#284 | Wie finde ich die Richtige?

Es gibt unzählige Formate und Methoden der politischen Teilhabe. Doch welche passt wann?

Ausgabe #284 | 12. Juni 2025

Wie finde ich die Richtige?

  • Bürgerräte lösen gesellschaftliche Konflikte und stärken so die Demokratie.“
  • „Das World Café eignet sich besonders gut, um geneinsam Ideen zu entwickeln. Es ist eines der international erfolgreichsten Beteiligungsformate.“
  • „Das Charette-Verfahren ist perfekt geeignet, wenn öffentliche Planungen beteiligungsorientiert entwickelt werden sollen.“
  • „Es gibt kaum ein kommunales Beteiligungsthema, bei dem eine Planungszelle nicht helfen könnte.“

Vier Zitate, wie man sie ähnlich auch zu vielen anderen Beteiligungsformaten findet.

Sie ähneln sich alle.

Stets wird die nahezu universelle Eignung des beschriebenen Formats für den Einsatz in Beteiligungsprozessen betont.

Und natürlich stammen sie alle von Moderator*innen, die mit diesen Formaten ihr Geld verdienen.

Das ist nachvollziehbar. Aber eben auch ziemlicher Quatsch.

Planungszellen, die mit ihr verwandten Bürgerräte, Charette oder World Cafés werden tatsächlich häufig für Beteiligung eingesetzt. Sie alle hatten oder haben Phasen, in denen sie als besonders hip oder innovativ galten oder gelten.

Und sie alle haben ihre Stärken. Aber natürlich sind sie nicht für jedes Thema, jeden Konflikt, jede Rahmenbedingung, jede Akteursgruppe, jedes finanzielle, personelle oder zeitliche Budget, jede Beteiligungstiefe und jede Prozessphase geeignet.

Das geben, zumindest nach längerer Diskussion, auch nahezu alle Fans spezifischer Formate zu.

Das führt zu einer zentralen Frage der politischen Teilhabe: Die Wahl des richtigen Formats.

Nun ist Gute Beteiligung vor allem eine Frage der Haltung. Aber auch des Wirkungsrahmens und des Umgangs mit den Ergebnissen. Stimmt das alles, kann auch ein wertschätzend moderierter Stuhlkreis ein passendes Format sein.

Werden die Beteiligungsergebnisse weder ordentlich dokumentiert noch wirksam verarbeitet, ist auch der teuerste Bürgerrat am Ende nur eine Luftnummer.

Während in europäischen Nachbarländern oft sehr entspannt mit der Methodenwahl umgegangen wird, beobachten wir in Deutschland einen spannenden Widerspruch:

Oft steht die Methode im Mittelpunkt von Beschlüssen, regelmäßig werden sie schon in Ausschreibungen und Beauftragungen detailliert vorgegeben.

In der Planung von Beteiligung nimmt die Debatte über die Methode häufig besonders viel Raum ein, nicht selten deutlich mehr als der geplante Umgang mit den Ergebnissen.

Zugleich erfolgt die Auswahl der Methode erstaunlich häufig nicht durch die Beteiligungsexpert*innen, oft sogar ohne deren Vorschläge anzuhören. Sondern regelmäßig durch Entscheider*innen in Politik oder Verwaltung, die die besagte Methode noch nie als Moderator*in oder auch nur als Teilnehmende praktisch erlebt haben.

Oft fehlt nicht nur das Wissen über die gewählte bzw. eher bestimmte Methode, sondern insbesondere auch über Alternativen.

Nur selten können im Anschluss an die Entscheidung die zugrunde gelegten Kriterien und die erwogenen alternativen Methoden konkret benannt werden.

Dieser Widerspruch zwischen einer teilweisen Überhöhung der Methodenfrage und zugleich einer selten rationalen Methodenauswahl prägt viele Beteiligungsprozesse – und erklärt zahlreiche Konflikte, die Beteiligungsprozesse ins Trudeln bringen.

Dabei kennen wir eine hohe dreistellige Zahl unterschiedlicher Formate, Tools und Prozesskonzepte für den Einsatz in der Beteiligung.

