#3 | Mutige Parlamentarier

Gemeinhin haben unsere Abgeordneten kein allzu gutes Image. Eine Eigenschaft wird ihnen nur selten zugebilligt: Mut. Doch das ist eine Fehleinschätzung.

Ausgabe #3 | 16. Januar 2020

Mutige Parlamentarier

Gemeinhin haben unsere Abgeordneten kein allzu gutes Image.

Regelmäßig landen Politiker bei Beliebtheitsumfragen auf den letzten Plätzen, noch hinter Bankern, Steuerfandern und Gebrauchtwagenhändlern. Die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften sind wenig schmeichelhaft. Eine Eigenschaft wird in diesem Zusammenhang faktisch nie genannt: Mut.

Das ist eine Fehleinschätzung.

Ich hatte gestern das Vergnügen, als Sachverständiger im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages zu sprechen. Hintergrund ist ein geplantes Gesetz, mit einem Namen, der nun wirklich keine Sternstunde der Formulierungskunst darstellt:

Das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz.

Doch. Das gibt es. Der Titel ist spröde. Das Anliegen nicht ungefährlich. Es geht um eine Beschleunigung gesellschaftlich bedeutender Infrastrukturprojekte. Die brauchen in der Tat oft viel zu lange. Das bremst vieles, auch die Energiewende und den Klimaschutz.

Diese Vorhaben sollen also schneller Wirklichkeit werden. Dazu werden in Zukunft behördliche Genehmigungsverfahren teilweise ersetzt – durch Beschlüsse des Parlaments.

Aber was hat das mit Mut zu tun?

Eine ganze Menge. Denn bislang beschließen unsere Abgeordnete im gut abgeschirmten Bundestag Gesetze und Vorhaben. Die Umsetzung ist jedoch Sache von Behörden und Vorhabenträgern.

Wenn sich vor Ort dann Widerstand von Betroffenen regt, wenn Bedarf an Beteiligung besteht, der Sinn der Vorhaben hinterfragt und Planungsfehler bemängelt werden, dann müssen diejenigen Frust, Zorn, ja manchmal auch Aggressivität ertragen, die nur Ausführende sind.

Bislang ist dies der Standard. Und nun kommt der Mut der Abgordneten ins Spiel. Die werden in Zukunft bei ausgewählten Maßnahmen von nationaler Bedeutung die zentralen Entscheidungen im Parlament treffen. Das heißt: Der Gesetzgeber übernimmt unmittelbare Verantwortung für die durch ihn veranlassten Projekte. Noch ist es vielen Beobachtern, auch in den Medien, nicht klar:

Das ist eine völlig neue Qualität.

In der Anhörung am gestrigen Mittwoch kam das zur Sprache. Und es wurde auch klar: Wer Verfahren beschleunigen will, der darf nicht an der Demokratie sparen. Er muss mehr beteiligen, er muss früher beteiligen, er muss besser beteiligen, als es bislang die Regel ist.

Und er kann diese Beteiligung nicht einfach delegieren. Der Diskurs mit den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern wird nicht ohne Beteiligung des Parlaments gehen. Die eindeutige Aussage eines CDU-Abgeordneten war. „Das ist uns klar.“

Und das, liebe Leserinnen und Leser, ist der Mut, den wir brauchen, um unsere demokratische Kultur zu fördern.

Sicher wird an dem Gesetz mit dem merkwürdigen Namen (wissen Sie ihn noch?) in den kommenden Wochen noch geschraubt werden. Doch wichtige Dinge wie die frühe Beteiligung sind gesetzt. Diskutiert wird noch über die Frage, ob der Bundestag sich eine „Kompetenzstelle Bürgerbeteiligung“ leisten soll, wie von mir vorgeschlagen. Möglicherweise kommt sie nicht. Noch nicht.

Gleichzeitig schreitet in unserem Nachbarland Frankreich die Entwicklung gerade mit Riesenschritten voran. Dort arbeitet ein mit 150 Bürger*innen besetzter Klimabürgerrat. Seine Ergebnisse werden in ein direktdemokratisches Referendum münden. Mittelfristig soll es sogar eine dritte mit Bürger*innen besetzte Kammer geben.

Noch haben wir in Deutschland nicht diese Dynamik. Aber wir haben erste, zarte Schritte in die richtige Richtung.

Und wir haben mutige Parlamentarier.

Herzlichst, Ihr Jörg Sommer

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