene Weihnachtsgeschenk.

Die ersten 20 Menschen, die sich über das Kontaktformular melden, bekommen eine gedruckte Version kostenlos nach Hause geschickt.

Facts & Fantasy allein wird die Desinformation nicht beseitigen können. Aber es hilft bei der Erarbeitung von Resilienz. Durchaus auch im Kontext von dialogischer Beteiligung.

Es zeigt, dass gerade auch Ideen zur Stärkung von Demokratie beteiligungsorientiert realisiert werden können.

Und davon brauchen wir eine noch eine Menge.

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