Ausgabe #296 | 4. September 2025
Partizipation kann Leben retten
Wir kennen die Bilder von 10-spurigen Straßen in Los Angeles und anderen US Metropolen.
Das Auto prägt den Alltag in der amerikanischen Gesellschaft.
Der öffentliche Nahverkehr ist marode oder oft gar nicht existent. Städte sind so geplant, dass ohne Auto wenig geht.
Im ländlichen Raum (und die USA haben viel ländlichen Raum) ist es oft noch schlimmer. Einkaufsmöglichkeiten sind nur mit dem Auto erreichbar. In vielen Quartieren gibt es erst gar keine Gehwege.
Die klassische Einkaufstour oder die Fahrt zur Schule nötigt den Menschen nicht mal den Weg aus der Haustür ab. Direkt aus der Wohnung geht es in die überdimensionierte Garage, die öffnet sich per Transponder und los geht die Fahrt im ebenfalls überdimensionierten SUV.
Kein Wunder, dass US-Bürger deutlich unter dem weltweiten Schnitt an Schritten pro Tag liegen.
Das gilt für den Durchschnitt. Tatsächlich ist in den USA die Lücke zwischen Menschen, die sich besonders viel bewegen und solchen, die kaum zu Fuß gehen, besonders hoch. Auch beim starken Übergewicht liegen die USA an der Spitze.
Zu wenig Bewegung ist einer von vielen Faktoren, die Leben verkürzen.
Und es liegt eben nicht immer nur daran, dass die Menschen zu faul, bequem oder dumm wären.
Die Fixierung aufs Auto ist oft schlicht erzwungen.
Ist der öffentliche Raum so organisiert, dass die Erledigungen des Alltags eben nicht fußläufig möglich sind, sind die Folgen vorprogrammiert.
Forscher der US-Eliteuniversität Stanford untersuchten, wie sich Städte auf die Aktivität ihrer Bewohner auswirken. Dazu analysierten sie 69 Städte in den USA.
Es zeigte sich, dass in fußgängerfreundlichen Städten die Menschen deutlich mehr Schritte pro Tag zu machen.
Unter dem Strich heißt das: Die Gestaltung des öffentlichen Raums hat einen Einfluss auf die Gesundheit der Menschen.
Dabei geht es längst nicht nur um Fußgängerfreundlichkeit. Auch die Schaffung von Naturräumen, die Sicherheit, die Versorgungslage, die Nähe und Gestaltung von Schulen und Kindergärten, aber auch im Klimawandel die Frage von Schatten und Schutz von Extremwetter sind Faktoren.
Öffentliche Räume sind gesundheitsrelevant.
Und damit ein Thema, das viel zu wichtig ist, um sie allein Investoren und/oder dem Zufall zu überlassen.
Das hat man auch in Schottland erkannt und dort bereits 2015 ein Konzept entwickelt, um Beteiligung bei der gesundheitsfördernden Stadtplanung zu ermöglichen.
Das sogenannte „Place Standard Tool“ ) wird in Schottland zwischenzeitlich flächendeckend angewendet.
Das Instrument kann von allen genutzt werden, die sich an einer gesundheitsförderlichen Kommunalentwicklung beteiligen möchten: von Kommunen, Freiwilligendiensten und gemeinnützigen Organisationen sowie vor allem von Bürgerinnen und Bürgern.
Im Mittelpunkt steht ein schnell und einfach zu beantwortender Online-Fragebogen, der direkt ein Feedback gibt.
Die Befragten erkennen durch eine Grafik auf einen Blick, bei welchen Themenbereichen eine Umgebung gut abschneidet und wo Verbesserungen nötig sind.
Auf dieser Grundlage können dann unmittelbar Gespräche und ganze Beteiligungsprozesse aufgesetzt werden. Die Webseite zum Tool bietet dafür Tipps, Checklisten und Leitfäden – auch zur Wirkungsmessung und Evaluation.
In Schottland funktioniert das so gut, dass das Tool in anderen europäischen Ländern adaptiert wurde, so u.a. in den Niederlanden, in Spanien, Lettland und der Türkei.
In Deutschland hat sich das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit des Themas angenommen und das Tool unter der Bezeichnung „StadtRaumMonitor“ auch bei uns zugänglich gemacht.
Damit gibt es einen wunderbaren Anlass, kommunale Beteiligungsprozesse zu initiieren. Denn das Thema ist in jeder Kommune relevant. Und es gibt viele betroffene Bevölkerungsgruppen.
Bei genauer Betrachtung zeigt sich zudem: Den größten Einfluss hat die gesundheitsfördernde Gestaltung des öffentlichen Raumes genau auf jene Gruppen, die gemeinhin gerne als „beteiligungsfern“ beschrieben werden:
Alte und junge Menschen, migrantische und prekäre Milieus, all jene, die sich ihr Leben und ihre Mobilität nicht in exklusiven oder privaten Räumen bzw. Transportmitteln organisieren können.
Öffentliche Räume betreffen uns alle. Aber diese Gruppen sind in besonderem Maß davon abhängig, wie sie gestaltet werden.
Beteiligung zu einem gesundheitsförderlichen Lebensumfeld bietet deshalb die besondere Chance zu Breiter Beteiligung.
Ob aufsuchend oder im öffentlichen Raum: Der StadtRaumMonitor bietet Impulse, Tools und Anleitungen für Partizipation, die Leben lebenswerter machen kann.
Das Werkzeug kann dabei von beteiligungserfahrenen Kommunen ebenso genutzt werden, wie von Neueinsteigern – und ist nicht auf die Initiative der Verwaltung angewiesen.
Auch Vereine und Initiativen können damit Beteiligung initiieren – und dabei ggf. mit der Kommune kooperieren.
Der Fragebogen ist nur einen Klick entfernt…