Es existieren zahlreiche gedruckte und digitale Methodensammlungen. Nicht alle muss man kennen, die meisten schreiben voneinander ab.

Selektiert man eher seltene, komplexe, exotische oder nur nach aufwändiger Schulung moderierbare Formate aus, bleiben immer noch deutlich über 100 in der Praxis bewährte Formate und Tools übrig.

Im Rahmen des Zertifikatslehrgangs Beteiligungsmanagement des Berlin Instituts für Partizipation werden deshalb nicht alle diese Formate gelehrt.

Der Schwerpunkt liegt vielmehr auf einem wissenschaftsbasierten Auswahlprozess.

Der ist grundsätzlich zweistufig.

Zunächst einmal ist wichtig, was mit der Methode genau erreicht werden soll, in welcher Phase eines Prozesses wir uns also befinden. Im Lehrgang unterscheiden wir die Einsatzzwecke wie folgt:

  • Informieren
  • Aktivieren
  • Diskussion starten
  • Meinungen und Reaktionen sammeln
  • Analysieren
  • Planen und entwickeln
  • Entscheiden
  • Vernetzen
  • Längerfristig zusammenarbeiten
  • Konflikte bearbeiten

Nicht alle Beteiligungsprozesse durchlaufen alle diese Phasen, schon gar nicht immer in dieser Reihenfolge. Und zahlreiche Methoden zahlen auf mehr als eine dieser Anforderungen ein.

Deshalb ist diese Liste nur eine Orientierungshilfe. Aber eine, die genutzt werden sollte. Erst wenn ich weiß, was ich mir von einer Methode verspreche, kann ich mich auf die Suche nach ihr begeben.

Bei dieser Suche dann kommt die zweite Kriterienliste zum Einsatz. Jetzt spielen vor allem die Rahmenbedingungen eine Rolle. Wichtige Faktoren dabei sind:

  • der zur Verfügung stehende Zeitrahmen
  • die Anzahl der Teilnehmenden
  • die zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten
  • das finanzielle Budget
  • eine analoge, digitale oder hybride Durchführung
  • der Kompetenzbedarf bei den Beteiligten (Schreiben, Sprechen, Hörverstehen)
  • die angestrebte Beteiligungstiefe
  • die gewünschte Beteiligungsbreite
  • die erwartete (In-)Homogenität der Teilnehmenden
  • der angestrebte Grad des Empowerments
  • die erwartete Schwierigkeit der Moderation
  • die Möglichkeit der Dokumentation

Erst auf dieser Grundlage kann eine souveräne Formatwahl erfolgen.

Dabei muss nicht jedes Kriterium eine Rolle spielen. Und auch nicht jedes Kriterium gleich gewichtet werden.

Denn das ist gar nicht so leicht. Es gibt bislang nicht eine Methodensammlung, die alle diese Kriterien transparent anbietet. Beteiligende brauchen also die Kompetenz, diese Kriterien aus den Beschreibungen herauszulesen – oder sie aufgrund eigener Erfahrungen zuordnen zu können.

Am Ende aber steht und fällt die Auswahl geeigneter Formate und Methoden mit „reflektierter Erfahrung“, also mit möglichst vielen systematischen Auswahlprozessen und deren kritischer Reflektion.

„Best Practices“ können da nur begrenzt helfen. Wenn sie von denjenigen stammen, bei denen die jeweilige Methode Teil des Geschäftsmodelles ist, dann sollten sie bei der Auswahl keine Rolle spielen.

Was aber eine Rolle spielen kann, darf und sollte, gerade dann, wenn am Ende eines systematischen Auswahlprozesses mehr als eine Methode auf der Shortlist verblieben ist:

Die Frage, ob sich der Mensch, der sie moderieren soll, damit gut fühlt.

Denn am Ende entscheidet die Methode selbst sehr viel weniger über Erfolg und Misserfolg als die Art, wie sie durchgeführt wird.

Dazu gehört die Haltung gegenüber den Beteiligten. Aber eben auch die Haltung gegenüber der Methode.

Ob die Methode also gefällt, sollte nie das entscheidende oder gar einzige Kriterium sein.

Aber ein durchaus legitimes.

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