#285 | Passende Schuhe

In der politischen Teilhabe geht es oft um „Augenhöhe“. Doch der Begriff ist tückisch.

Ausgabe #285 | 19. Juni 2025

Passende Schuhe

Anfang des Jahres starb Hans Hemmert. Sie kennen ihn nicht? Das kann gut sein. Hans Hemmert war Künstler. Und selbst unter den schrägen Menschen der Berliner Kunstszene ein ganz besonders schräger Typ.

Als Mitglied der legendären Künstlergruppe „Inges Idee“, aber auch als Solo-Künstler machte er Kunst im öffentlichen Raum.

Das sorgt zwar oft für Aufmerksamkeit, manchmal gar für Skandale. Doch eine erfolgreiche Karriere im künstlerischen Mainstream macht man so nicht.

Das ist schade

Denn manche seiner konzeptionellen Projekte waren durchaus beachtenswert. Gerade auch aus Perspektive von Menschen, denen demokratische Teilhabe wichtig ist.

Schon 1997 zeigte er in der Berliner Galerie Gebauer seine Arbeit „Level“. Bis heute geistern Bilder dieser Ausstallung durch die sozialen Medien, meist unter dem Titel „Same Height Party„.

Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Bilder nicht von Fotos typischer Vernissagen der 90er Jahre. Hippe Künstlertypen, weniger coole, aber offensichtlich solvente Kunstkäufer, ausgehungerte Models. Sämtliche Klischees sind zu finden. Nur genauen Beobachtern fällt auf: So ziemlich alle Menschen scheinen gleich groß zu sein.

Waren sie natürlich nicht. Oder schon. An diesem Abend. Und das ging so: Alle Besucher bekamen Plattform-Sohlen unter ihre Schuhe geschnallt. Alle Sohlen im selben eleganten Türkisblau. Die Sohlen wurden so ausgewählt, dass am Ende alle Gäste rund 2 Meter groß waren. Die höchsten Plateaus dieser Ausstellung waren einen halben Meter hoch.

Die Idee: Alle sollten „auf Augenhöhe“ sein. Und das waren sie. Wer Hans Hemmert kannte, weiß, dass er immer auch mit hintersinnigem Humor agierte. Denn natürlich veränderte die „Augenhöhe“ am Ende gar nichts in der Sozialstruktur der Partygäste. Die einen hatten immer noch Kapital, die anderen nur ihren Körper. Oder Ihre Coolness. Oder nichts davon.

Die Augenhöhe hatte eher eine optische Wirkung als eine soziale. Hemmert wusste das. Was es bei den Beteiligten auslöste, ist nicht überliefert.

Was wir aber wissen: Die „Augenhöhe“ ist immer wieder auch Thema, wenn Prozesse der politischen Teilhabe gestaltet werden. Denn auch dort ist die Struktur der Beteiligten divers.

Im Idealfall. Oft genug ist sie es nicht. Dann sind die Beteiligten zwar unterschiedlich groß, aber oft aus demselben, beteiligungsaffinen Milieu.

Nehmen wir aber einmal an, es wäre uns gelungen, tatsächlich eine breite Beteiligung auf die Füße zu stellen.

Menschen mit akademischen Abschluss, Menschen mit formal niedriger Bildung. Finanziell gut Situierte und Menschen in prekären Lebenslagen. Alte und Junge, Männer, Frauen und alles dazwischen und außerhalb. Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte. Menschen mit und ohne geistige, soziale oder körperliche Beeinträchtigungen.

Ein solches Panel an Beteiligten ist noch immer die Ausnahme. Aber es kommt durchaus vor.

Doch nun fangen die Herausforderungen erst an. Wie kann in so diversen Gruppen die vielbeschworene „Augenhöhe“ hergestellt werden?

Sicher nicht mit Plateausohlen. Meist ist der Plan, zu Beginn einen gemeinsamen Informationsstand zu erarbeiten. Das ist ein ehrenwerter Versuch. Doch oft genug funktioniert er nicht. Denn es ist längts nicht nur Wissen, dass die Beteiligten unterscheidet. Sondern auch die Fähigkeit, sich Wissen anzueignen oder zu verarbeiten.

Dazu kommen völlig unterschiedliche Diskurskompetenzen und -erwartungen.

Die unbequeme Wahrheit lautet: Ist die Gruppe so divers wie erträumt, gibt es keine Augenhöhe. Und auch keine Möglichkeit, sie einfach herzustellen. Gute Beteiligung bietet unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Formate und Wirksamkeitspfade.

Das ist eine Herausforderung für die Moderation, aber auch die Prozessgestaltung. Sie bedarf einer angemessenen Vielfalt – und manchmal sogar eigener, geschützter Räume für bestimmte Gruppen.

Die einen können beim Sprechen denken, andere beim Schreiben, manche müssen Dinge anfassen, andere können besser mit optischen Reizen umgehen.

Das ist in Ordnung und heißt letztlich nur: EIN Format funktioniert vor allem dann, wenn die breite Beteiligung nicht so sehr funktioniert hat.

Je breiter die Beteiligung, desto breiter muss die Methodik sein. Es gibt da keine Abkürzung. Keinen Trick. Keine Kunststoffsohlen, die „Augenhöhe“ herstellen.

Hans Hemmert hat gezeigt, dass Augenhöhe Augenwischerei sein kann. In der Beteiligung sind wir heute weiter: Wir basteln nicht am fachlichen, rhetorischen, intellektuellen, diskursbezogenen Niveau der Teilnehmenden herum.

Sondern wir bieten ganz besonders den Menschen Wirksamkeit, die nicht zu kurz geraten sind, aber die in unserer Demokratie gerne mal zu kurz kommen. Das gelingt nicht immer. Aber tatsächlich immer öfter.

Und genau darum geht es.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments
Weitere Ausgaben