#28 | Dein Thema ist nicht mein Thema

In Deutschland wird zu vielen Themen beteiligt. Aber nicht immer zu den Themen, die die Menschen bewegen.

Ausgabe #28 | 9. Juli 2020

Dein Thema ist nicht mein Thema

Dialoge sind wichtig. Doch sie sind kein Selbstzweck. Entscheidend ist, wer mit wem über was und mit welchen Auswirkungen spricht. Deshalb beginnt jeder ernsthafte Bürgerbeteiligungsprozess genauso wie jede ernsthafte Wahlkampagne – und jede professionelle Manipulationsstrategie: Mit einer soliden Umfeldanalyse.

Am Anfang steht die Umfeldanalyse

Ja, es stimmt, die Hausaufgaben sind dieselben, egal ob es sich um ein Vorhaben handelt, das Demokratie fördern will oder um einen perfiden Plan mit gegenteiligem Ziel. Und in beiden Fällen gilt: Wer bei den Hausaufgaben schludert, wird es später bereuen.

Eine solche Umfeldanalyse, ob selbst durchgeführt oder von einem erfahrenen Dienstleister geliefert, enthält in der Regel (mindestens) zwei zentrale Bausteine: Eine Themenfeld- und eine Stakeholderanalyse. Je nach Vorhaben müssen beide nicht besonders komplex sein, methodisch gibt es zahlreiche Prozesse, Formate und Tools. In unserem Institut haben wir eine umfangreiche Datenbank mit je nach Umfang geeigneten Methoden. Grob gesagt liefert das Ergebnis der Themenfeldanalyse den tatsächlichen Beteiligungsgegenstand sowie die Rahmenbedingungen. Es beschreibt zumindest …

  • Das konkrete Thema, das im Beteiligungsprozess zu bearbeiten ist.
  • Themen im Umfeld, die mit zu berücksichtigen sind oder hineinspielen könnten und ob das Thema eine Vorgeschichte hat.
  • Ob das Thema heikel oder kontrovers ist.
  • Ob und ggf. wie das Thema schon in der Öffentlichkeit oder in den Medien diskutiert wird.
  • Welche versteckten Themen und Interessen mit dem Beteiligungsthema im Zusammenhang stehen.
  • Welche Fristen und Entscheidungszeitpunkte zu beachten sind.
  • Wer letztlich die Entscheidung dazu trifft und wie hoch dessen Bereitschaft ist, Ergebnisse aus der Beteiligung in die Entscheidung einfließen zu lassen.
  • Eine Stakeholderanalyse in der Bürgerbeteiligung beschäftigt sich mit den Akteuren, die in irgendeiner Form mit dem Thema verknüpft sind, unabhängig davon, ob es diesen selbst bewusst ist. Ziel ist, nicht nur zu wissen, wen das Thema persönlich, politisch, finanziell oder organisatorisch berührt, sondern auch wie groß dessen Interesse und dessen Einflussmöglichkeit ist.

Dazu gehört auch die Frage, wie ausgeprägt die Bereitschaft ist, sich auf einen Beteiligungsprozess einzulassen. Gründe für eine Beteiligungsverweigerung kann es dabei viele geben: Mehrfach frustrierte Akteure haben oft kein Vertrauen mehr in die einladende Institution, manche Akteure mit exzellenten Kontakten und Ressourcen setzen auf andere Methoden der Ergebnisbeeinflussung, Dritte wieder trauen sich z.B. aus intellektuellen oder sprachlichen Gründen nicht zu, in einem Diskurs bestehen zu können.

Eine Umfeldanalyse ist also nicht ganz ohne Fallstricke

Oft besteht sie aus einem Minimalpaket – einem halbstündigen Brainstorming in einer Fachabteilung. Bei anderen Projekten wird eine fünfstellige Summe für eine externe Umfeldanalyse auf den Tisch gelegt.

Ausschlaggebend sind neben den zur Verfügung stehenden Ressourcen auch Umfang und Auswirkungen des Beteiligungsverfahrens. Doch egal, wie einfach oder aufwändig, eine gesunde Portion Skepsis ist stets angebracht.

Wir tun gut daran, von der Prämisse auszugehen, dass unsere Themenfeldanalyse ebenso fehlerbehaftet ist, wie unsere Stakeholderanalyse. Auch und gerade, wenn wir sie nach bestem Wissen und Gewissen angefertigt haben. Und das ist gut so. Der zweite Grundsatz Guter Bürgerbeteiligung lautet nämlich:

„Gute Bürgerbeteiligung beachtet die Themen, die Akteure und die Rahmenbedingungen.“

Die Pointe liegt im dritten Wort. Gute Bürgerbeteiligung beachtet Themen, Akteure und die Rahmenbedingungen. Sie definiert sie nicht. Nicht nur, weil sie es nicht kann. Sondern weil sie es nicht darf.

Denn Gute Bürgerbeteiligung ist eben kein thematisch, personell, terminlich, methodisch ausgefeilter Prozess. Es ist keine orchestrierte Sinfonie, kein komplexes Bauvorhaben.

Warum?

Weil die Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt der Beteiligung stehen. Sie sind nicht Objekte oder Rädchen im Getriebe, nicht Bestandteil eines Planes, sondern Gestalter des Verfahrens. Alles andere ist nicht Beteiligung, sondern im besten Falle Beschäftigung und im schlechtesten Fall Manipulation. Und es wird in der Regel auch nicht funktionieren.

Je intensiver und umfangreicher Beteiliger ihre Hausaufgaben gemacht haben, je präziser die Umfeldanalyse ist, desto größer ist das Risiko, sie mit der Realität zu verwechseln. Der von den Beteiligern entsprechend ausgetüftelte Themenkatalog ist möglicherweise nicht der Themenkatalog der Beteiligten. Die von den Beteiligern ausgeguckten Beteiligtengruppen haben möglicherweise keine Lust, keine Zeit, keine Motivation. Ganz andere Akteure wurden vergessen, verspüren aber dennoch einen Beteiligungsimpuls.

Gute Beteiligung ist deshalb gut vorbereitet. Sie ist aber bei aller Vorbereitung auch so flexibel, dass sie offen bleibt für Korrekturen und Ergänzungen, für Themen und Aspekte, für Akteure und Argumente, die unerwartet sind. Sie ist kein Spielplatz der Beliebigkeit, aber sie toleriert nicht nur neue Aspekte, Argumente und Akteure, sie akzeptiert sie, ja sie erwartet sie sogar. Das auf Moltke zurückgehende Bonmot „Kein Plan überlebt die Begegnung mit der Realität“ gilt nirgends so uneingeschränkt wie im Beteiligungskontext: Gute Beteiligung profitiert von guter Vorbereitung, ist aber nur begrenzt planbar.

Das zu akzeptieren ist der vielleicht wichtigste Grundsatz Guter Beteiligung.

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