Ausgabe #271 | 13. März 2025
Die Selbstlernbranche
Was macht ein Biologe bei BMW? Dass wurde Manfred Heller oft gefragt. Und tatsächlich klingt das auf den ersten Blick nach einem Widerspruch.
BMW ist der Inbegriff für PS-starke Spritschlucker. Noch immer arbeiten die Lobbyisten des Unternehmens daran, das Verbrenner-Aus zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Noch immer tragen die benzingetriebenen Produkte dieses Unternehmens zur Beschleunigung des Klimawandels bei.
Und doch hatte man bei BMW schon früh das Thema Umweltschutz diskutiert.
Bereits 1973, nur ein Jahr nach dem der berühmte Bericht an den Club of Rome: „Die Grenzen des Wachstums“ erschienen war, bot man dem jungen hessischen Biologen Manfred Heller einen Job an, den es im Grunde damals noch nirgendwo gab:
Er sollte der erste Umweltbeauftrage der BMW AG werden.
Natürlich sollte damit eine zunehmend kritische Öffentlichkeit besänftigt werden, aber Heller hatte auch interne Aufgaben, darunter den Aufbau eines Umweltmanagementsystems. Es sollte Umwelteinflüsse bilanzieren und reduzieren.
Schnell stellte sich heraus, dass das in vielerlei Hinsicht Neuland war. Als Biologe war Heller kompetent. Doch betriebliches Umweltmanagement braucht ein ganzes Portfolio an Kompetenzen, Betriebswirtschaft, Wirtschaftsrecht, Organisationsmanagement und ganz oft ganz viel psychologisches Feingefühl.
Denn nach Heller erlebten das unzählige Umweltbeauftragte ähnlich: Belegschaft und Management hatten nicht auf sie gewartet.
Sie mussten etwas um- und oft auch durchsetzen, was abstrakt (fast) alle gut finden – solange es nicht eigene Arbeits- und Machtbereiche trifft.
Heute verfügen nahezu alle größeren Unternehmen über eigene Umweltbeauftragte. Tatsächlich wurde die gesetzliche Verpflichtung dazu einmal ausgiebig diskutiert und sollte in einem geplanten Umweltgesetzbuch (UGB) verankert werden. Das aber kam bekanntlich nie zustande.
Dennoch haben Umweltbeauftragte in vielen Unternehmen viel Gutes bewirkt. Heute ist es eine anerkannte Funktion. Es gibt eine eigene Fachzeitschrift und zahlreiche zertifizierte Aus- und Weiterbildungen von IHKs und anderen Trägern.
Denn mehr als 20 Jahre lang war die Karriere der Umweltbeauftragten immer ähnlich geprägt: Sie hatten zumeist Biologie, Betriebswirtschaft, seltener Jura oder Kommunikationswissenschaften studiert.
Egal welche Profession: Die Beauftragten merkten schnell, dass das im neuen Job nicht reichte. Sie mussten schnell weitere Kompetenzen erwerben. Spezielle Angebote gab es lange nicht. So wurden die meisten, wenn sie blieben, zu Selbstlernprofis.
Später dann erst kamen Weiterbildungsangebote auf. Erst einzelne Seminare, später dann zertifizierte Weiterbildungen.
Heute ist die Auswahl an akademischen Studiengängen groß und qualitativ gehaltvoll. Ob „Strategisches Nachhaltigkeitsmanagement“, nur „Nachhaltigkeitsmanagement“, „nachhaltiges Management“ oder ganz modern „Sustainability & Change“ – die Auswahl ist riesig.
Das würden wir uns auch für den Bereich wünschen, um den es regelmäßig in diesem Newsletter geht.
Denn Partizipation, erst recht in der Ausprägung konkreter Bürgerbeteiligung ist ein Handlungsfeld, dass in einigen Bereichen ganz erstaunlich der Geschichte der Umweltbeauftragten ähnelt.
Allerdings bislang eher der Frühgeschichte.
Was nicht verwundert. Denn eine breite Entwicklung der Bürgerbeteiligung erleben wir erst seit ca. 10 bis 12 Jahren. Nahezu alle kommunalen Leitlinien und Fachstellen sind in dieser Zeit entstanden, ebenso wie die Beteiligungsabteilungen in großen Unternehmen, in Ministerien und anderen Verwaltungen.
Deshalb ist auch diese Branche heute vor allem eine Selbstlernbranche. Die Abschlüsse stammen oft aus Politikwissenschaft, Verwaltung, Stadtplanung. Und nahezu alle sind irgendwann einmal über Nacht in die Beteiligung gerutscht.
Meist musste mühsam in der Praxis erarbeitet werden, was funktioniert und was nicht. Und noch heute wird jeden Tag irgendwo in der Republik wieder etwas neu erfunden, was es anderswo schon gibt.
Die Professionalisierung der Branche schreitet jedoch voran. Aus ersten losen Netzwerken hat sich 2023 der Fachverband Bürgerbeteiligung gegründet. Ein bundesweites Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung ist nur ein Jahr älter. Dazu kommt erstmals eine jährlich vergebene bundesweite Auszeichnung für hervorragende Beteiligungsprojekte. Noch 2025 wird eine Fachzeitschrift an den Start gehen.
Und tatsächlich startet im nächsten Monat das erste berufsbegleitende und mit einem Zertifikat abschließende umfangreiche Weiterbildungsangebot.
Der „Zertifikatslehrgang Beteiligungsmanagement“ wird vom Berlin Institut für Partizipation organisiert, umfasst 12 Module und wird von einem hochqualifizierten und praxiserfahrenen Team an Dozent*innen realisiert. Seit gestern sind Anmeldungen für den Lehrgang möglich.
Die Branche professionalisiert sich. Rückblickend sogar etwas schneller als damals die Umweltbeauftragten.
Doch das ist gut so. Denn Beteiligung hat ein enges Verhältnis zur Demokratie.
Und dass die gerade jede Unterstützung braucht, die sie kriegen kann, ist offensichtlich.
Deshalb werden die Ansprüche an die Beteiliger*innen in Wirtschaft und Verwaltung steigen. Gewissermaßen sind sie die modernen Umweltbeauftragten mit ganz ähnlichen Herausforderungen:
Nach außen und nach innen zu wirken. Kompetenz zu organisieren und in die Prozesse der Institution zu tragen. (Gesellschaftliche) Umwelt und Institution zu vernetzen und zu versöhnen.
Heute sind Unternehmen ohne umfassende Anstrengungen, Aktivtäten, Berichterstattung und nicht nur in Bezug auf die Umwelt, sondern der gesamten Nachhaltigkeit, kaum noch denkbar. Die Umweltbeauftragen hatten einen großen Anteil daran.
Diese Entwicklung steht der Beteiligungsbranche noch bevor.
Hoffentlich.
Daran arbeiten wir.